„Tanz die soziale Distanz“ von Theodor Shitstorm

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Interview mit dem Musiker und Regisseur Dietrich Brüggemann

🎙️Auch Thema im Podcast!

Die Ärzte haben es getan, Fatoni hat es getan, Tocotronic hat es getan – einen Song zur Corona-Zeit aufzunehmen und online zu veröffentlichen. Auch das Hamburger Duo Theodor Shitstorm um die Sängerin Desiree Klaeukens und den Songwriter und hauptberuflichen Filmregisseur Dietrich Brüggemann hat einen solchen gemacht – ‚Tanz die soziale Distanz‘. Die kleine Weltbühne sprach mit Dietrich Brüggemann über den Song, warum viele Corona-Lieder eigentlich problematisch sind – und das Verhältnis von Film und Popmusik. 

Ich bin über die Recherche zum Thema der Ausgabe auf euch gestoßen. Was hat euch an dem Begriff und dem Wort soziale Distanz interessiert? Es scheint sich ja erstmal nicht gerade für den Refrain eines Popsongs aufzudrängen.

Das Wort war auf einmal überall. Durch die Corona-Pandemie hat man es ja auf einmal mit einem vollkommen anderen Alltagsvokabular zu tun und man hantiert damit freihändig, als ob es das schon immer gegeben hätte. Aber das sind ja eigentlich vollkommen monströse Wörter, mit denen man da den ganzen Tag hantiert. Social Distancing, Maßnahmen, Lockerungen und so weiter. Soziale Distanz fand ich dann erst einmal ein seltsames Wort. ‚Sozial‘, das heißt normalerweise gesellschaftlich und es hat in der Benutzung eigentlich einen positiven Unterton. Etwas was man „sozial“ nennt, das findet man landläufig doch erstmal gut. Dann kommt der Begriff ‚Social Distancing‘, und sozial wird, dass man auf einmal Abstand voneinander halten soll, also eigentlich etwas Unsoziales, was aber als übergeordneter Zweck vielleicht wieder sozial ist. Es ist eine komplexe Gemengelage, die damit zusammenhängt. Und es war für uns darüber hinaus natürlich auch eine reine Wort- und Klangspielerei, die Tatsache, dass in der ‚Distanz‘ zufällig das deutsche Wort ‚Tanz‘ drin steckt. 

Der Song ist eine Referenz auf den im März verstorbenen Gabi Delgado und den Song seiner Band DAF ‚Der Mussolini‘, richtig?

Ja, es ist diese musikhistorische Referenz. Gabi Delgado ist gestorben und dann lief im Radio den ganzen Tag einer der bekanntesten Songs von seiner Band DAF, in dem es heißt: „Tanz den Mussolini“. Da kommt auch immer der Imperativ, ‚Tanz dieses‘ und ‚Tanz jenes‘. Daraus hat sich der Einfall ergeben: „Tanz die soziale Distanz“. 
In dem Song von DAF gibt es auch so einen bestimmten, wiederkehrenden Imperativ, nämlich „klatsch in die Hände“ und ich hab‘ den Song in diesen Tagen immer gehört und verstanden „Wasch dir die Hände“. Das war in den Wochen, wo alle vollkommen durchgedreht sind. Immer wenn man kurz draußen war hat man sich die Hände gewaschen und genau überlegt wen man anfassen soll. Alle waren in der Corona-Panik. Aus dieser Situation ist dann das Lied entstanden.

Der DAF-Song ist ja sehr bedrohlich und düster, euer Lied ist dagegen trotz des ja bedrückenden Rahmens, den du gerade beschrieben hast, ein sehr fröhlicher Popsong geworden. Gerade der Kontrast kreiert dann die spezielle Stimmung des Liedes. Was würdest du zu dem Kontrast und den Möglichkeiten des Einfangens einer Stimmung aus dieser sehr speziellen Zeit sagen?

