Digitalisierung & Didaktik – Interview mit Carola Schirmer

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🎙️Auch Thema im Podcast!

Das Sommersemester findet aufgrund der Covid19-Krise in digitaler Form statt. Die digitale Lehre zu begleiten und  voranzutreiben ist – auch unabhängig von der Krise – das Aufgabengebiet von Carola Schirmer, die im Referat für Studium und Lehre gemeinsam mit weiteren Kolleg_innen für die E-Didaktik zuständig ist. Die kleine Weltbühne sprach mit ihr über die aktuellen Entwicklungen in der digitalen Lehre. 

Vor einigen Monaten noch war die digitale Lehre eher ein Randthema an der Uni Oldenburg, jetzt ist es zu einem der zentralen Punkte überhaupt geworden. Wie erleben Sie die Entwicklung in den letzten Monaten?

Durch die Notwendigkeit, die Lehre jetzt online zu gestalten, hat es sich unglaublich verändert. 

Ich arbeite einerseits in der E-Didaktik, das heißt in der Beratung und Unterstützung von Lehrenden bei der Nutzung von digitalen Medien in der Lehre. Andererseits arbeite ich mit Kolleginnen zusammen in einer Arbeitsgruppe, mit der wir eine Digitalisierungsstrategie für die Lehre der Uni entwickeln. Für beide Ebenen haben sich große Veränderungen ergeben. 

Eine Vorbemerkung: wenn ich von digitalen Medien spreche, sind nicht nur – z.B. – Videos oder digitale Materialien gemeint, sondern die komplette digitale Infrastruktur aus Kommunikations- und Organisationsmitteln, „das Netz“ selbst, einzelne Anwendungen und digital vorhandene Inhalte.

In der E-Didaktik ist es so, dass wir bisher daran gearbeitet haben, die Präsenzlehre durch digitale Medien zu unterstützen, so dass Lehrende digitale Medien ergänzend einsetzen können. Jetzt plötzlich, durch die Entwicklung im März und April, ist etwas ganz anderes entstanden: die digitalen Medien müssen eingesetzt werden, um eine komplette Onlinelehre zu realisieren. Das ist genau das, was die Uni auch strategisch nie beabsichtigt hat, also reine Online Lehre anzubieten. Das Credo ist immer: die Universität Oldenburg ist eine Präsenzuniversität und auch die Bemühungen der Digitalisierung sollen nicht dahin gehen, diese Präsenzuniversität abzulösen. Das besteht auch weiter so. Irgendwann werden wir hoffentlich dazu zurückkehren, dass wieder Präsenzlehre stattfindet.

Wie nehmen Sie die Einstellung unter Lehrenden wahr, ist es eher eine Ablehnung oder eine Offenheit? 

Wir hatten  viel mehr Kontakt mit Lehrenden. Wir hatten über 200 Lehrende in direktem Kontakt, die wir über E-Mail, über Stud.IP-Foren, in Videokonferenzen oder in Videosprechstunden beraten haben. Zusätzlich haben wir von Seiten der E-Didaktik viele Anleitungen erstellt, unsere Websites ausgebaut, in denen Hinweise und Tipps stehen, und ich denke dass wir auch darüber viele Lehrende und auch Studierende erreicht haben, die jetzt einfach diese Anleitungen und Hilfen brauchen. 

Ich glaube aber auch, dass sehr viele positive Veränderungen und Entwicklungen passiert sind. Wir haben auf einmal ganz viele Lehrende und Studierende, die viel Expertise aufgebaut haben und das in unglaublich kurzer Zeit – die jetzt plötzlich Erfahrungen haben: mit der digitalen Lehre, mit den Tools, die sich aber auch Gedanken machen, welche Konzepte geeignet sind. Und Studierende, die mit dem digitalen Lernen Erfahrungen gesammelt haben. 

