Prof. Dr. Helmut Hillebrand leitet am Institut für Chemie und Biologie des Meeres die Arbeitsgruppe Planktologie, die sich mit allen im Wasser treibenden Organismen beschäftigt und ist gleichzeitig der Geschäftsführer des neuen Helmholtzinstitus für funktionelle Marinebiodiversität hier in Oldenburg. Das Referat für Nachhaltigkeit traf ihn zum Interview anlässlich des Earth Overshoot Day 2020.
Herr Hillebrand, was ist der Earth Overshoot Day?
Der Earth Overshoot Day ist ein Tag, der von einer NGO berechnet wird, dem ‚Global Footprint Network‘. Das ist der Tag im Jahr an dem die Menschheit soviele Ressourcen verbraucht hat wie ihr in diesem Jahr zu Verfügung steht. Die Idee dahinter ist, dass man berechnet, auf welche erneuerbaren Ressourcen die Menschheit zugreifen könnte und wie schnell sie diese verbraucht. Der Earth Overshoot Day ist der Tag, bei dem sozusagen dieses Konto auf Null gefahren wird.
Wie wird der Earth Overshoot Day berechnet?
Der Tag setzt sich auf relativ vielen Variablen zusammen. Es werden tatsächlich erneuerbare Ressourcen gemessen, es werden aber auch Dinge wie Flächenverbrauch und ähnliche Aspekte einbezogen. Das heißt man muss ihn als Wert als das begreifen was er ist, also als eine Abstraktion. Auf der anderen Site nimmt er sehr viele Aspekte des menschlichen Eingriffs in Ökosysteme in Betracht und wenn man sieht dass in den siebziger Jahren dieser Earth Overshoot Day noch im November lag und – mit der Ausnahme dieses Coronabedingten Jahres – seitdem fast kontinuierlich nach vorne gewandert ist und jetzt schon im Juli, dieses Jahr im August, stattfindet, dann sieht man, wie stark der Ressourcenverbrauch in diesen 50 Jahren angestiegen ist.
Bezogen auf ihr Forschungsgebiet der Biodiversität, welche Relevanz hat der Overshoot Day?
Rein als Wissenschaftler gesprochen: wir beschäftigen uns nicht auf eine wissenschaftliche Weise mit dem Overshoot Day. Wir schauen uns nicht an, wie dieser Tag die Biodiversität beeinflusst. Aber natürlich sind die Prozesse genau die, die uns interessieren. Wir gucken uns also an, wie reagiert die Biodiversität auf Veränderungen in der Umwelt? Wie auf anthropogene Veränderungen in der Umwelt? Wie werden diese stärker? Welchen Biodiversitätswandel sehen wir deswegen? Also die Grundlagen dieses Earth Overshoot Days sind tatsächlich das, was uns in der Forschung antreibt. Aber als Wert oder als Einheit wird er nicht in unsere Experimente oder in unsere Modelle miteinbezogen.
Welchen Einfluss hat der Klimawandel konkret auf die Biodiversität?
Das ist eine Frage, die eine Vorlesung erfordern würde. Aber um es mal kurz zusammenzufassen, wir sehen sowohl im zeitlichen als auch im räumlichen Auftreten von Organismen große Veränderungen. Organismen wandern Polwärts in ihrer räumlichen Verbreitung, in gebirgigen Gebieten wandern sie die Hohenstufen hoch und folgen ihrer klimatischen Nische. Das Auftreten im Jahr in Jahreszeiten getriebenen Systemen verändert sich weiter nach vorne. Das heißt es gibt sehr viele Veränderungen, die auf die einzelnen Arten zutreffen und dadurch verändert sich die Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften. Zu Beginn dieser Forschung hat man sich oft auf das Aussterben von Arten konzentriert und das kann man tatsächlich auf der globalen Ebene sehen, also die Aussterberate nimmt zu, das heißt das Aussterben geht schneller vonstatten. Man schätzt, dass es vom biologischen Background, weil ja immer in der Geschichte Arten ausgestorben sind, dieses ungefähr um den Faktor 100 bis 1000 höher ist. Aber auf der Ebene von einem lokalen Ökosystem – einem Wald, einer Wiese, einem Meeresökosystem – sehen wir vor allem den Austausch von Arten, also wir sehen das dominierende Element. Das ist sehr stark gekoppelt mit der Temperaturveränderung, das ist aber auch mit anderen Umwelteinflussen, der direkten Nutzung dieser Lebensräume gekoppelt oder auch zum Beispiel der Eutrophierung, also der Verdünnung von solchen Lebensräumen.
Welche aktuellen und zukünftig erwartbaren Auswirkungen hat dieser Biodiversitätsverlust auf unser Leben?
Das ist a) ein aktiver Forschungsgegenstand, das ist auch eine der zentralen Fragen die zur Gründung dieses Helmholtz-Instituts geführt haben. Das heißt, darauf gibt es keine definitive Antwort, sondern es ist eine Arbeit im Fortschritt, um es mal so zu sagen. Aber man kann mit Fug und Recht sagen, dass fast alle Prozesse, die diesen Planeten überhaupt für uns bewohnbar machen, mit der Biodiversität an Land und im Meer zusammenhängen: der Sauerstoff den wir atmen, das Klima, dass wir hier haben, hängt alles von biologischen Prozessen ab und wir wissen für fast alle dieser biologischen Prozesse, dass sie mit der Diversität der Organismen, die diese Prozesse hervorrufen, gekoppelt sind. Das heißt, wenn man bedenkt, dass 50% unseres Sauerstoffs ungefähr ihren Ursprung im Plankton des Meeres haben, kann man sich ausrechnen, dass wenn wir diese Lebensgemeinschaften massiv verändern es auch zu Funktionsveränderungen kommen wird. Es gibt also eine direkte Kopplung. Das trifft auch für Ernährung zu, Fischfang ist zum Beispiel direkt an diese Primärfunktion gekoppelt, also diese Prozesse haben einen direkten Einfluss auf uns.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Pandemien und Biodiversitätsverlust?
Den gibt es sicherlich und es gibt auch einige Studien, die das sehr, sehr klar zeigen. Die Verringerung von Lebensräumen, die dadurch erhöhte Kontaktrate von Tieren, und damit natürlich auch den Pathogenen dieser Tiere, und den Menschen, trägt sicher neben der Globalisierung, also der Veränderung des Waren- und Personenverkehrs, sehr stark zur Wahrscheinlichkeit bei, dass solche Pandemien auftreten. Und es gibt Artikel, die im Prinzip sowas ähnliches wie Corona fast 1:1 vorhersagen. Und es ist eine eigentlich eine logischen Konsequenz aus diesen Umweltveränderungen.
Warum trägt die Verringerung von Lebensräumen so sehr zur Wahrscheinlichkeit für Pandemien bei?
Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein tierisches Virus auf den Menschen überspringt und sich dort verbreitet, gibt es eine Reihe von potenziellen Einflüssen. Vereinfacht kann man sagen dass das
Übertragungsrisiko steigt wenn der Kontakt häufiger ist. Durch ein vermehrtes Eindringen der Menschen in die Lebensräume steigt das Risiko, wenn dann noch direkter Kontakt zu Wildtieren wie auf Wildtiermärkten hinzu kommt, wird dieses Risiko weiter steigen.
Interview vom Referat für Nachhaltigkeit