Wenn man ein Video so crowdsourcet und seine Fans um Videobeiträge bittet, wie wir es gemacht haben, fängt man automatisch die Stimmung des Moments ein. Die Leute bringen die Stimmung sozusagen mit, indem sie sich aufnehmen, wie sie da alle zuhause sitzen. Das ist gewissermaßen auch die Ästhetik des Corona-Lockdowns, irgendwelche schlechten Skypebilder in unaufgeräumten Wohnzimmern. Die Stimmung des Moments ist aber so eine Sache. Die Düsternis der 80er-Jahre, die habe ich als kleines Kind noch mitbekommen, diese No Future-Weltuntergangsangst-Stimmung. Das war ja eigentlich mehr ein Lebensgefühl, als dass es auf tatsächlichen Lebensumständen basiert hätte. Es war in vielerlei Hinsicht die Projektion eines zukünftigen Untergangs. Das Lebensgefühl war: der Atomkrieg steht bevor, wir steuern auf den Untergang zu – er ist aber noch nicht da. Das Lebensgefühl bezog man aus diesem Zukunftsgefühl, aus dem was kommen wird. Aber wenn tatsächlich etwas gekommen ist, wenn ein Ereignis da ist, wenn man dann eine Pandemie hat, dann erlebt man es so: ok, alle müssen ein bisschen zu Hause bleiben, es ist Lockdown, in den Nachrichten erfährt man, wie schrecklich alles ist und dass man demnächst X-Millionen Tote haben wird, die Triage ist unvermeidlich und alle sitzen davon zu Hause und sind Angst und Bange. Das ist eine andere Form der Stimmung. Es ist eigentlich etwas völlig Absurdes. Das war weniger Weltuntergangstimmung als die Stimmung eines absurden Theaterstücks. Die Städte sind komplett leer und aus dieser Leere kann man sich bestimmte Sachen hochrechnen. Es gibt viele Leute, die etwa ein Kaffee betreiben und die jetzt vor dem Ende ihrer Existenz steht. Aber auch das nimmt man nicht wahr, man weiß es nur. Das war die Stimmung dieser Wochen. Diese Absurdität ist in den Song gerutscht.


Hat sich die Situation auch in das Songwriting niedergeschlagen`? Habt ihr ihn gar über eine der typischen Videokonferenzen geschrieben?

Nun, Desiree Klaeukens meine Bandkollegin, und ich, wir wohnen in der gleichen Stadt. Den Song zu machen war generell meine Idee und der Text ist auch von mir. Die Musik haben wir uns zusammen zusammengebastelt und uns dann zum Aufnehmen auch getroffen. Ich weiß gar nicht wie die Regeln zu dem damaligen Zeitpunkt waren, ob wir durch unser Treffen eine Ordnungswidrigkeit begangen haben. Wir haben uns jedenfalls getroffen und den Song zusammen eingespielt. Aber auch nur ein einziges Mal. 


Ihr habt in einem Statement parallel zur Veröffentlichung des Songs und des Videos verkündet, dass ihr eigentlich kein Lied zum Thema Corona machen wolltet. Man konnte in den Wochen ja den Eindruck bekommen, dass das jetzt ein eigenes Untergenre gewesen ist – der Coronasong. Da ihr geschrieben habt, dass ihr eigentlich keinen machen wolltet, habe ich es auch als Kritik an dieser Haltung, jetzt unbedingt einen Song zu Corona zu machen verstanden. Ist das richtig? Was seht ihr daran kritisch?