Die Technologie dazu wurde sehr schnell ausgebaut, bis zur Gegenwart, in der auf einmal die Möglichkeit besteht, neue Tools zu integrieren, die jetzt plötzlich ja auch notwendig sind, und vorher gar nicht nötig waren. Das ist eine positive Entwicklung. Diese ganzen rasanten Entwicklungen, sowohl in der Kompetenzentwicklung als auch beim Ausbau von Technologie, sind natürlich ein wahnsinniger Kraftakt, und für viele auch sehr anstrengend gewesen. Es werden durch die Expertise auch Verwerfungen offenkundiger, wie man aus einzelnen Rückmeldungen auch hören kann. 

Was für Verwerfungen meinen Sie?

Ich habe diese Information aus dem Forum für Informationen für Studierende. Es wurde dazu aufgefordert, das Lehrende ihre üblichen Veranstaltungszeiten einhalten. Wenn eine Vorlesung von 10 bis 12 Uhr angesetzt war sollte also auch das Onlinetreffen und die Meetings zur gleichen Zeit stattfinden, und nicht nach Belieben andere Termine zum Treffen verabredet werden. Jetzt hat aber offensichtlich ein Dozent gesagt, dass die Lehre nur zur Veranstaltungszeit stattfinden soll, was dazu führt, dass er seine PDFs nur für diesen Zeitraum zu Verfügung stellt. Das ist absurd.
Verallgemeinert kann man sagen: es zeigt sich, dass sehr wenig Erfahrung mit Onlinelehre da ist und dass deswegen viele Fragen auftauchen, zum Beispiel auch in die Richtung, „wie kann ich denn die Anwesenheit kontrollieren?“ oder „wie weiß ich, wer sich überhaupt beteiligt hat?“, solche Fragen haben wir auch schon bekommen. Es war natürlich auch so, dass durch die kurze Vorbereitungszeit die meisten versucht haben, sich technisch kompetent zu machen und dann ihre Inhalte und den Stoff irgendwie gegebenenfalls in anderer Weise zu vermitteln, dass aber die didaktischen Konzepte für die Online-Lehre zu kurz gekommen sind. Das ist auch ein Punkt, wo ich denke, da muss es jetzt auch weitergehen, im Verlauf des Sommersemesters und auch anschließend zum Wintersemester hin. So wollen wir auch unsere Angebote der E-Didaktik aufstellen, dass sich die Lehrenden noch einmal mehr mit didaktischen Möglichkeiten beschäftigen können. Also die Frage, wie sollte gute Onlinelehre gestaltet sein, jenseits der technischen Dimension. 

Wie ist ihr Eindruck, sind die Personen, die vorher Onlinelehre skeptisch gegenüber standen, jetzt weniger skeptisch oder ist das immer noch gleich?

In der E-Didaktik haben wir an dem Punkt mit den Lehrenden zu tun, wo sie sich vermutlich auch schon ein Stück weit damit abgefunden haben, dass sie jetzt digitale Lehre umsetzen müssen. Bei unsrem Kontakt war das nicht das Thema. Es hat sich niemand gemeldet und gesagt „Das geht alles gar nicht und ich weiß eigentlich gar nicht wie ich es machen soll und ich lehne digitale Lehre ab“. Die Fragen waren konkreter. Es kam sicher auch immer wieder zu einem Seufzer a lá „ich weiß überhaupt nicht wie ich das zeitlich schaffen soll, ich kenne die Technik nicht richtig“. Da war es schön zu sehen, dass viele, denen man angemerkt hat, dass sie sich vorher nie mit dem Thema beschäftigt haben, in die Videokonferenzen gekommen sind und mit allen Unsicherheiten und ohne Vorerfahrungen angefangen haben, auszuprobieren. Das ist uns eigentlich allen so ergangen, dass wir keine Erfahrung und keine Routine in den Medien der Kommunikation hatten. Also da sehe ich eher einen sehr pragmatischen Zugang: es muss jetzt sein und wird daher gemacht. Ich glaube viele können dabei etwas für sich entdecken, im Ausprobieren und Experimentieren. Ich glaube auch, dass eine ganze Menge Szenarien erhalten bleiben werden. Manche werden sicher sagen: ich will zurück zur Lehre, möglichst sogar ohne Stud.IPStud.IP und ohne weitere Technik. Aber es gibt auch viele, die das ein oder andere entdeckt haben und dies weiternutzen werden in ihren Lehrveranstaltungen. 

