Extinction Rebellion und Banksy.

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Ästhetik des Widerstands oder Performance konformistischer Rebellion?

Ende September fand in der Oldenburger Innenstadt ein so genanntes Die-In statt. Dabei tun die Beteiligten so, als würden sie sterben und legen sich schließlich regungslos auf den Boden. Diese Aktionsform wurde in Zuge der Anti-AKW Proteste in den 80er Jahre populär und bezog sich damals noch auf eine drohende atomare Apokalypse. Wieder ins Leben, beziehungsweise ins Sterben, gerufen wurde es von Extinction Rebellion, dieses Mal bezieht es sich auf den Tod durch die Folgen von CO2. Es ist nur ein Beispiel einer Reihe von Aktionsformen, die mal auf bekannten rebellischen Formen von Widerstand beruhen, wie das Besetzen öffentlicher Plätze, das hier mit dem Neologismus ‚Swarming‘ ganz neu erscheinen soll, mal nur albern und blöd sind, wie ein virales GIF einer Performance, in der alle auf dem Niveau einer schlechten Theater-AG so tun als seien sie Affen, mal aber auch, wie das Die-In oder die Verwendung der Krake als Symbol des Protests gegen Firmen und Politik, zutiefst geschmacklos und mit einem Fundament in ideologischen Denkmustern.

Diese Aktionsformen sind dabei nicht einfach nur schmückendes Beiwerk, sondern sie sind der Kern dessen, was Extinction Rebellion, XR, ausmacht. Roger Hallam, der sich als eine Art Guru von XR etabliert hat, ließ in einem Video verlautbaren, das an den Projekt-Pitch-Jargon der kalifornischen Startup-Kultur erinnerte, die Strategie XRs sei es vor allem, möglichst viele solcher Bilder und Videos zu schaffen, die viral werden und so dazu führen, dass immer mehr Personen die entstandenen Bilder teilen. Widerstand im Zeitalter ihrer mimetischen Reproduzierbarkeit.  

Bild: Barry Cawston

 Diese Bilder greifen, was erstmal nicht verwunderlich ist, popkulturelle Bezüge auf. In vielen Städten hat man so in karminrot gekleidete Personen gesehen, deren Röcke an die Gewänder aus Margaret Atwoods dystopischer Serie ‚A Handmaid’s Tale‘ erinnern. Aber diese Performances und ihre Übersetzung in Memes verweist nicht nur mittels externer Referenzen auf Popkultur, es ist gewissermaßen selbst eine aktuelle Erscheinungsform einer solchen. Es lässt sich gar nicht mehr trennscharf unterscheiden zwischen dem Aufgreifen von Protest durch Popkultur oder von Popkultur durch Protest – man denke an die Guy Fawkes-Masken von Anonymous oder der Occupy-Bewegung, die auf dem – natürlich dystopischen –  Comic ‚V for Vendetta‘ basierten, die über den realen Protest und die Social-Media-Resonanz wiederum in die Serie ‚Mr. Robot‘ Einzug gehalten hat und von da aus in wieder in alle möglichen Memes einfloß. Auch die Remixe von Greta von Thunbergs Rede vor der UN-Vollversammlung mit allen möglichen Formen von Pop – die Versionen mit Fatboy Slims ‚Right Here Right Now‘ und die Death Metal Version sind nur die bekanntesten – zeigt die Projektion, mittels der sich die jeweiligen Popformen an den Protest andocken. Es sei betont, dass diese Analogie von XR und Greta hier auf die popkulturelle Hinsicht zielt, nicht auf die ideologische, denn auch wenn sie vielleicht das unbestimmte Ziel eines Schutzes der Umwelt teilen, dann doch weder den Hang zu Esoterik und schon gar nicht den zu brauner Volkstümelei. Es müssen sich deswegen auch so manche derjenigen, die seit entstehen von Fridays for Future auf dessen Zersplitterung hofften und von dem politischen Geschick der Schüler_innen überrascht waren, sich freudig verwundert die Augen reiben, als sie die Geschehnisse rund um XR beobachteten.  Was in über einem Jahr erstaunlich gut funktioniert hatte, nämlich die Verweigerungshaltung und den Widerstand nicht in ideologischen Aktionismus umschlagen zu lassen, und dies gerade dadurch erscheinen zu lassen als eine Sache einer ganzen Generation, nicht nur eines kleinen Teils, all das schlägt nun in Windeseile, durch den Versuch XRs, den weltweiten Protest zu kapern, ins Negative um. Und zynischer Weise klagen dann gerade diese Vertreter_innen einer Spaltungsbewegung par excellence alle Kritiker an ihnen, wie am nachhaltigsten etwas Jutta Ditfurth, des Aufspaltens an.

