Im Lookdown

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In den Wochen vor der Entscheidung eines ‚Lockdown Light‘ oder ‚Wellenbrecher-Lockdowns‘ wurde breit über die vermutlich bald zu treffenden Maßnahmen diskutiert. Schließlich traf es bekanntlich all die Bereiche, die der bloßen ‚Unterhaltung’ dienen. Nicht schließen musste alles, was ‚Schule‘ im Namen trug. Müsste der Lockdown noch einmal wiederholt werden, böte das sicher für kreative Geister ein Einfallstor; man sähe förmlich die ‚Museumsschule‘, die ‚Kinoschule‘ oder die ‚Cocktail-King-Schule‘ aus dem Boden sprießen. 

Der Grund für das diesmalige Aussparen der Schulen, die doch im Frühling als einer der Hauptspots erkannt wurden und dessen Schließen schon vor dem völligen Lockdown erklärt wurde, ist aber nicht, wie man es jetzt mit einem idealistischen Alltagsverstand denken könnte, dass diese eben nicht der Unterhaltung dienen, sondern der Bildung. 

Der Grund ist denkbar schnöde: die Schulen müssen offen bleiben, damit die Eltern weiter arbeiten gehen können, die Eltern müssen weiter arbeiten gehen, damit die Betriebe offen bleiben können, die Betriebe müssen weiter offen bleiben damit sich die Gesellschaft ökonomisch reproduzieren kann. Diese zentrale ökonomische Funktion der Schulen ist zwar kaum ein Geheimnis, aber gewöhnlich hört man das eben nicht so offen eingestanden. Dann geht es, wie in den Vorlesungen zur Rolle der Schule oder in den Präambeln der Schulgesetze im Mantra wiederholt, um hehre Ziele: Erziehung zur Demokratie! Bildung eines mündigen Bürgers! Mit einer Didaktik, die freilich immer am Schüler zu orientieren sei. Das war dieses Mal anders. 

Bild: Twitter

Wirtschaft und Politik haben ungewohnt unverblümt ausgedrückt, worum es eigentlich gehen sollte: um das Am-laufen-halten des wirtschaftlichen Glücksrads.  Markus Söder formulierte es etwa so:
„unsere Kinder müssen betreut werden, denn wenn wir den wirtschaftlichen Lockdown verhindern wollen, das ist ja der Zusammenhang, Schule und Kita hat ja den Sinn und Zweck auch die Wirtschaft am Laufen zu lassen, wenn die Eltern keine Betreuung haben gibt es auch keine Wirtschaft“

Die Coronapandemie zeigt einem die Gesellschaft, die sich seit jeher gerne eine blaue Blume ins Knopfloch des Sonntagsanzugs heftet, weil ganz ohne Schmuck es doch allzu hässlich zugeht, zur Abwechselung einmal ohne die üblichen Ornamente. Wer glaubt, Kunst oder Bildung, gar Demokratie oder Humanismus, vielleicht sogar als Prinzip für alle Menschen auch ohne Staatsbürgerschaft (lol), sei ein Wert, auf den diese Gesellschaft aufbaut – wir sind doch die Dichter und die Denker! – der erkennt nun wohl was eigentlich eh alle wissen: erst kommt das BIP, dann kommt die Moral. 

Eilig haben es da die Millionen Kulturarbeitnehmer, zu versichern, wie ökonomisch wertvoll sie sind, wie viele Arbeitsplätze an ihrer Branche hängen und wie sie zum Beispiel für das Stadtmarketing eine entscheidende Rolle spielen können. In diesem dieser Tage so oft zu beobachtenden traurigen Andienen wirft man schnell all das über Bord, was einen vielleicht einst legitimer Weise in diesen Bereich, in den Bereich von Kultur oder Bildung, hat hinziehen lassen: ‚hier geht es nicht um Gewinn!‘, werden sich viele gesagt haben, ‚hier hat alles einen Selbstzweck! Hier ist die Erkenntnis denn hier ist die Kunst!‘ Noch schneller verinnerlichen aktuell diejenigen, die so sprachen und handelten, und man kann es ihnen kaum verübeln weil die Miete nicht gegen das beste Gitarrensolo eingetauscht werden kann, verinnerlichen wie man sich zum Unternehmer seiner Selbst formieren kann, und dazu gehört immer als erstes, eine überzeugende Antwort auf die Frage geben zu können: wozu machst du das eigentlich? As in: Wozu in x Einheiten Geld ist das Gut?

Wie soll man sich nun zu der Wahrheit der Gesellschaft verhalten, jetzt, wo sie wohl einer größeren Gruppe so brutal vor Augen tritt wie sonst nicht? Die blaue Blume im Knopfloch jedenfalls blüht im Covidwinter lang schon nicht mehr. Die Antwort darauf kann man in sozialen Netzwerken verfolgen, wenn man sie einmal mit offenen Augen betrachtet. Hier tritt eine Lehrerin desillusioniert vom Schuldienst zurück. Dort bewirbt sich die Studentin von der Schauspielschule wie im Gegenzug auf den Studienplatz Germanistik Lehramt. Realitätsprinzip 1, Eskapismus und Ästhetik 0.

Im Bestfall ist das kein langer Zustand und mit der Impfung in den Unterarm werden auch die Finanzspritzen für Kultureinrichtungen obsolet. Dann sollte man sich vergegenwärtigen, dass in der Gesellschaft, in der wir leben, all das, was einen Wert an sich selbst darzustellen scheint – Kunst, Kultur, Bildung – nur Funktion ist. Es geht nicht um Werte, sondern um Verwertung. 

Mit diesem offen eingestehenden Blick in die Eiswüste der spätkapitalistischen Gesellschaft ist scheinbar nichts gewonnen. Manch einer wird ihm sogar Zynismus unterstellen. Und doch ist er das notwendige Initial dafür, im richtigen Gespür das zu fordern, was noch nicht ist und die Demokratie im allgemeinen und Kunst und Schulen im Speziellen an den eigenen Maßstab zu erinnern. Denn „erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, das ist kein Abgesang der Moral, das ist die legitime Forderung nach Fressen, damit die Moral endlich sein kann. Vielleicht wäre es ein Anfang, sich nicht einreden zu lassen, dass wenn man das Wort „Kultur“ denkt, ja auch das Wort „Unterhaltung“ nicht im Reflex das „nur“ gleich mit zu denken. 

von Justus Mercur | Titelbild: Eike Köhler

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