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dass ich keinen Corona-Content produzieren wollte. Ich wollte auch keinen Corona-Content konsumieren. Das war erstmal so ein Grundgefühl. Ich beobachte das beim Film, dass da irgendwelche Regisseure und Schauspieler Spontanaktionen machen. Diese Schnellschüsse, die schnell auf irgendeine Situation reagieren, bei denen ist das Ding ganz einfach: ich finde sie meistens nicht gut. Ich hatte das Gefühl, ich will nicht einer von denen werden, die jetzt aus Panik Content produzieren. Es ist ein Kurzschluss in der Krise, eine Manifestation des Bedürfnisses zu sagen: ich bin noch hier, indem ich etwas zu dieser Krise mache. Und ich dachte mir, dass ich mir diesen Kurzschluss spare und lieber das mache, was ich sowieso mache. Es war also der erklärte Plan zu sagen: ich mache keinen Corona-Content. Auch in meinem Hauptberuf, denn ich bin ja eigentlich Filmemacher. Aber dann kam die Idee für den Song und die war zwingend. Natürlich hätte es die Idee nicht gegeben, wenn es den Lockdown nicht gegeben hätte, aber als Idee war sie auch unabhängig davon zwingend. 

Was genau war das Zwingende?

Ich mag es, wenn Popmusik sich sozusagen mit anderer Popmusik unterhält, wenn man intertextuell mit einem Song auf einen anderen Song reagiert. Also wenn Popmusik in einem gedanklichen Raum stattfindet, den es auch schon woanders in der Popmusik gibt. Das ist in der Popmusik erstaunlich selten. Die meisten Popsongs handeln von den üblichen Lebensthemen wie Liebe und Tod und Leiden. Das ist ja an sich auch völlig ok. Aber dass ein Popsong einfach mal Musikgeschichte selbst erwähnt, ohne dabei so naseweise oberschlau zu sein, finde ich eine eigene Qualität. Diese Idee hatte dadurch eine gewisse Autorität. ‚Tanz die Soziale Distanz‘ musste deswegen gemacht werden. Der Song war schnell geschrieben und damit habe ich dann meinen eigenen Vorsatz gebrochen und Corona-Content produziert. 

Dieser Ansatz mit intertextuellen Referenzen zu arbeiten hast du auch in deiner Arbeit als Regisseur schon verfolgt, wenn man etwa an den Murot-Tatort ‚Murot und das Murmeltier‘ und dessen Bezug zum Film ‚Und täglich grüßt das Murmeltier‘ denkt. Glaubst du, dass die Methode der intertextuellen Referenz ein im Film öfter praktiziertes Ausdrucksmittel als in der Musik ist und deine Weise Musik zu machen daher eine filmische ist?

Ich sehe die beiden Bereiche tatsächlich nicht so getrennt. Ob ich einen Song schreibe oder einen Film mache, ich reagiere auf gesellschaftliche Verhältnisse, Gegebenheiten und Material, das man vorfindet. Es wäre anders, wenn ich eine Symphonie schreibe, weil da das Material abstrakt ist. Film und Popmusik sind aber in einem ähnlichen Spannungsfeld: einmal in dem der riesigen Themen des Lebens, die letztlich wohl immer ungefähr gleichbleiben: Wie will ich mein Leben führen? Wie funktioniert das mit der Liebe? Wie umgehen mit zwischenmenschlicher Interaktion und dem Generationenverhältnis? Die Probleme des menschlichen Lebens. Und dann in dem von konkreten, tagesaktuellen Dingen: Was ist in unserer Zeit, in unserer Generation so und nur jetzt so und war vorher anders. An dieser Schnittstelle bewegt sich ein guter Film, aber auch ein guter Popsong. Film und Popmusik haben generell sehr viel miteinander zu tun, es sind die zwei Pfeiler der Popkultur aus dem Zwanzigsten Jahrhundert. 

Es gibt dann offenbar zwei Arten von Aktualität, die eine versperrt sich einem ästhetischen Zugang, wie es die Erklärung für die Abneigung eines Corona-bezogenen Songs war, und eine andere, die gerade Gegenstand eines guten Songs oder Films ist?

