Die goldene Stadt

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Film, Propaganda und Rezeption.

Dieser Text ist eine überarbeitete Fassung einer einführenden Vorbemerkung in der Reihe „Philosophie und Film“ am 15.10.19 zum Film „Die goldene Stadt“ des Regisseurs Veit Harlan.

Es ist wohl klar, dass es sich heute nicht um eine „normale“ Vorstellung hier in unserer Reihe handelt. Der Film wurde am 3. September des Jahres 1942 in Venedig bei den dortigen Filmfestspielen uraufgeführt. Er bekam dort einen Preis für seine technische Umsetzung und Kristina Söderbaum, die die weibliche Hauptrolle spielt, den Volpi–Pokal für ihre schauspielerische Leistung. Zudem wurde er in Deutschland mit der Auszeichnung „Künstlerisch besonders wertvoll“ bedacht. Hier ging der Film im November ‘42 an den Start. Um das in die Kriegshandlungen einzuordnen, kann man sagen, dass die Niederlage des Nationalsozialistischen Deutschlands in der Schlacht von Stalingrad sich bereits abzeichnete, welche als einer der Wendepunkte des Krieges gilt. Der Film war mit über 30 Millionen Kinobesuchern einer der Zuschauermagnete und mit über 40 Millionen Reichsmark Einspielergebnis der finanziell erfolgreichste Film der Nazi-Zeit.

Veit Harlan gilt als Starregisseur der Nationalsozialisten und das nicht zu Unrecht. Er hat sich von dieser Zeit seiner Biographie nie wirklich distanziert, umgekehrt sich aber schon Anfang 1933 in einem Interview für den völkischen Beobachter zum NS bekannt. Veit Harlan berief sich zu seiner Verteidigung auf eine bekannte Argumentationsfigur, den sog. Befehlsnotstand, die die eigenen Handlungen im NS mit der Bedrohung für Leib und Leben erklärte. So argumentierten viele Nationalsozialisten. In vielen dieser Fälle lässt sich aber zeigen, dass der Grad an Involvierung nicht zwingend war, eine solche Bedrohungslage nicht bestand – natürlich nur unter der Voraussetzung, dass man Abstriche in der eigenen Karriere hätte machen müssen. In die NSDAP ist Veit Harlan jedoch nie eingetreten. Die deutsche Nachkriegsjustiz sprach ihn vom Vorwurf der intellektuellen Vorbereitung der Massenvernichtung durch seinen Film „Jüd Süß“ frei. Die mediale Auseinandersetzung in diesen Prozessen zeigte das typisch problematische Verständnis bei der Aufarbeitung der NS Vergangenheit, nämlich die schlichte personalisierende Dämonisierung Einzelner als Wesen des Faschismus umzulügen. Dabei geht es nicht um die Rechtfertigung des Freispruchs Veit Harlans, sondern um die Kritik dieser falschen Vorstellung der „Aufarbeitung der Vergangenheit“. Im Zuge dieser Personalisierung wurde der Antisemitismus in der Filmwirtschaft über Veit Harlan scheinhaft bekämpft und nicht als systematisches Moment der nationalsozialistischen Verhältnisse, ihrer Ideologie sowie auch deren Fortleben in der Bundesrepublik. Der Erfolg der Filmbranche speiste sich aus den Vorgängen, Prozessen und Erkenntnissen, die schon in der Weimarer Republik zweckmäßig waren und auch nach dem Kriege nicht einfach ihre Geltung verloren. Im Gegenteil, denn die Filmwirtschaft war auch unter NS „Leitung“ privatwirtschaftlich organisiert und musste finanziell erfolgreich sein. Entsprechend waren die Gesetze der Marktmechanismen, welche auch die Ästhetik mitbestimmten, weder vorher noch nachher einfach umgestoßen. Dies erklärt natürlich auch die vielfach fortgesetzten Karrieren erfolgreicher Schauspieler, Regisseure und sonstiger Arbeitskräfte der Filmindustrie, die, ohne je angeklagt worden zu sein, ihr Leben fortsetzen konnten. 