Der Eindruck, den man ohne großen Einblick haben musste, war der, dass in sehr kurzer Zeit ganz neue Tools und Programme aus dem Boden gestampft wurden. Eigentlich gab es diese aber schon länger, und sie wurden nur flächendeckend eingeführt, richtig?

Ja, ich glaube das ist gut ausgedrückt. Es gibt schon viele Tools, die auch schon an der Uni verfügbar waren. Zum einen sind das viele Plugins innerhalb von Stud.IP, zum Beispiel Courseware oder Clocked. Auch die WordPress Blogs werden schon länger benutzt. Dann gibt es Vips, ein Plugin, mit dem man Quizze, Selbsttests, aber auch Klausuren gestalten kann. Ich glaube, dass 90% der Studierenden und Lehrenden diese Tools und Anwendungen gar nicht kannten und diese jetzt erst entdeckt haben. 

Maßgeblich für viele ist das Programm für Videokonferenzen, BigBlueButton geworden. Wie war es bei diesem? Hatte man eh vorgehabt, es größer einzuführen?

Es gab den Bereich „Meetings“ bei Stud.IP den jetzt alle kennen, schon lange. Es war nur bisher so, dass dort Adobe Connect über das Deutsche Forschungsnetz genutzt werden konnte. Im März wurde dann schnell deutlich, dass deren Systeme komplett überlastet sein würden. Auch das Deutsche Forschungsnetz hat die Kapazitäten der Server deutlich ausgebaut. Aber die IT der Uni hat sich dann schnell entschieden, BigBlueButton einzuführen und selber zu hosten. Das läuft auf den eigenen Servern der Uni. Da wurden die Kapazitäten enorm ausgebaut. Das ist das, was in den Lasttests mal durchgeprüft wurde, inwieweit die ausgebauten Kapazitäten reichen würden. Es gab also schon die Möglichkeit, Videokonferenzen bei Stud.IP zu organisieren, auch das war den meisten unbekannt. 

Wenn bald die Klausurenphase ansteht, wird genau dieses Thema dringlich werden. Was ist da der neueste Stand?

Das Thema Klausuren ist bereits jetzt ein sehr dringliches Thema, weil bereits im März mehrere Klausuren nicht stattfinden konnten, mit jeweils hunderten Teilnehmenden. Es gibt Studierende, die Prüfungsleistungen, auf die sie auch schon gelernt hatten, im Februar und März nicht erbringen konnten. Für diese Studierenden besteht zudem die Gefahr, dass sie jetzt bald mehrere Prüfungen in kurzer Zeit ableisten müssen, dass sich die Anzahl an gleichzeitigen Prüfungen also erhöhen könnte. Es gibt zum Thema Klausuren derzeit verschiedene Gruppen, die Konzepte entwickeln. Im Rechtsreferat, im Referat für Studium und Lehre, im Präsidium, die sich sehr intensiv damit beschäftigen, wie Prüfungen jetzt eigentlich stattfinden können.

Klausuren, bei denen Studierende zu Hause schreiben und dabei beaufsichtigt werden, wie man das aus dem Hörsaal kennt,  sind nicht gut möglich. Es gibt zwar solche Prüfungssettings, aber das wird die Uni vermutlich nicht versuchen umsetzen.
Eine andere Möglichkeit sind Open Book Exams. Das sind Klausuren, bei denen Material benutzt werden darf. 

So etwas kann man auch in einem Hörsaal schreiben, dann bringen die Studierenden eben Bücher oder Dokumente mit. Wenn man darüber ein bisschen nachdenkt, was das bedeutet, dass ich in einem Hörsaal gar nichts benutzen darf, dass ich alles im Kopf haben muss, und dass ich zu Hause Material nutzen darf, ist das der Situation insoweit entsprechend, weil zu Hause jede_r ohnehin Unterlagen benutzen könnte. Also dreht man es um und sagt: das ist jetzt erlaubt.

Aber entsprechend müssen dann auch die Klausuren und die Fragen anders aufgestellt sein. Das heißt, es würden sich Klausuren ergeben, die nicht mehr auf auswendig gelerntes, abfragbares Wissen zielen, sondern eine Transferleistung, eine Übertragung von Wissen, eine Anwendung oder Neukombination von Inhalten verlangen. 

