STRAJK KOBIET

18.-14.-photo52786829294400763511

In Polen passiert wieder etwas. Was genau, ist noch schwer zu sagen. Nachdem das polnische Verfassungsgericht das aktuell geltende Abtreibungsgesetz für verfassungswidrig erklärt hatte, überflutete eine Welle von Protesten die Straßen der Groß- sowie Kleinstädte. Was charakterisiert diese Massenproteste, die unter dem Namen ‚Strajk Kobiet‘ (Frauenstreik) hervortraten? Welche Perspektiven hat die neue Bewegung für Frauenrechte in Polen? 

Wenn heutzutage über Polen in der BRD berichtet wird, dann eher negativ, also im Sinne einer oft völlig berechtigten Kritik der rechtspopulistischen Regierung Polens. Seit 2015, als die Partei ‚Recht und Gerechtigkeit‘ (Prawo i Sprawiedliwość, kurz: PiS) zusammen mit ihren kleineren Koalitionspartnern die polnische Politik selbst bestimmten, dauert es bereits: ein dezidierter Rechtsruck, der genauso stark die Mentalität der Menschen im Lande prägt, wie die Rechtsstaatlichkeit allmählich korrodieren lässt. Und obwohl ein Widerstand gegen diesen andauernden Rechtstrend in jüngster Vergangenheit in den verschiedenen Massenprotesten mündete, konnte man das Gefühl nicht loswerden, dass diese fast ausnahmslos nicht radikal genug, irgendwie faul, selbst in Vergangenheit befangen, ja, im Grunde genommen selbst konservativ waren.

Als am 22.10.2020 das polnische Verfassungsgericht verkündete, dass der Abbruch einer Schwangerschaft selbst bei einem todkranken Fötus verfassungswidrig sei, brach etwas. Genau dieses Verfassungsgericht, dessen ‚Übernahme‘ von Anfang an zu den obersten Zielen der PiS-Partei zählte, versucht nun in seiner neuen PiS-treuen Gestalt in Mitten der tobenden Corona-Pandemie den Rechtsruck neuanzukurbeln. Und das Verfassungsgericht ist genau diese Institution, deren Verteidigung vor dem Gelüst der PiS-Partei während der Proteste in den Jahren 2015/16 bei den jüngeren Generationen auf weniger Resonanz stieß – eine bittere Lehre für all diejenigen, die jetzt vornehmlich auf die Straße gegangen sind, darunter viele Schüler_innen und Student_innen.

Die antidemokratische Absicht, eines der ohnehin schon restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas unter der verhängnisvollen Bedingung der aktuellen Corona-Krise noch zu verschärfen, liegt auf der Hand: Das allgegenwärtige Chaos und die eingeführten Corona-Maßnahmen sollten dafür sorgen, eine öffentliche Debatte und erwartbare Proteste im Keim zu ersticken. Doch wollte man nicht nochmals das alte Spiel aus dem Jahre 2016 spielen: Das damalige Vorhaben der PiS-Partei, das Abtreibungsgesetz zu verschärfen, platzte. Zehntausende schwarz gekleidete Menschen gingen auf die Straße, weitere vernetzten sich unter dem Hashtag #CzarnyProtest. Die damaligen ‚Schwarzen Proteste‘ können als unmittelbarer Vorläufer der aktuellen Proteste gesehen werden.

Als klar wurde, dass man sich nun das zweite Mal verrechnet hatte, schlug die PiS-Regierung schamlos einen übermoralischen Ton an: Der polnische Premierminister, Mateusz Morawiecki, hat nämlich bereits in seiner Rede am 29.10.2020 die massenweise auf die Straße gegangenen Protestierenden für die weiter rapide ansteigenden Zahlen von Infektionen verantwortlich gemacht, was er noch bis zum Überdruss wiederholen wird. Es sei ihre Verantwortungslosigkeit und nicht die Entschlossenheit der PiS-Regierung, ein konservatives Paradies skrupellos in Mitteleuropa zu errichten, was die aktuelle Krise noch verschärft.

Vor moralischer Erpressung macht die PiS-Regierung jedoch nicht halt. Was zu erwarten war, folgte dieser der Stock: Laut einer aktuellen Anordnung sind größere öffentliche Versammlungen wegen des aktuellen Pandemiezustandes illegal und damit strafbar, sodass Demonstrierende mit einem Bußgeld oder sogar einer Freiheitsstrafe von bis zu acht Jahren rechnen müssen. Da der Schutz von Protesten seitens der Polizei vernachlässigt wird, da sie ohnehin für illegal erklärt wurden, kommt es zu unmittelbarer Gewalt durch rechte Banden und Rackets, die jedoch nur dem Aufruf der Regierenden und Geistlichen zum Schutz des Vaterlands und dessen katholischer Tradition folgen. Die respektablen Rackets verkünden einen Aufruf, und die irrespektablen üben ihn aus – könnte man Adorno travestierend sagen.

Da die staatlichen Institutionen jeglicher Art von der PiS-Regierung in deren Bestrebungen einbezogen worden sind, folgt weitere Auflösung der Rechtsstaatlichkeit. Das Ministerium für nationale Bildung und Schulaufsichtsbehörden fordern zur Denunziation auf: Es werden Briefe an Schulen geschickt, manche sogar mit detaillierten Formularen, die Schulleiter_innen dazu auffordern, von den Aktivitäten eigener Lehrer_innen sowie Schüler_innen während der Proteste sorgfältig zu berichten. Die einzelnen Lehrer_innen werden dazu direkt von den Schulaufsichtsbehörden schikaniert. Manche katholischen Geistlichen, die vor allem den an den polnischen Schulen durchgeführte Religionsunterricht gestalten, zeigen hierin eine hervorragende und eigentümliche Art ihrer Eigeninitiative, ihre verlorengegangenen  Schäfchen wiederzugewinnen: Deren Teilnahme an den Protesten führt beispielsweise zu Drohungen eines Ausschlusses aus dem Religionsunterricht oder der Firmung. Es kam bereits zu Vorfällen des Ausschlusses aus dem Unterricht (in Präsenz- sowie Onlineform) an den Universitäten: dafür genügt ein kleines, wahrnehmbares Indiz (entsprechend ein Symbol oder ein Avatar der ‚Strajk Kobiet‘-Bewegung), das auf eine Solidarität mit den Protesten hinweist.

