Kulturmecker Oldenburg? – Die Illusion der Beteiligung am Beispiel der Creative Mass


Als die Bauwerkhalle, die unter anderem regelmäßig für Ausstellungen des Masters „Museum und Austellung“ bereit steht, vor zwei Jahren verkauft werden sollte, gab es schnell eine Initiative gegen diesen Plan der Stadt. Bei diesem Streit wurde die „Creative Mass“ geboren, ein dezentraler Zusammenschluss kultureller Akteure, der sich vor allem über die sozialen Medien organisierte. Dank den hier Beteiligten schaffte man es, die schon sicheren Verkaufspläne zu verhindern und die Bauwerkhalle für kulturelle Zwecke zu erhalten. Die Halle war aber nur ein Symbol für ein viel tieferes Unbehagen über die Entwicklung der Oldenburger Kultur – oder besser gesagt, das Fehlen einer Entwicklung. Der Eindruck vieler war und ist, dass die Politik sich in der Tendenz gegen neue kulturelle Konzepte stellt, die nicht in das Schema dessen passt, was es sowieso schon gibt, also von großen Institutionen und Museen. Das war bei der Bauwerkhalle so, und vorher bei dem nach wie vor über allen Aktivitäten stehenden Enttäuschung des Endes des Freifeld Festivals. 

Die Creative Mass ist zwar dezentral organisiert, aber wie bei jeder noch so dezentralen Organisation braucht es immer jemanden, der sich kümmern muss, der seine Zeit investiert und Treffen organisiert. Diese, wie immer bei diesen Initiativen, sehr kleine Gruppe muss mit dem Dilemma umgehen: dezentraler Anspruch einerseits, organisatorische Wirklichkeit einer kleinen Gruppe andererseits.
Um nicht zu sehr zu bestimmen, was an konkreten Aktionen aus der ‚Creative Mass‘ folgt, war nun die Idee, basierend auf Beispielen in anderen Städten, dass man einen so genannten ‚Prozess‘ startet. Der ‚Prozess‘ sollte eine Art Ermittlung sein, was eigentlich die vielen einzelnen Künstler_innen und Kulturschaffende in Oldenburg brauchen, wollen und zu verändern suchen. Was genau der ‚Prozess‘ darüber hinaus ist, sollte nicht festgelegt werden. Das Unbestimmte sollte gerade seine Eigenheit sein, um nicht für eine große Menge an Leuten vorwegzunehmen, was erst aus dem Prozess der Exploration entstehen müsste. 

Wenn man nun nicht einfach als die zufällige kleine Gruppe an Organisator_innen den gewünschten ‚Prozess‘ begleiten will, dann, so war es die Idee, holt man sich externe Expert_innen dazu, die neutral sind, nicht involviert und nur den Rahmen dafür schaffen, dass der ‚Prozess‘ stattfinden kann. Hier kommt nun das Institut für partizipatives Gestalten (IPG) ins Spiel, ein privates Unternehmen, dass sich selbst die Weihe, ein ‚Institut‘ zu sein, verliehen hat. Das Unternehmen ist, wie das im Bereich der Kreativwirtschaft nun so ist, betont unkonventionell, betont sozial und neutral. Man duzt sich. Man hat ein Faible für Typographie. Man organisiert einen Workshop in der Limonadenfabrik, in dem die anfangs sehr unbestimmte ‚kreative Masse‘ – letztlich alle, die Kulturschaffende sind oder die Kultur anzustoßen vorhaben – schon einmal gehörig eingegrenzt wird. Warum es nun diese schon sehr wichtige Dynamik gibt, also von dem Anspruch, dass es eine große Anzahl an Leuten gibt – und die zugehörige Facebookgruppe hat Mitglieder in einer vierstelligen Zahl, was für Oldenburger Gruppen schon sehr groß ist – hin zu der kleinen Gruppe an Workshopteilnehmer_innen, von denen die Mehrheit noch dazu schon mehr oder weniger etabliert ist, darüber lässt sich trefflich spekulieren. Es ist offenbar so, dass sich nicht alle angesprochen fühlen. Es waren also Vertreter_innen der meisten Theater da, und seit vielen Jahren aktive freie Künstler_innen. Deren Bedürfnisse in der ja sowieso unterfinanzierten Kulturförderung sind nicht wenig relevant. Aber mit wenigen Ausnahmen, wie dem Graffitiverbund ‚Brückenkunst‘, fand alternative oder Subkultur praktisch keine Stimme. Wenn man nun feststellt, dass es gerade an dieser in Oldenburg fehlt und dass gerade diese finanzielle Schwierigkeiten hat, weil sie praktisch kaum gefördert wird, dann stellt sich schnell die Frage: wieso ist hier keiner präsent? Wo sind die DJs, die jungen Fotograph_innen, die bildenden Künstler_innen unter 35? Der Arroganz des ein oder anderen Anwesenden – „vielleicht gibt es die eben nicht“ – ist zu widersprechen. 

Der Workshop folgte nun den Bilderbuchmethoden der postmodernen Pädagogik. Es gab Auflockerungswarmups, es gab bunte Spielchen an der Grenze zur Infantilität, es gab Gruppenarbeiten in denen mit bunten Wachsmalstiften Bildchen auf Flipchartpapier entstanden sind. Und guten Kaffee, den man durch die öffentliche Förderung dieses einige Stunden dauernden Workshops in Höhe von etwa 10.000 Euro auch guten Gewissens in großen Mengen trinken konnte. Die Workshopleiter_innen der IPG, die im Team Teaching agierten, wirkten natürlich menschlich sehr sympathisch. Diese freundschaftliche Attitüde erschwert aber auch jeden wirklich kritischen Ton, weil man ja nicht jemandem, den man duzt und der nett auftritt, den man umgekehrt aber gar nicht wirklich kennt, wie eine_n Freund_in so kritisieren möchte, wie man es in anderer Atmosphäre machen würde (und die Kritik kann man in den Pausengesprächen sehr wohl schon wahrnehmen).