Film in seiner Form zeichnet sich als Propagandamittel besonders deswegen aus, weil er stark immersive Wirkung hat: Der Zuschauer soll im Dargestellten aufgehen. Zu dieser Zeit galt dies umso mehr als heutzutage, fand doch die Aufführung von Filmen fast ausschließlich in Kinosälen statt. Im Gegensatz zu anderen Formen ästhetischer Verarbeitung stellt (Kino-)Filmkunst ihren Gegenstand gegenüber den Rezipienten extrem vereinnahmend dar. Man sitzt in einem Saal, einzige Lichtquelle soll das projizierte Bild darstellen, alles andere wird ausgeblendet. Man blickt in Richtung des Bildes, es ist nicht vorgesehen aufzustehen, sich abzuwenden oder die Augen zu schließen. Der Film läuft ohne Unterlass, Geschwindigkeit sowie Pausen sind vorgegeben. Die Inszenierung gibt den Takt der Wahrnehmung vor. Man vergleiche dies mit dem Betrachten eines Bildes, einer Skulptur – wo Dauer und Fortlauf der Betrachtung dem Rezipienten überlassen sind. Diese stehen zudem meist in einer Reihe, in einer Ausstellung und sind nur Teil einer gerahmten Einheit, nämlich der Kuration. Im Gegensatz zur Musik, wie etwa der Symphonie, die ja auch in entsprechenden Sälen gespielt wird, spricht Film Gehör und Auge an. Auch der Stummfilm war niemals wirklich stumm, es gab zumindest musikalische Untermalung. Bleibt noch Theater und Oper, wo sicherlich die meisten Parallelen zu ziehen sind. Doch hier bleibt das Problem der technischen Reproduktion, denn im Gegensatz zum Film, wo Unterschiede der Vorführungen nur durch Unterschiede in der Projektionstechnik, wie Projektor, Filmkopie und Saaltechnik zustande kommen, sind die Unterschiede in den Vorführungen von Oper und Theater eben ihrer nicht-technischen-Reproduzierbarkeit geschuldet. Sie verändern sich von Mal zu Mal.

Diese technische Objektivität dagegen ermöglicht nicht nur die Sicherheit, dass man im ganzen Herrschaftsgebiet die gleiche Propaganda zur Wirkung bringt, sondern ermöglicht nochmal mehr die Illusion von Unmittelbarkeit des Rezipienten zum Dargestellten, da etwa die Möglichkeiten der Perfektion der Inszenierung ungleich höher sind, weil kontrollierbarer.

Dies ist kein Plädoyer für den Kampf gegen die Immersion im Film, im Gegenteil. Die Unfähigkeit sich auf den Film einzulassen, das Kunstwerk seine Wirkung entfalten zulassen, ist auch Ausweis einer Verständnislosigkeit gegenüber Kunst oder, möglicherweise, ohne das weiter ausführen zu wollen, der Angst vor der Erkenntnis, die in einem Film liegen könnte, überließe man sich ihm und erklärte ihn nicht nur zum Flitterwerk – auch wenn er das oftmals sicherlich, selbst dem eigenen Anspruch nach, ist. Zudem gab es seit jeher den Versuch diese immersive Wirkung zu thematisieren oder gar zu brechen, etwa in den Filmen von Luis Buñuel oder später der sog. Nouvelle Vague.