Es gibt didaktisch gesehen verschiedene Kompetenzstufen beim Lernen. Die einfachste wäre, etwas zu wissen und abzuspeichern, um es einfach wiederzugeben. Eine sehr komplexe Niveaustufe ist es, wenn man Wissen verwenden kann, um etwas zu analysieren, zu bewerten und daraus auch etwas Neues zu schaffen. Irgendwo zwischen der einfachen Kompetenzstufe und den komplexen werden sich die Fragen im OpenBookExam bewegen müssen. 

Wenn es möglich wäre, würden wir aus didaktischer Sicht empfehlen, weitgehend auf herkömmliche Klausuren zu verzichten und stattdessen alternative Prüfungsformate wie Hausarbeiten, Gruppen- und Projektarbeiten zu nutzen. Die klassische Multiple Choice Klausur hat ja auch den Sinn, dass sehr große Vorlesungen einigermaßen zügig abprüfbar sind. Da wird der Aufwand für Lehre vermutlich deutlich erhöht werden.

Es deutet alles darauf hin, dass Klausuren geschrieben werden müssen, die von den Lehrenden bei der Erstellung und der Korrektur mehr Aufwand erfordern. Erstmal wird es schwerer, Fragen und Klausuren zu konstruieren, die ein höheres Kompetenzniveau abprüfen. Und es wird aufwendiger, die Klausuren zu kontrollieren. In Vorlesungen mit 300, 400 oder 500 Teilnehmer*innen werden Multiple-Choice-Klausuren gerne gewählt, weil sie schematisch zu korrigieren sind.  Das sind Klausuren, die sich eigentlich sehr gut durch elektronische Klausuren abprüfen lassen würden – wenn man nicht das Problem der Aufsicht hätte. Elektronische Klausuren, vor Ort mit Aufsicht, eigenen sich sehr gut für Multiple Choice Klausuren. Jetzt ist es aber so, dass wahrscheinlich Open Book Exams geschrieben werden, die komplexere Antworten erfordern und wo die Bewertung und die Korrektur schwieriger werden wird. Es ist möglich, das zu machen, dann müssen von den Lehrenden ausführliche Musterlösungen vorgegeben werden, mitkleinteiligen Bewertungsrastern, wo dann auch wieder mit vielen Personen relativ schnell bewertet werden kann. 

Das klingt aufwendig, aber das ‚Bulimie Lernen‘, das kurzfristige Reproduktionswissen, ohne Zusammenhägen zu verstehen, wurde von vielen schon lange kritisiert, insofern könnte man es auch als einen ungewollten, positiven Nebeneffekt ansehen.

Das sehe ich auch so. Die Auseinandersetzung mit den Klausuren kann dazu führen, dass die Lernkultur, die oft im auswendig lernen besteht, noch einmal hinterfragt wird. 

Mündliche Prüfungen sollen dann über Big Blue Button abgeprüft werden?

Soweit ich weiß, finden mündliche Prüfungen bereits statt. Sowohl das Rechtsreferat als auch die IT haben sich darauf eingestellt und es gibt ziemlich genaue Rahmenbedingungen, in denen beschrieben steht, wie mündliche Prüfungen über Videokonferenzen stattfinden können. 

Gibt es aktuelle Formate in der digitalen Lehre, die Sie für besonders gelungen halten?

