Die Hochschulintrige zwischen universitärer Praxis und Verschwörungstheorie

„Die Mitwirkung von Studentenvertretern in den Gremien der Universität dient in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle nicht dem Interesse von Studenten an der Erkenntnis der Wahrheit, sondernd der Einübung in die Hochschulintrige, dem immer noch beliebtesten Mittel in der Konkurrenz um Einfluß und Reputation.“ – Peter Bulthaup, Die wissenschaftliche Hochschule: Staatsanstalt oder Gelehrtenrepublik  

Wer einmal eine Weile in einer Fachschaft hochschulpolitisch aktiv gewesen ist, der wird wohl zwei disparate Erfahrungen gemacht haben: der latente Vorwurf von Mitstudierenden, dass man sich nur aus Gründen des eigenen Vorteils betätigt und die desillusionierende Erfahrungen mit dem Ablauf dessen, was man Hochschulintrige nennen könnte.

Das obige Zitat des früheren Hannoveraner Philosophieprofessors Peter Bulthaup scheint den Vorwürfen der Studierenden an Fachschaften und dem AStA Recht zu geben. Es gehe bei dem Engagement der Studierenden letztlich nicht vorrangig um das Interesse der allgemeinen Studierendenschaft, sondern nur um das derjenigen, die sich betätigen und damit primär Vorteile im und nach dem Studium erhoffen. Im Falle der Fachschaftsvertreter_innen seien das während des Studiums bessere Noten, weil die Professor_innen das Verhalten in den Gremien honorieren würden, und im Falle des AStA im schlimmsten Fall eine Veruntreuung der studentischen Gelder oder aller wenigstens das Vorbereiten der politischen Karriere in einer Partei, für die die Arbeit im AStA hilfreich sei. 

Nun kann man in der bestehenden, wesentlich auf Konkurrenz basierenden Gesellschaft nie sagen, dass das Verhalten von Menschen völlig unberührt von dieser ist. Es mag noch jedem ehrenamtlichen vorgeworfen werden, dass man sich nur für gesellschaftliche Anerkennung, Akkumulation von symbolischem Kapital und letztlich einen beruflichen Aufstieg engagiert. Wer dies vorwirft, verrät freilich gleichzeitig etwas über das Ausmaß, in dem man dieses Konkurrenzverhältnis bereits verinnerlicht hat, denn eine Handlung aus Selbstzweck oder Altruismus scheint aus dieser Perspektive nicht einmal mehr vorstellbar zu sein. Die Motivation und Folge des jeweiligen Engagements ist zudem nicht einheitlich. Sicher gibt es auch Leute, die sich auf einer politischen Liste betätigen, weil sie sich davon Erfahrung in politischer Arbeit und perspektivisch eine Zukunft in dieser erhoffen mögen. Das wäre aber auch nur dann illegitim, wenn diese persönliche Absicht  zum Maßstab für alle konkreten Entscheidungen werden würde, also Entscheidungen nicht der unmittelbaren Situation, sondern dieser Absicht unterworfen wären. Es allen, die sich hochschulpolitisch beteiligen vorzuwerfen, verkennt aber, dass die wenigstens diese Absicht hegen und unterschätzt zudem den Aufwand, den diese Tätigkeiten kosten und der in aller Regel in keinem Verhältnis zum vagen Vorteil steht.