Die Einführung des Tonfilms in deutsche Spielfilmproduktionen liegt am Anfang der 20er Jahre. Bei der heutigen Aufführung haben wir eine neue Hürde auf dem Weg zum modernen Film, die besonders offensichtlich ist, nämlich den Farbfilm. Der technische Stand filmischer Produktion ändert sich aber fortlaufend. Verkleinerung, Mobilisation von Kameratechnik etwa, ist merkbar in der Dynamisierung der Bilder, Kamerabewegung, Schwenks, aber auch Schnitttechniken, Blenden, Montagen etc. müssen sich erst etablieren. Hier wird aber ein großer Umbruch wichtig, eben der Farbfilm. Der erste Versuch eines Farbfilms war zunächst ein Fehlschlag und wurde erst einige Jahre nach Drehschluss, kurz vor „Die goldene Stadt“ veröffentlicht. Veit Harlan musste Joseph Goebbels üerzeugen, für diesen Film das immer noch neue Farbverfahren erneut zu verwenden und erreichte dies mit dem Hinweis, dass es entscheidende Verbesserungen gegeben habe. Er wollte auf dem Stand der Technik produzieren, die in den USA schon erfolgreich genutzt wurde. Farbfilm ermöglichte ungeheure neue ästhetische Möglichkeiten. Der Einsatz von Farbe in diesen jungen Filmen ist besonders interessant, da diese neue Dimension der Inszenierung mit großer Begeisterung von Regisseuren wie Veit Harlan eingesetzt wurde. Themata konnten nun nicht mehr nur durch Musik, Lichtsetzung, Schauspiel o.ä., sondern eben durch den Einsatz von Farben eineführt werden. Zumal es natürlich einen ungemeinen Schub der „realistischen Darstellung“ bedeutete. Dies allerdings nur in Anführungszeichen, denn was Realismus im Film ist, das ist nochmal ein ganz anderes Thema. 

Zu den Filmen Veit Harlans wäre noch Einiges zu sagen und deswegen zeigen wir hier auch schon zum dritten Mal einen seiner Filme in unserer Reihe. Diese sind künstlerisch durchaus sehr interessant und bei weitem entsprechen sie nicht der gemeinen Vorstellung von plumper Propaganda. 

Die Politik der Murnau Stiftung, die die Rechte an weiten Teilen der NS–Filme hält, einige dieser Filme unter dem Label „Vorbehaltsfilm“ nicht mehr zu verleihen oder zu zeigen, und wenn dann nur in ihren Räumen oder unter einer Ausnahmeregelung, ist verständlich wie falsch. Verständlich ist es, weil es sich tatsächlich um in vielerlei Hinsicht menschenverachtende Propagandafilme handelt. Sie entfalteten jedoch ihre Wirkung vor der historisch gesellschaftlichen Situation. Ihre Sprache, Ästhetik, Symbolik, die Darstellung ihrer Themen sind für den Geschmack des Massenpublikums heute weithin veraltet, auch wenn viele Formen sich ähnlich sind. Propagandistische Inhalte müssen auf den aktuellen technischen aber auch erzählerischen Stand gebracht werden, um zweckmäßig die Masse erreichen zu können, allein schon, damit diese ins Kino kommt.

Propaganda setzt sich damals wie heute weniger über den klar erkennbaren Versuch einer politischen Botschaft durch. Die „Nazischinken“ mit allzu offensichtlicher Propaganda wurden damals eher gemieden. Das Credo Goebbels soll ein abgewandeltes Goethezitat gewesen sein: „Man merkt die Absicht und ist verstimmt“. Entsprechend war man erfolgreich mit den Unterhaltungsfilmen, wo keine Flaggen, Abzeichen und Uniformen zu sehen waren, die ihre Botschaft im Subtext trugen, die bis heute dem einen oder anderen entgehen mag, weil sie ihre Wirkung eher unbewusst, nicht per erkennbarem Argument oder rationalem Gehalt, sondern per Gefühl, per Emotion, entfaltet. In den Figurenkonstellationen, ihrer Inszenierung, Einbettung in Farbgebung, musikalischen Schemata, Kameraeinstellungen usw. erscheint das Ressentiment, das die Tat oder deren Akzeptanz vorbereiten soll. Dies ist das Entscheidende und ich glaube dafür haben wir heute ein besonders gutes Beispiel. 

von Johannes Bruns

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