Ich hatte zwei Lehrende, die eine ausführlichen Beratung in Anspruch genommen haben – sie hatten aber auch schon ein ausgereiftes Konzept, wie sie ihre Seminare umbauen wollen und welche Tools sie dafür einsetzen wollen. Die Studierende lesen Texte, dann soll es Online-Meetings in Videokonferenzen geben, wo darüber gesprochen wird, mit einer genauen Überlegung, wie sie die Breakout-Rooms, also die Gruppenarbeitsräume, nutzen wollen. Diese synchrone Zusammenarbeit wird ergänzt durch das Wiki oder das Forum in Stud.IP, wo auch asynchron, außerhalb der Vorlesungszeit, Fragen gestellt oder Diskussionen geführt werden können. Ich glaube, dass bei vielen Lehrenden schon sehr, sehr schöne Konzepte entstanden sind. Was zu einem guten Konzept für die Online-Lehre dazu gehört, ist die Kombination aus verschiedenen Werkzeugen, Kommunikationswegen, und Wegen, Inhalte bereit zu stellen. Es geht doch immer darum, wie man Inhalte bereitstellt, das kann als Vortrag sein, durch Texte sein oder durch Videos. Ergänzend dazu braucht es dann die Möglichkeit zu diskutieren und Fragen zu stellen. Das kann man im Format der Onlinekonferenz machen, dazu kann man aber auch ein Forum nutzen. Es braucht aber auch Formate, an denen Studierende Beiträge leisten, und etwa in Seminaren etwas produzieren. Auch sie können Videos erstellen, in dem sie zum Beispiel etwas erklären oder Fragen stellen. Studierende können in Blogs Beiträge schreiben, sich dort mit Texten auseinandersetzen. Zu einer gelungenen Veranstaltung gehört die Kombination verschiedener Wege. 

Wir haben das bei den Beratungsseiten der E-Didaktik so beschrieben, dass erstens Inhalte und Materialien bereit gestellt werden müssen, zweitens muss Austausch und Kommunikation stattfinden, wofür es unterschiedliche Weg gibt, und dann müssen drittens Arbeiten für Studierende bereit gestellt werden und Tests, und dafür gibt es dann weitere Tools. Darüber hinaus braucht jede Veranstaltung auch eine Form von Organisation, also sich einfach Nachrichten schicken, über Termine zu informieren, Gruppen zu bilden, zusammenzufinden, und auch dafür haben wir dann Tools aufgelistet und beschrieben, die sinnvoll sind. Ich denke, dass jede Lehrveranstaltung eine Kombination dieser verschiedenen Funktionalitäten braucht, also Inhalte, Kommunikation, Organisation und Beiträge von Studierenden oder auch deren gemeinsames Arbeiten. 

Merkmale einer guten Online-Lehre nach Carola Schirmer:
-> eine  Kombination aus unterschiedlichen Materialien, Kommunikation und Aufgaben: 
+ aufgezeichnete Vorträge oder Erklärvideos 
+ Bücher, Texte oder selbstverfasste Skripte
+ ein Forum oder Wiki für Kommunikation, Fragen, Diskussion
+ regelmäßige Online-Meetings (synchron) für Fragen und Diskussion
+ verschriftlichte Protokolle von Diskussionen (von Studierenden erstellt)
+ Aufgaben für die Studierenden in Blogs, als Dateien (Arbeitsaufträge), in Clocked, Courseware oder Vips

Wichtig ist dazu, dass Raum für Soziales und Interaktion geschaffen wird:
+ Studierende stellen sich vor (im Forum, mit Audio- oder Videodatei)
+ Es gibt Peer-Feedback und / oder Feedback von Lehrenden
+ Es gibt Gruppenarbeit z.B. in Vips, im Blog, in Courseware oder mit Dokumenten in der Cloud

Ein begleitendes Thema in der Debatte ist der Datenschutz, welchen Umgang empfehlen Sie aktuell?

Das Thema ist schwierig, aber auch gar nicht schwierig. Die Vorschriften sagen ganz klar, dass die Tools benutzt werden sollten, die die Uni zur Verfügung stellt, und Software, die auch auf den Servern der Uni gehostet ist. Das heißt, sämtliche Daten, die erzeugt werden, also auch alle personenbezogenen Daten, sind dann nur auf dem Server der Universität Oldenburg gespeichert. Beim Thema Datenschutz ist es eine wichtige Frage, wo die Server stehen. Wenn das Anbieter sind, die sich in Deutschland oder der EU befinden, dann gelten entsprechend die EU-Datenschutzverordnungen. Von daher ist es aber am einfachsten, wenn es Werkezeuge und Software der Uni Oldenburg sind. Insofern finde ich es auch sehr gut, dass die IT-Dienste daran arbeiten, die benötigten Werkezuge selbstständig zur Verfügung stellen, wie zum Beispiele BigBlueButton. Es gibt auch die Möglichkeit, einzelne Tools zu nutzen, die wir nicht an der Uni haben, wie Mentimeter, Cryptpad, Etherpad oder auch Padlet, enn man darauf achtet, dass der Datenschutz trotzdem gewährleistet ist.