Ja, da meine ich zwei verschiedene Sachen. Das eine ist die Tagesaktualität in dem Sinne, was in der Tageszeitung steht: neuer Lockdown, Castortransport, Bundestagswahl. Ich glaube es gibt aber auch noch ein Problem mit Schnellschüssen im Fall von Corona. Das Problem ist gar nicht unbedingt, dass sie sich auf Tagesaktuelles beziehen. Man kann darauf an sich schon gut reagieren. Ich glaube aber, bei ästhetischen Schnellschüssen ist etwas anderes schwierig, nämlich wenn es den zentralen Impuls betrifft. Wenn es der zentrale Impuls ist, aus dem man es macht, und das war bei Corona glaube ich oft so, zu sagen „ok, das ist jetzt so brandaktuell, also wir müssen deswegen jetzt ganz schnell irgendwas machen“. Ich glaube viel Corona-Content – Filme, Serien, Songs – sind aus genau einem solchen Grundgefühl entstanden: „die Situation jetzt ist so einmalig, da müssen jetzt auch unbedingt was machen“. Das ist kein guter Ansatz um Kunst zu machen! Ich glaube es geht andersrum, wenn man zu einer Sache eine gute Idee hat und sagt „diese Idee ist großartig, das muss gemacht werden“, weil die Idee toll ist, und nicht weil der Moment es verlangt irgendwas zu machen. Es ist in der Kunst nie so geil, wenn man nur irgendwas macht, um irgendwas zu machen. 

Es ist vermutlich bedingt durch den größeren Output, den Kunst unter den Bedingungen von Social Media zu verlangen scheint, was an sich aber eigentlich weniger eine Haltung der Kunst als eine des Journalismus ist.

Genau. Es ist ein Aktionismus, in dem die Aktion wichtiger ist als der Inhalt. Diese Haltung sehe ich in der Kunst sehr kritisch.

Was euren Song von vielen anderen zum Thema Corona unterschieden hat, war eine spürbare Zurückhaltung, die Situation in die eine oder in die andere Richtung zu bewerten. Das scheint mir auch sonst bei euch, im Gegensatz zu einem Trend in der Popmusik, zu stehen, mit der Musik eine moralische Haltung mit zu liefern. Ihr macht in diesem Sinne keine ‚moralische‘ Musik, würdest du dem zustimmen?

Ja, das ist allerdings so. Diese moralische Geste finde ich in der Kunst auch meistens nicht so spannend. Eindeutige Sachen, zu denen ich dann eigentlich nur „Ja“ sagen kann finde ich einfach nicht sonderlich herausfordernd. Es ist künstlerischer immer interessanter, Dinge zusammen und durcheinander zu schmeißen und zu schauen, wie sie dann miteinander reagieren. Auch wenn ich eine Meinung zu einem Thema habe, geht es mir nicht darum, diese Meinung dann einfach in der Kunst kundzutun. Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Propaganda zu machen für meine Meinung und für meinen Blick auf die Verhältnisse. Das scheint natürlich dann und wann auch einmal durch. Aber ich denke, dass die Welt so komplex ist, dass man dieser Komplexität auch irgendwie Rechnung tragen muss, man muss sich ihr erkenntlich zeigen. Es gibt doch nichts Langweiligeres als in der Kunst zu sagen: „hier, guck mal, das ist doof!“ Es ist in moralisch eindeutig Fällen dann zwar gerechtfertigt und lässt sich darauf bezogen dann auch gar nicht anders machen, aber interessanter sind die Themen, in denen die Dinge auf unerwartete Art und Weise miteinander reagieren und Fragen aufwerfen. Bei dem ganzen Lockdown, der für viele Menschen erstmal vor allem nervig und dumm war, in dem Leute zu Hause sitzen und ihren Job nicht mehr machen können, in dem sie ihre eigenen Kinder selbst beschulen müssen, sich auf die Nerven gehen, und so weiter – aus dieser Situation einen Tanz zu machen, das war das überraschende Element. Ich fand diese Form interessanter als wenn ich gesagt hätte „Ich finde das Virus doof“. Kunst ist auch dafür, den Kopf freizumachen und mich Dinge sehen zu lassen, die mir sonst vielleicht nicht eingefallen wären. 