Bild: Barry Cawston

Es ist dabei auffällig, dass die aktuelle Form des Popstars es notwendigerweise von ihm oder, öfter noch, ihr, verlangt, auf die ein oder andere Weise politisch aktiv zu sein. Einfach nur Musik machen oder modeln reicht schon lange nicht mehr aus. Mal wird dabei der schon bestehende Popstar durch eine sozialkritische Agenda zum bedeutungsvollen Public Intellectual stilisiert ( wie etwa Beyoncé oder M.I.A.), mal kann die klassische popkulturelle Aktivität, einer Band, eines Models, oder ähnliches,  gleich überspringen werden (Greta). XR zeugt von dem Traum der politisch Widerständigen gleichzeitig auch noch die Bekanntheit und Anerkennung eines Popstars zu erfahren. Postulierte Andy Warhol noch die ‚15 Minutes of Fame‘, die jeder durch Massenmedien wie Fernsehen und Radio erfahren könnte, haben sich diese schon längst in 15 Tausend Likes of Fame verwandelt.

Was bei XR populär sich gibt ist es aber auch in einem wörtlichen Sinn, nämlich in Bezug auf das Volk. Dieses wird adressiert und für dieses beansprucht XR zu sprechen. Einmal, weil man meint für alle sprechen zu können. Einmal aber auch, weil die Aktivsten mit relativistischer Strategie betonen, dass wenn in einem anderen Land streitbare Positionen vertreten oder Aktionen durchgeführt werden, dass es eben auch konkrete nationale Unterschiede gibt. Und diese nationalen Gruppen sollen dann natürlich ungespalten sein – das heiß ganz explizit, dass auch Faschisten sich von XR eingeladen fühlen sollen. Es geht schließlich um die Rettung ‚der Natur‘, und da sitzt man im gleichen Boot, oder im Zweifelsfall in gleichem regressiven Sud aus Blut und Boden. 

Dieses relativistische Winden, bei dem man sich aller Kritik entziehen zu können glaubt, drückt sich an einer anderen Stelle durch die auffällige Gleichzeitigkeit von Wissenschaft und Esoterik aus: mal verweist man auf die Ergebnisse vor allem der IPCC, scheint so auf der Seite von empirischer Wissenschaft zu stehen und beschuldigt alle Widersprechenden, dass sich  gegen die Faktizität von Wissenschaft nicht einfach argumentieren lässt, mal bietet man aber auch Workshops zu klassischen esoterischen Themen an, die keinerlei wissenschaftlicher Überprüfung standhielten. Wissenschaft ist hier offenbar nur so lange die wesentliche Bezugsgröße, wie sie das unterstützt, was man sowieso glaubt.  XR ist auch hierin in einer Analogie zum Popstar, eine nun völkischer, kollektiv-aktivistischer Popstar: die Projektionsfläche aller möglichen Bedürfnisse und als solches, auch dann wenn nicht jeder naiv partizipierende darum weiß, schon bewusst angelegt – dafür spricht jedenfalls die transparent kommunizierte Top-Down-Strategie des Pitch-Jargons von Hallam. Dass das Kollektiv selbst hier der Popstar ist, das mag auch das erstaunliche Fehlen der Etablierung eines tatsächlichen, ‚herkömmlichen‘ Popstars der Ökobewegung erklären, über das sich etwa das Kaput Magazin verwunderte.

Die Aktionen, die im Kern von XR stehen, sind das postmoderne Abziehbild eines politischen Widerstands. Es ist ein Widerstand, der gleichzeitig keinen Hehl daraus macht, wie sehr man das, was man vorgibt zu kritisieren, eigentlich unterstützt. Im Falle von XR ist es durch die ostentativen Liebesbekundungen für die Polizei offenkundig. Es ist ein Modellfall einer „konformistischen Rebellion“ (Max Horkheimer).