Gibt es Versuche für diese Anwendungen auch interne Lösungen zu integrieren?

Für viele Tools gibt es noch keine internen Plugins, zum Beispiel gibt es keine Alternative zu einem Padlet.
Es wird auch in der Cloud einiges ausgebaut, d.h. über cloudstorage.uol.de. Das gibt es ja schon als Dateiablage, aber integriert ist dort auch Only Office, um Dokumente in Office Formaten zu bearbeiten. Neu dazu gekommen ist Talk, ein Chat Tool, es gibt unter den Dokumenten jetzt auch die Möglichkeit Mind Maps zu erstellen und zu bearbeiten, dann sind jetzt auch Circles (Kreise) dazu gekommen, mit dem man Personen in Gruppen einteilen kann, so dass man für diese zum Beispiel schnell etwas freigeben kann oder in diesen Gruppen kommunizieren. Neu ist auch das so genannte ‚Deck‘, was einem Kanban Board aus dem Bereich des Projektmanagement entspricht, wie man es zum Beispiel von einem bekannten externen Programm wie Trello kennt. Jetzt haben wir ein kleineres Pendant auch in der Uni-Cloud. Das wichtige bei der Uni-Cloud ist, dass man sie vorher einmalig aktivieren muss, auf den Seiten der IT-Dienste gibt es dafür einen Link. 

Wie beurteilen Sie die Unterschiede der verschiedenen Fächer und Disziplinen? Gibt es Fachbereiche, bei denen digitale Lehre keinen großen Sinn macht? 

Es gibt keine kompletten Fachbereiche, wo man nicht online bzw. digitale Lehre machen kann. In fast jedem Fach gibt es Anteile des Lesens und Schreibens oder es können Inhalte über Video aufgenommen oder erarbeitet werden. 

In Musik werden Instrumente gespielt oder Unterrichtsstunden gegeben – das geht in Videomeetings. In Kunst werden praktische Arbeiten mit Materialien erstellt: die können per Foto oder Video dokumentiert und beschrieben und z.B. in Blogs präsentiert werden. Hier fehlt aber vermutlich manchmal der richtige Raum, die Werkstatt mit Material und das gemeinsame Üben. 

Sport ist sehr schwierig. Hier können derzeit nur theoretische Teile online stattfinden – keine praktischen Übungen.

Schwierig wird es auch bei Laborarbeiten (Naturwissenschaften), bei praktischen Anteilen der Medizin und bei Schulpraktika, die im Moment sicher nicht stattfinden, sondern nur vor- oder nachbereitet werden können.

Natürlich lassen sich nicht alle Aspekte gleichermaßen digitalisieren. Die sozialen Kontakte auf dem Campus lassen sich nicht ganz abbilden, und diese haben nicht zuletzt auch etwas mit Lernprozessen zu tun, insofern man im Austausch in den Seminarräumen, vor und nach dem Seminaren, auf dem Flur oder in der Mensa, wichtige Inhalte nachbesprechen kann, andere Erklärungen hört und Lerntipps austauscht, sich für Lerngruppen verabredet. Gibt es Versuche das zumindest zu ermöglichen?