Wenn man sich in der Corona-Zeit euer Album angehört hat, dann erschien es einem in vielerlei Hinsicht auf einmal ein nostalgisches Album zu sein, weil ihr dort Sachen besingt wie Reisen, im ersten Song „Getriebeschaden in der Slowakei“ und Backpacking, also etwas was während des Lockdowns wie aus einer anderen Zeit erschien. Der nostalgische Eindruck wird aber auch durch eure Musik unabhängig von der Situation noch bestärkt. Seid ihr eine nostalgische Band?

Das weiß ich gar nicht so genau. Die Platte ist so entstanden, dass wir auf den Balkan gefahren sind und dort Songs geschrieben haben. Die Reise fing dann tatsächlich mit einem „Getriebeschaden in der Slowakei“ an. Die Sachen, die uns da beschäftigten, sind natürlich Sachen, die jetzt im Lockdown nicht möglich sind, aber die ja hoffentlich bald wieder möglich sein werden. Es kann ja kein Dauerzustand sein, dass man in kein anderes Land reisen kann. Ich hoffe natürlich, dass die Sachen, die wir gemacht haben, dann auch in der Situation nach Corona ihre Gültigkeit behalten, weil das ja auch etwas ist, was man sich insgeheim bei aller Kunst und Kultur wünscht, dass es überzeitlich ist und auch Menschen in veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen noch etwas sagt. Nostalgie habe ich daher nicht so richtig in der Platte gesehen. Eine gewisse Daseins-Traurigkeit ist in vielen Liedern sicher drin, die ja auch von gescheiterten und verkackten Liebesbeziehungen handeln. Da ist Nostalgie nie weit weg. 

In einem Lied wie dem Song „Mama, schick mir die Platten von Reinhard Mey“ scheint einen die Nostalgie ja aber doch anzuspringen

Ach ja klar, den hatte ich gerade vergessen. Das Lied ist natürlich ein Schlachtfest der Nostalgie. Es geht um den traurigen Hundeblick in die eigene Kindheit. Wir sind ja auch eine Generation, die sich viel in einem Blick in eine bundesrepublikanische Jugend wälzt, der auch wirklich Nostalgiebehaftet ist. Auch dieses ganze Tatort-Abfeiern gehört dazu, weil es die Wiederholung einer Kindheitserinnerung ist, Sonntag abends von Mama in die Badewanne gesteckt werden und dann kommt der Tatort. Der Song ‚…die Platten von Reinhard Mey‘ gehört in diese Richtung. Der Song ist eigentlich per Zufall entstanden, ich saß nachts in einer Kneipe von einem Musikproduzenten der erzählt hat, dass er demnächst mit Reinhard Mey zu tun hat, dass er etwas mischen muss, was Reinhard Mey gemacht hat. Ich glaube er hat dann erzählt, wie er seine Mutter angerufen hat und zu ihr gesagt hat ‚Mama, schick mir die Platten von Reinhard Mey!‘ weil er für diese Arbeit da rein hören wollte. Und ich habe sofort gedacht: „Moment, was du gerade gesagt hast, das ist ja wohl ein perfekter Songtitel! Den schreibe ich“. So entstand der Song. Gleichzeitig ist der Song auch noch ein Rekurs auf einen Song, der eine Generation älter ist und auch da einen Rückblick auf die Kindheit hat. Die Referenz ist vermutlich nicht so eindeutig, aber es gibt einen Song von Heinz Rudolf Kunze, aus den Achtzigern und der heißt ‚Wunderkinder‘. Das Lied behandelt das Lebensgefühl von Kunzes Generation, also von den in den 50er-Jahren geborenen, es ist ein Lebenslauf dieser Generation, geschrieben in der Ich-Perspektive. Den Song hatte ich irgendwie im Kopf. Es gab in der Stadtbibliothek in dem Ort, wo ich aufgewachsen bin, ganz viele Heinz Rudolf Kunze Platten, deswegen kenne ich die irgendwie. ‚Mama, schick mir die Platten von Reinhard Mey‘ ist so auch eine musikalische Antwort auf den Song ‚Wunderkinder‘ von Heinz Rudolf Kunze. 