Die Kritik im Zitat setzt zudem voraus, dass sich die große Mehrheit der Studierenden in der Hochschularbeit so verhalten, wie es ihrem Vorteil zuträglich ist. Vertritt man die Interessen von Studierenden stellt man sich aber früher oder später unweigerlich gegen diejenigen der Universitätsleitung oder der Hochschullehrenden. Es sei zugestanden: in der Gremienarbeit  gibt es ohne Zweifel eine Machtasymmetrie zwischen Professor_innen und Studierenden, die es diesen schwer bis unmöglich macht, sich stets so kritisch zu äußeren und im Zweifelsfall auch gegen jene zu stellen, wie es manches Mal geboten wäre, wenn die objektiven Interessen der Studierenden – ganz allgemein:  bessere Studierbarkeit – verletzt werden. Wenn man die Erfahrung des Abstimmungsverhaltens von Studierenden beobachtet, die in Gremien auch schonmal für eine größere Prüfungsbelastung stimmen oder einem Veranstaltungsverzeichnis mit eindeutig zu wenig Veranstaltungen zustimmen, dann fällt es einem auch wirklich schwer, hier nicht zynisch zu werden. Eine pessimistische Geschichtsschreibung der Entscheidungen an der Uni Oldenburg seit dem Studierendenstreik 2009 würde sich wohl wie eine einzige Aufgabe aller hier erkämpften Vorteile lesen. 

Wer aber dieses Verhalten allen Beteiligten vorwirft, auch ohne auf die konkrete Handlung und zum Beispiel das Abstimmungsverhalten zu achten, der leistet nicht der politischen Erkenntnis Vorschub, sondern lässt lediglich das eigene Ressentiment erkennen. Für dieses Verhalten in Gremien sollten sich Studierende vor ihren Mitstudierenden verantworten, und hier wäre es vermutlich schon ein riesiger Vorteil, wenn die nicht gewählten einmal diesen gegenüber äußern würden, was sie sich vorstellen. Das aber passiert nicht, stattdessen gibt es, gerade in den sozialen Netzwerken, immer wieder ein seltsames Geraune. Dass typisch anti-elitäre „die da oben“  wird so im „die wollen Elite werden“-Vorwurf gegen die eigenen Kommilitonen vorweggenommen.  

Die zweite Behauptung in dem einleitenden Zitat war, dass die Hochschulintrige das bestimmende Mittel im Streben nach Reputation und Einfluss sei, also letztlich der eigenen akademischen Karriere. Was aber soll zunächst die Hochschulintrige sein? In dem Selbstverständnis der selbstverwalteten Universität ist diese doch demokratisch organisiert. Es gibt Wahlen, es gibt Gremien, es gibt eine Beteiligung aller Statusgruppen, eine Transparenz in  den geführten Debatten und Entscheidungen sowie eine Rechenschaftspflicht. Diese demokratische Struktur der Hochschule ist aber letztlich nur dann mit vollem Recht als solche zu bezeichnen, wenn man die grundsätzliche Existenz von repräsentativen Wahlen schon für das wesentliche Kriterium einer Demokratie hält. Das Ungleichgewicht der Stimmen und die Tatsache, dass in Gremien letztlich keine Entscheidung gegen die wenigen, dadurch sehr einflussreichen, Professor_innen geführt werden kann, zeigt, dass es im Zweifelsfall, also wenn es einen Interessenskonflikt gibt, gar nicht so demokratisch zugeht wie proklamiert. Die Gremien, und hier kommen wir zur Intrige, scheinen zudem bei allen wirklich wichtigen Entscheidungen nur der Anlass zu sein, an dem schon längst getroffene Entscheidungen abgestimmt werden. In den Gremien zählt nicht das bessere Argument in einer freien Debatte, wie es das sozialdemokratische Ideal einer kommunikativen Vernunft wäre, sondern Posten wurden schon vorher verteilt, Mehrheiten für Drittmittelanträge schon gesichert, Leidtragende von Stellenkürzungen schon bestimmt, lange bevor sie scheinbar demokratisch zur Disposition standen. Natürlich ist das ein Vorwurf, der sich dem Anschein einer bloßen Behauptung aussetzt und sich nicht belastbar beweisen lässt, und genau dieser Umstand macht das Ganze ja auch zu einer Intrige. Aber wer mit langjähriger Gremienerfahrung würde etwas anderes behaupten, als dass es offenkundig diese Form der Hochschulintrige gibt? Eine Intrige, die ein bestimmtes Abstimmungsverhalten durchsetzt, sei es durch Anreize in der Aussicht von Jobs an der Uni,  sei es durch Druck,  begleitet von latenten bis offenen Drohungen?