Das Ergebnis des für viele Beteiligten schon sehr zeitaufwändigen Workshops war eine Präsentation, die man mit jeder zehnten Klasse konkreter und sachlicher hätte gestalten können. Und sie war es, so würde ich behaupten, weil es so ‚geframed‘ war, weil der Rahmen so gesetzt wurde, dass noch nichts Konkretes gesagt werden sollte. Die letztlich selbsternannte Aufgabe der IPG sollte es sein, die Ergebnisse des Workshops zu ‚clustern‘ und in einen Text ‚einzudampfen‘, mit dem man dann einen Antrag stellen könnte. Es ist Ende November. Der Advent kommt, Weihnachten geht und im Januar soll nun das Ergebnis dieses Prozesses, von dem andauernd betont wurde, wie neutral die IPG agiere, und wie man alles nur begleiten würde, vorgestellt werden. Die Gruppe war also ursprünglich die Creative Mass, deren vage Präsenz man auch nach wie vor beschwört, um so zu agieren als trete man hier nach wie vor für die Gesamtheit (!) der kulturellen Szene auf, dann eine Gruppe größtenteils schon etablierter Kulturakteur_innen – und beim Nachtreffen sind es noch 20 Leute. Diese Reduzierung ist sehr bequem, schon weil mehr Leute auch nicht in den Seminarraum des IPG passen. Die Ergebnisse werden von einem Unternehmer präsentiert, der diesen Namen sicher scheuen würde. Die bunten Poster, die im Workshop entstanden sind, hängen an den Wänden und sind so das Zeugnis der Legitimität der nachfolgenden Powerpointpräsentation, die eingeführt wird mit der Aussage, dass es natürlich eigentlich nicht adäquat ist, dass alles nun von einer Person und auch noch streng frontal präsentiert wird, das wisse man schon – die Legitimität ist ja eine dezentrale Masse – aber man mache es nun doch, es ginge kaum anders. Auch das hat Methode: es wird immer wieder betont, dass es eigentlich keine_n Entscheider_in gibt und dann wird die ganze Zeit von den gleichen Leuten entschieden. Die Ergebnisse sind nun (überraschenderweise?) keinesfalls die schlüssige Ableitung aus den Ergebnissen des ja sehr vagen Workshops. Auf einmal ist alles so konkret wie nur irgend denkbar, es gibt schon Ideen für konkrete Räume, der Name der Creative Mass wurde auch gleich noch mitgeändert und in der Antragssumme, die größer ist als das gesamte jährliche Kulturbudget der Stadt Oldenburg, befindet sich natürlich der größte Posten für die ‚Prozessbegleitung‘, im Klartext also aller Wahrscheinlichkeit nach: für das IPG. Aber dafür werden ja auch regelmäßige bunte Workshops versprochen. Und alles ist ‚gescribbeld‘. Hinter all dieser pädagogischen Unmittelbarkeit und all den infantilen Spielchen steckt letztlich ein schnöder Stadtentwicklungsantrag, der aber verkauft wird als begründete er eine Art Silicon Valley für die Kreative Szene Oldenburgs. Und das Tragische ist, dass die Beteiligten wohl auch selbst daran glauben, dass es diese Dezentralität gibt, dass es etwas Neues und Radikales ist, dass man den natürlich nun doch zu gründenden Verein, den man im Geiste der Dezentralität und einem alles bekannte umwerfenden Anspruch vorher mit Recht ablehnte, für die folgenden Anträge und rechtliche Anerkennung nun mal braucht. Jede schnöde gewählte demokratische Repräsentation, die man ja eigentlich gerade nicht haben will, weil man ihr nicht mehr vertraut, weil man etwas Neues möchte, hätte ein ungleich höheres Niveau an Transparenz und Rechenschaftspflicht als das, was aus diesem dezentralen Prozess nun entstanden ist. Das ist die traurige Lehre des Zwischenstandes, der einem weiter als ‚partizipativ‘ und ‚offen‘ angeboten wird – Creative Open soll der Name nun sein. Auf der Diskussion wird mit keinem Wort – auch nicht von mir übrigens – das Ergebnis umfänglich kritisiert. Einige rutschen unbequem auf ihren Stühlen hin und her. Einige atmen ostentativ laut ein und aus. Kritik wird erst in den Kleingruppen danach geäußert. Jede Kritik gilt als Meckern. Und die sei ja so typisch für Oldenburg. Außerdem findet man sich ja eigentlich nett, da sind kritische Worte falsch am Platz. Der harmonische kreative Geist muss bewahrt werden! Den positiven Prozess starten! Die herausbeschworene Kreativität, deren Abwesenheit allen anscheinend kollektive Phantomschmerzen verursacht, möge sonst niemals kommen! Aus der Dezentralität wird die Illusion von Partizipation und Offenheit, in der sich alle gegenseitig einreden, am Ende könnte aus reinem Voluntarismus etwas ganz Neues herauskommen. Wenn alle ökonomischen und institutionellen Bedingungen gleich bleiben, auch bei einem noch so offenen Prozess mit etwas anderem als dem Gleichen mit neuem Anstrich zu rechnen, ist im besten fall naiv. Wir wollen uns erzählen, es hätte eine Seele. 

von Ulrich Mathias Gerr 

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