Also wieder eine Referenz, auch wenn ich sie in diesem Fall niemals herausgehört hätte…

Nein, die hätte kein Schwein gefunden. Das ist auch musikalisch etwas vollkommen anderes. „Wunderkinder“ ist ein ganz anderer Song. Aber der Text geht darauf ein. Ich gebe mir gar nicht unbedingt die Mühe, irgendwo ganz versteckt die tollsten Referenzen einzubauen, das nicht. Aber manchmal hat man gerade eine und dann kommen sie von selbst in den Song hinein. 

Wie ist eure aktuelle Lage, hattet ihr selbst auch viele Einbußen durch Corona? 

 Wir wollten dieses Jahr irgendwann die zweite Platte aufnehmen. Das werden wir auch tun. Desiree und ich werden eine kleine Songwriting-Reise machen, das hatten wir eh vor, auch wenn wir es eigentlich schon für den Frühling geplant hatten. Für uns hat sich eigentlich gar nicht so sonderlich viel geändert, außer ein paar ausfallenden Festivalgigs, was jetzt auch nicht so weiter schlimm ist.

Wie ist es in deiner Tätigkeit als Regisseur?

In der aktuellen Zeit braucht man keinen Film drehen. Ich bekomme es mit durch befreundete Schauspieler. Es sind vollkommen wahnsinnige Bedingungen, das lässt sich auch gar nicht umsetzen. Das man als Filmteam den ganzen Tag mit Maske arbeitet funktioniert schon nicht. Zu den Bedingungen hätte ich allemal keinen Bock zu drehen. Mich persönlich hat es auch da gut getroffen. Ich habe meinen dritten Tatort schon abgedreht, der ist im Februar noch fertig geworden, dann war ich im Urlaub und dann haben wir den Film in Ruhe geschnitten und dann war es das. Ich hatte mir übrigens eh vorgenommen, einmal eine kleine Pause zu machen und etwas kürzer zu treten, weil ich sehr viel gearbeitet habe. Auf einmal mussten wir dann alle weniger arbeiten. 

Glaubst du, als Kinoaffiner Mensch und Filmemacher, dass sich die Kinos gut erholen oder könnte es einen dauerhaften Ersatz durch das jetzt noch stärker durchgesetzte Streaming geben?

Streaming gab es ja schon vorher, auch in der Musik. Vielleicht ist es Wunschdenken, aber ich glaube, dass bei vielen andersherum gerade das Bewusstsein dafür entstanden ist, wie wichtig und wie essentiell bedeutsam es für uns ist, in Gruppen zusammen zu kommen und in einem gemeinsamen Raum Erfahrungen zu machen. Jetzt, wo es schon Lockerungen gibt, merkt man es ja, mit welchem heiligen Ernst die Leute in die Kneipe gehen – weil es einfach geil ist. Kino und Theater wird nie verschwinden, so wie schon das Theater nicht durch das Kino verschwunden ist. Festivals sind wichtiger als eh und je, weil die Leute es alle wollen, alle wollen zusammenkommen und Kultur feiern, und uns Geschichten erzählen lassen, und Geschichten weitererzählen. Zu Hause zu sitzen und etwas streamen zu lassen, das ist doch ein armseliger Ersatz dafür oder vielmehr etwas völlig anderes. Zu Hause zu sitzen, ein Buch zu lesen oder einen Filmklassiker anzusehen oder Netflix-Serien ist an sich ja auch super. Aber es kann nicht alles sein. Kultur konstituiert sich ganz wesentlich dadurch, dass man zusammenkommt und es gemeinsam feiert.  

Interview von Ulrich Mathias Gerr

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