Das Verhältnis von Intrige zur Verschwörung ist insofern ein prekäres, denn die Annahme der Hochschulintrige ist nicht, wie diese, wahnsinnig, sondern bei den gegebenen Strukturen rational. Eine Verschwörungstheorie ist hier vielleicht begreifbar zu machen als die Extrapolation des Musters des Intrige auf potentiell alles, und vor allem auf die das Verhalten der Akteure beeinflussenden abstrakten Strukturen. In anderen Worten: das Menschen bei vorgegebenen Strukturen auf eine bestimmte Weise handeln, die auch die Praxis einer Intrige beinhaltet, ist Wirklichkeit, dass aber hinter der gezielten Einführung und Reproduktion dieser Strukturen, also zum Beispiel des Konkurrenzverhältnisses, wiederum eine Gruppe von intriganten Personen stünden, die vor allem auch als böswillig vorgestellt werden, das ist Verschwörungsmythos. Keiner hat das Konkurrenzverhältnis in der spätkapitalistischen Gesellschaft durch eine Intrige durchgesetzt. In der Konkurrenz ist die Intrige aber gängige Praxis. Zwischen diesen Ebenen und durch sie hindurch verläuft wohl die Grenze einer plausiblen Annahme einer Intrige und der Ideologie des verschwörungstheoretischen Denkens. 

In der Hochschulintrige kristallisiert sich dieser Sachverhalt deshalb, weil er auf die Aporien von Wissenschaft in der vorgegebenen Struktur der Institution der Wissenschaft, der Universität also, und damit dem Ort der Erforschung allgemeiner Erkenntnis, verweist. Die Hochschulintrige lässt gewissermaßen die Frage nach der Wahrheit der Wissenschaft nicht unberührt. Darum ging es auch dem zitierten Peter Bulthaup:

„Die Zufälligkeit des Kräfteverhältnisses, das einem zur Einbürgerung in die Gelehrtenrepublik verhilft, einen anderen aus ihr ausschließt, ist mit dem Bemühen um das, was notwendig und allgemein gilt, nicht zu vereinbaren, und die Praxis der Ethik der Wissenschaften ist die Hochschulintrige.“

Die Aufgabe der Wissenschaft, im Singular, zu ergründen was notwendig und allgemein gilt, und die Ersetzung dieser durch die Wissenschaften, die als Plural nicht mehr auf die Einheit der Erkenntnis, wie sie im Name der Universität noch anklingt, verweist, bedeutet, dass schon dem Anspruch nach nicht mehr um Wahrheit gerungen, sondern um Mittel für ein, dann nur noch subjektiv bedeutsames und damit zufälliges Interessengebiet, gefeilscht wird. Gibt es keinen Maßstab mehr für wissenschaftliche Wahrheit, so auch keinen mehr dafür, wer besonders gut geeignet erscheint, diese auf dem je eigenen wissenschaftlichen Feld zu untersuchen. Das eigentlich erstaunliche ist also vielleicht gar nicht die Intrige, sondern, dass es immer noch diejenigen, und erstaunlich viele von ihnen, gibt, die sich gegen den unmittelbaren eigenen Vorteil entscheiden, in Gremien sich dummerweise  Feinde machen oder für wissenschaftliche Arbeit den Hungerlohn eines Lehrauftrags akzeptieren. Dieses, nach dem vorgegebenen Maßstab letztlich irrationale Verhalten ist der Beweis, dass die Menschen am Ende des Tages nicht so vollständig von den Strukturen vorherbestimmt sind, wie es der sich aufdrängende Pessimismus bei der alltäglichen Beobachtung der Hochschulintrige nahe legt. Sich zur Wirklichkeit der Hochschulintrige kritisch zu verhalten ohne gleichzeitig dem Verschwörungsdenken zu verfallen, das ist der Drahtseilakt, das langsame Hervortasten auf hochschulpolitischen Zehenspitzen auf dem dünnen Eis des glücklicherweise noch nicht ganz zugefrorenen akademischen Gewässers.  

von Lisa Jans

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