Antisemitismus, Sexismus und Geschlecht – Verhältnis und pädagogische Intervention.

Im Oktober und November fand online eine Veranstaltungsreihe zum genannten Thema statt. Worum ging es genau?

Eine der in diesem Jahr immer wieder auftauchenden Debatten rankte sich um die Kabarettistin Lisa Eckhart, die mit Witzen über die im Kontext der #MeToo-Bewegung angeklagten Männer Harvey Weinstein, Roman Polański und Woody Allen ein altes antisemitisches Ressentiment bediente. Dieses skizziert jüdische Männer zu einem Zerrbild eines ‚lüsternen‘ Juden, der aufgrund seiner ungezügelt-triebhaften und darin böswilligen Art eine Gefahr für die unschuldig und passiv imaginierte Frau darstellt. 

Analysiert man antisemitische Zerrbilder dieser Art, fällt auf, dass sie durch ein Verhältnis von Antisemitismus und Sexismus geprägt sind. Ist das Geschlechterverhältnis also für die antisemitische Konstruktion von Jüdinnen und Juden essentiell? In den beschriebenen Zerrbildern wird eine angebliche Überschreitung von Geschlechtergrenzen Verfolgten zum Vorwurf gemacht, während  Antisemit_innen sich in Abgrenzung dazu eine scheinbar ‚natürliche‘ oder ‚angemessene‘ Identität erhalten können. 

Einerseits scheint antisemitische Ideologie hier eine Funktion für die Aufrechterhaltung des Geschlechterverhältnisses zu haben, andererseits lässt sich der Sexismus für antisemitische Propaganda in den Dienst nehmen. Wie können diese Wechselbeziehungen näher ergründet werden? Inwiefern lassen sie sich erklären, indem auch nach psychischen Funktionen gefragt wird, die antisemitische Phantasien (oberflächlich) erfüllen könnten?

Auch für eine Bildungsarbeit mit Jugendlichen gegen Antisemitismus müssen die Verschränkungen von Sexismus und Geschlechtskonstruktionen mit Antisemitismus verstanden werden – etwa um bestimmte Äußerungen, die auch in der Lebenswelt von Jugendlichen eine Rolle spielen (z.B. Texte von Rap-Songs, Darbietungen von vermeintlichen Comedians), einordnen zu können. Der NS-Antisemitismus verbreitete sich so nicht zuletzt durch das Medium der Karikatur und der karikaturistischen Darstellung. Hier versuchten wie das Vorgehen dieser Karikaturen zu analysieren und ihre Funktion für den Antisemitismus zu verstehen. Der pädagogische Einsatz dieser Karikaturen muss sich mit der Frage konfrontieren, was für Gefahren in diesem liegen – ob zum Beispiel Schüler_innen die dort transportierten Vorstellungen gerade durch die kritisch gemeinte Bearbeitung erlernen. Prof. Dr. Meike Günther, die zu diesem Thema wissenschaftlich geforscht hat, plädiert für einen reflektierten Einsatz der Karikaturen, die oft gar nicht so einfach zu entschlüsseln sind, wie man es auf den ersten Blick vielleicht meinten könnte (siehe Interview in dieser Ausgabe). 

Für den Zusammenhang von Antisemitismus und Männlichkeit erfüllt der feminin dargestellte männliche Jude also eine Abgrenzungsfunktion: man versichert sich der eigenen, notwendig brüchigen Männlichkeit, der auf einem Phantasma beruht, durch jene Grenzziehung. Veronika Kracher hat solche Formen in Männerbünden analysiert, in den Burschenschaften zum Beispiel, in dem Antisemitismus die Funktion einer Stärkung des Bildes solch ungebrochener Männlichkeit erfüllt, und aktuell im Typus des Incels, der ein Recht auf Sex fantasiert und eine feindselige Gruppe imaginiert, die ihm dieses Rechts beraubt.  

Doch der Zusammenhang von Geschlechtskonstruktionen und Antisemitismus beschränkt sich nicht auf die Kontexte, in denen man das erwarten würde, wie den Nationalsozialismus und reaktionäre Männerbünde. 

Kerstin Dembsky hat so ausführlich zu Antisemitismus in Frauenbewegungen in der BRD geforscht. Diskursanalytisch ermittelte sie verschiedene Dimensionen eines antisemitischen Ressentiments in dieser Bewegung. Eine weit verbreitete ist die Gleichsetzung der Shoah mit der Gewalt gegen Frauen, in der sich letztere als ‚eigentliche‘ Juden inszenieren und die Hexenverbrennung als historische Kronzeugin für einen ‚Holocaust‘ an Frauen bemühen. So heißt es in diversen Äußerungen in den Quellen dieser Bewegung heißt, die in Dembskys Forschung vor allem feministische Zeitschriften aus den 70er und 80er Jahren umfassen. 

Antisemitismus spielt also sowohl für das Bild, das Männer sich von Männlichkeit machen, wie auch für das Bild, das Frauen sich von Weiblichkeit machen eine Rolle und festigt die jeweilige Stellung des eigenen Geschlechts in der Gesellschaft.

Antisemitismus als gesellschaftlich produzierte Ideologie ist also über Geschlechtergrenzen hinweg zu attestieren. Welcher Inhalt dieser jeweils hat ist aber, wie es Dr. Ljiljana Radonić betont, je verschieden. Sie vollzog das in einer Rekonstruktion des Antisemitismus von Frauen im Nationalsozialismus nach, der lange Zeit relativiert worden sei, weil die Funktion von Antisemitismus eben auch für die Identität von Frauen lange nicht erkannt wurde. Oft wurde so die aktive Rolle von Frauen im Nationalsozialismus nicht erwähnt oder aber relativiert, wodurch sich der Mythos von Frauen vor allem als Opfern des NS hartnäckig halten konnte.

Eine pädagogische Aufklärung über und Intervention gegen Antisemitismus muss sich auch mit diesem komplexen Verhältnis zu Geschlechterfragen auseinandersetzen. Informationen zu der Veranstaltungsreihe und Möglichkeiten der Kontaktaufnahme gibt es auf der Website http://www.rabulo.de

Vom Arbeitskreis „Wi(e)der das Gerücht“ der Regionalen Arbeitsgemeinschaft Bildung und Lernen Oldenburg e.V.