Ihren ideellen Vorläufer haben sie wohl in der Ästhetik von Banksy.  Der britische Künstler, dessen Anonymität eine zusätzliche Mysteriösität zu erzeugen trachtet, die seine Kunst alleine nie einhalten könnte, hat das Meme zur Kunst gemacht. Er erscheint durch eine Anonymität, wie die Anonymous-Maske, eher als eine kollektivistische Bewegung denn als individueller Künstler. Seine Kunst versteht sich selbst als politisch, aber das ist sie nie aufgrund irgendeiner bahnbrechenden Ästhetik, die ja nicht umsonst durch die Stenciltechnik von jedem kopierbar ist, sondern aufgrund des dargestellten Inhalts und irgendeiner ‚frechen‘ Idee. 

Liebstes Steckenpferd von Banksy ist dabei nicht zufällig die britische Konsenspositíon einer antiisraelischen Agitation. Für seine Stencils in der Westbank ist er einst bekannt geworden, später eröffnete er in Betlehem ein Hotel mit Blick auf die Grenzmauer. Tiefer als das geht es nie, es ist unmittelbare und deswegen populistische Empörung, die hier getriggert werden soll. Der aus Bristol stammende Künstler ist das Abziehbild des Abziehbilds früherer Performancekunst. Sein kurz nach der Versteigerung sich selbstzerstörendes Bild wiederholte die Geste der damaligen Kunst, die in sich zu reflektieren vorgab, dass alle Kunst nur noch Ware ist, wie sie von Fluxus bis zum Beuys-Kreis zelebriert wurde. Sein Freizeitpark ‚Dismaland‘, dessen begleitende Fotoausstellung in diesem Herbstwinter in Oldenburg zu sehen ist, war deswegen so langweilig, weil es einfach nur das wiederholte, was ein Freizeitpark eh immer schon ist: trostlos. Würden die Flanierenden in Oldenburg endlich von den Bildern aufblicken, nähmen sie eine Trostlosigkeit des neuen Hafenviertels wahr, die um nicht weniger trostlos ist als Banksys Dismaland. 

Es ist das gemeinsame zwischen Bansky und Extinction Rebellion, dass sie eine politische Kunst, die auf einer reflektierten Ästhetik beruhen müsste, durch das Schmunzeln des Penälerstreich ersetzen. Die bewirkte Provokation erwartet Aufmerksamkeit, aber es die Aufmerksamkeit des wohlwollenden Klapps nach dem Beuerchen.  Die derart keinen provozierende Provokation ist eine, mit denen sich noch jeder in den sozialen Medien Teilende der eigenen provozierenden Geste versichert, eine Geste, die aber insgeheim nicht, wie eine wirkliche Provokation, mit Widerstand rechnet, sondern mit der Stallwärme der Bubble und dem Schulterklopfen, in Form von Gefällt-mir-Daumen, Insta-Herzchen und Retweets.  Es entsteht das Zusammenfallen von Kunst und Politik, die das je unmittelbare Bedürfnis erfüllt, Teil einer durch und durch ‚guten‘ Bewegung zu sein und damit Teil von jener Kraft, die stets das Gute sein will, und stets das Böse schafft. Wie jede derartige Bewegung braucht sie schließlich das unbestimmte Böse, gegen das man vorgehen kann, die Apokalypse, die mal verbunden wird mit den 1%, mal mit dem SUV-Fahrer, mal mit einer Linken, die nicht mit-’swarmen‘ möchte. Nicht immer ist klar, ob die beschworene Rebellion wirklich gegen die ‚Extinction‘ gerichtet ist oder ob sie sich nicht, wie alle Apokalyptiker, heimlich herbeisehnt. 

Titelbild: Marcus Windus, Aktionen der Klima-Woche in Oldenburg (OLDB), Niedersachsen, 20.09.2019. Fridays for Future und Extinction Rebellion, sowie weitere Buendnisse sind auf der Strasse und demonstrieren gegen die Klimapolitik.

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