Ich kann das aus der Erfahrung in der Arbeit im Referat für Studium und Lehre berichten, wo wir mit Videokonferenzen kommunizieren. Wir haben hier sehr schnell zwei Mal am Tag einen Pausenraum eingerichtet und genutzt, mit festen Zeiten, wo sich diejenigen, die zusammen einen Kaffee trinken wollen in einer speziellen Videokonferenz treffen können. Ich denke, dass das soziale Miteinander und auch die zum Teil zufälligen Begegnungen, wo es auch zu einem Austausch von Inhalten kommt, sich nur teilweise abbilden lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass, wenn es darum geht, von anderen noch etwas zu erfahren – Welche Veranstaltung ist interessant? Welches Buch muss ich hierfür noch lesen? Wann ist der Termin für die Nachbesprechung? – dass sich das im Grunde gut in einem Forum machen lassen würde. Wenn die Studierenden in einer Veranstaltung ein Forum nutzen oder, in Klammern gesagt, eine WhatsApp-Gruppe für eine Veranstaltung begleitend aufmachen, dann kann man da auch Fragen stellen und Antworten finden, sich über Themen austauschen. Die Infos sind dann auch einsehbar, anders als wenn sich zwei Personen treffen und austauschen und andere davon nichts mitkriegen. In einem Forumsformat ist es so gesehen auch nachhaltiger. Es gibt aber natürlich auch einen Aspekt des Sozialen, sich über persönliche Sachen auszutauschen, wie es einem gerade geht, ob man im persönlichen Umfeld vielleicht gerade Schwierigkeiten hat oder sich mit etwas schwertut, dafür sollten alle individuell versuchen sich „Räume“ zu schaffen. Ich kann mir vorstellen, dass diejenigen, die gut vernetzt sind, sich dafür auch die Tools der Uni oder externe Tools zu Nutze machen.

Das berührt einen Punkt, den man beobachten kann: diejenigen, die auch sonst schon keine großen Probleme haben mit einem Thema oder einem Bereich, die wissen auch jetzt, wie man digitale Möglichkeiten für sich nutzt. Ich denke man kann sich aber schon Sorgen machen um andere Fälle, die eine sowieso schon vorliegende Vereinzelung und Vereinsamung noch verstärkt. 

Da sprichst du etwas Wichtiges an. Das gilt für die Studierenden an der Uni als auch für ganz viele Schülerinnen und Schüler. Diejenigen, die von sich aus in der Lage sind, sich zu organisieren, Kontakte haben und kommunizieren, sind diejenigen, die das auch jetzt neu organisieren. Für manche aber, die sowieso schon in der Gefahr sind, zu vereinsamen, ist es eine sehr schwierige Situation. Was wegfällt, ist die Struktur, durch den Ort der Universität, durch die Stundenpläne, durch den Gang in die Mensa, wo man sich immer auch einmal anderen anschließen kann, und so Kontakt findet. Da wäre es schön, wenn die Lehrenden das auch als einen kleinen Teil ihrer Veranstaltungskonzepte integrieren. Zu einem Onlineseminar gehört, dass die Teilnehmenden sich vorstellen. Das kann man im Forum machen, das man aber als Lehrende_r auch anbieten sollte als Kommunikationsort. Das kann man mit kleinen Videos machen. Auch darüber hinausgehend können es die Lehrenden anregen, dass in Arbeitsgruppen gearbeitet wird. Für diese Arbeitsgruppen können auch digitale Umgebungen geschaffen werden. Man kann in Stud.IP die Teilnehmenden einer Veranstaltung in Gruppen aufteilen, die Gruppen können dann Tools aus Stud.IP  nutzen. Dann lassen sich Blogs für Gruppen einrichten, so dass auch dort Studierende in Gruppen zusammenarbeiten können. Jenseits der einzelnen Veranstaltung gibt es in Stud.IP auch die Studiengruppen, was inzwischen ja auch viele wissen. Es ist sehr spannend für Studierende und Lehrende gleichermaßen: jede Person der Uni kann sich eine Studiengruppe einrichten und innerhalb der Gruppe mit anderen Menschen austauschen und kommunizieren. Dort kann man auch die ganzen Tools ausprobieren, die Stud.IP bietet. 

Was sind aktuell weitere problematische Baustellen beim aktuellen Stand der digitalen Lehre?

Bei der Umsetzung der digitalen Lehre ist mir aufgefallen, dass Barrierefreiheit, wie so oft, wieder zu kurz kommt. Also wenn man daran denkt, dass es Studierende gibt, die nicht sehen oder hören können, dann ist es mit Videos sehr schwierig. Die meisten Videos sind ohne Untertitel erstellt worden. Wer gehörlos ist, kann den Inhalt also nicht mitnehmen. Da ist sehr viel nachzubessern.  

Wenn man Websites nutzt, sollte man darauf achten, dass die Inhalte klar strukturiert sind und vielleicht auch nicht immer jede schicke Funktion nutzen, vielleicht auch keine Bilder. Es gibt Screenreader, die das, was man auf dem Bildschirm steht, für Blinde etwa, vorlesen und in Audio übersetzen. Bilder und Grafiken können da nicht vorgelesen werden. Es wäre also wichtig, diese auch noch textlich darzustellen. 

Sprechen wir abschließend einmal über die irgendwann erfolgende Rückkehr zur Präsenzlehre. Viele haben jetzt notgedrungen einen Crashkurs in der digitalen Lehre mitgemacht. Wie wird das auch die Präsenzlehre verändern? Wie kann man die Rückkehr dahin gehend gut gestalten, dass die gemachte Lehrerfahrung nicht einfach wieder vergessen wird?

Von Seiten der E-Didaktik können wir weiterhin Angebote machen, die wir auch in der Vergangenheit schon gemacht haben: Workshops anbieten, in denen Lehrende ihre eigenen Veranstaltungskonzepte überarbeiten und mit der Unterstützung digitaler Medien gestalten können, mit dem wichtigen Aspekt, wie das Ganze auch didaktisch gut gestaltet ist. Das wäre dann eben nicht mehr die reine Online-Llehre, sondern eine Kombination von Präsenzlehre mit digitalen Tools. Ich würde mir das wünschen, und das gar nicht deswegen, weil ich per se digitale Medien ganz toll finde und denke, dass man den Umgang damit lernen muss, sondern ich glaube, dass in einigen Punkten die digitalen Medien gut genutzt werden können um den Austausch tatsächlich zu verbessern, um mehr Beteiligung von Studierenden erreichen zu können, um aber auch die Kommunikation von Lehrenden und Studierenden zu verbessern. Hier gibt es z.B. das Konzept des „flipped clasroom“ oder „inverted classroom“, das schon seit einiger Zeit ein vieldiskutiertes Thema der Hochschuldidaktik ist: Inhalte, wie zum Beispiel Vorträge in Vorlesungen, werden hier vorab aufgezeichnet, so dass die Studierenden es sich ansehen können, um dann, wenn der Veranstaltungstermin ist, mit den Lehrenden zusammenzukommen und sich direkt über Fragen austauschen zu können. Man muss also nicht 90 Minuten in einem Vorlesungssaal sitzen, von denen 85 Minuten reines Zuhören sind, sondern man hat die Möglichkeit, die gemeinsame Zeit viel besser zu nutzen. Letztlich ist es so, dass man dies natürlich niemandem vorschreiben kann, dass jetzt weiterhin digitale Werkzeuge benutzt werden. Ich denke aber, dass ganz viele Lehrende und Studierende für sich Vorteile bemerken, bei einzelnen Tools und in bestimmten Lernsettings und Lernszenarien. Ich hoffe, dass sie das dann in Zukunft auch weiter nutzen. 

Dieser Prozess wurde paradoxerweise dadurch enorm gefördert, dass nur wenig Zeit zur Verfügung steht, um Neues zu lernen und umzusetzen. Die Folge ist der Verzicht auf Perfektionismus und – notgedrungen – die Bereitschaft zu experimentieren. Dagegen war bisher doch häufig die Sorge von Lehrenden, dass etwas mal nicht funktionieren könnte oder sie die Technik evtl. nicht perfekt beherrschen würden, ein Hemmnis für die Veränderung der Lehre.

Das gegenseitige Verständnis und die Nachsicht, gleich ob von Lehrenden, Studierenden oder anderen Mitarbeiter*innen, wenn etwas beim ersten Versuch nicht gleich klappt, war in den vergangenen Wochen immer wieder zu spüren. Um es zu illustrieren: viele sind sich in Videokonferenzen mit all ihren Aussetzern und Mängeln oder den eigenen fehlenden Erfahrungen in einer neuen Weise nähergekommen. Und dies liegt nicht nur an den Einblicken in Küchen, Wohn- oder Arbeitszimmer durch die auch schon mal die Kinder oder die Katzen spazieren.

Interview von Ulrich Mathias Gerr

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