Von dem einflussreichsten polnischen Politiker, Jarosław Kaczyński, werden die Proteste als existenzielle Gefahr Polens dargestellt, aber es ist damit jedoch nicht die gesundheitliche Lage des Landes gemeint: „Dieser Angriff (gemeint sind die Proteste) ist ein Angriff, um Polen zu vernichten. Er hat vor, zum Triumph dieser Mächte zu führen, deren Herrschaft, im Grunde genommen, ein Ende der Geschichte der polnischen Nation setzt […] Lasst uns Polen verteidigen, lasst uns Patriotismus verteidigen und lasst uns dabei Entschlossenheit und Mut zeigen!“ – hieß es in einem Auftritt Kaczyńskis am 27.10.2020, der die Assoziation mit der Einführung des Kriegsrechtes im Jahre 1981 hervorgerufen hat. Es ist nur zu vermuten, dass er damit dieselben Mächte meint, wie immer: Die, die angeblich 2015 Flüchtlingsströme ausgerechnet nach Polen zu steuern vorhatten, die, die nach der Erlassung des sogenannten ‚Holocaust-Gesetzeses‘ im Jahre 2018 den Polen und Polinnen die Schuld für den Holocaust in die Schuhe zu schieben versuchten, die, die dann 2019 LGBTIQ-Aktivist_innen nach Polen geschickt haben, um die polnischen Familien zu zersetzen und Kinder in der Schulen zu früh zu sexualisieren, und die, die nun die Landung der Kampftruppen der Frauen, die nun seitens der Regierung durch die Vergleiche mit der SS oder Hitlerjugend diffamiert sowie dämonisiert worden sind, vorbereitet haben – zusammenfassend die Mächte, denen oft nach einem antisemitischen Gedankenmuster das Gesicht George Soros‘ verliehen wird. Die PiS-Regierung scheint ein Paradebeispiel dafür zu sein, was wäre, hätte die ‚Querdenken-Bewegung‘ die Macht erlangt.

Die sehr heterogene Bewegung für Frauenrechte in Polen tritt ihrerseits entsprechend in einer martialischen (das Motto lautet: ‚Das ist Krieg!‘/‘To jest wojna!‘), aber was viele schockierend finden, ebenfalls ausgesprochen vulgären (mit Hauptparole: ‚Fuck off!‘/‘Wypieralać!‘) Gestalt in Erscheinung. Diese lässt sich als eine eigentümliche Form der Reaktion vor allem auf die Politik der PiS-Partei und die Bestrebungen der katholischen Kirche verstehen, die in ihrem Zentrum die Verteidigung der traditionellen Geschlechterrollen und -verhältnisse hat. In der symbolischen Abbildung dieser verteidigten, regressiven Geschlechterordnung wird die polnische Frau als Mutter-Polin heuchlerisch verehrt. Ihre vollständige Aufopferung des Individuellen für das kollektive Familiäre und Nationale macht einen zentralen Punkt dieser symbolischen, nationalen Identifikation stiftenden Geschlechterordnung aus. Auf der weniger symbolischen Seite wird wiederum diese fast heiliggesprochene Mutter-Polin stärker und stärker in die Sphäre der Reproduktionsarbeit gedrängt, mit ihrer alleinigen Verpflichtung zur Hausarbeit, Kinderversorgung oder Erziehung. Als Abwehr vor Identifikation mit und Verinnerlichung dieses traditionellen Musters einer friedfertigen und anständigen Mutter-Polin, die ihre individuellen Bedürfnisse für Gott und Vaterland opfern sollte, gingen nun Hunderttausenden, zum großen Teil junge Frauen, auf die Straße. Ob diese spontane Energie in eine reflektierte Kritik umschlagen wird oder ob sie als unmittelbare, negative Reaktion stehenbleiben wird, wird sich erst in Zukunft zeigen. Die bevorstehende Aufgabe, die enge Verknüpfung von Frauenfeindlichkeit und Nationalismus zu zerlegen und zu analysieren, die einzelnen Momente dieser nationalen Ideologie zu begreifen und eine entsprechende Kritik der kapitalistischen Verhältnissen daran zu üben, um die Anziehungskraft dieser Ideologie zu schwächen, ist in einem Land, in dem seit 1989 kontinuierlich eine nationale homogene Gemeinschaft – sei es in einer liberalen, sei es in einer national-konservativen Form – beschworen wurde, in der Tat keine einfache. Würde es jedoch wenigstens teilweise gelingen, würde die PiS-Partei in der ‚Strajk Kobiet‘-Bewegung ihre Bestatterin finden.

Als ein vielversprechender Schritt in diese Richtung kann die Berufung eines ‚Beratungsgremiums des Landesweiten Frauenstreikes‘ (Rada Konsultacyjna Ogólnopolskiego Strajku Kobiet) angesehen werden, das sich die Aufgabe setzt, die auftauchenden Forderungen der heterogenen Bewegung zu sammeln und diesen einen entsprechenden politischen und rechtlichen Ausdruck zu verleihen. Bisher ist deren Spektrum sehr breit angelegt: Manche dieser Forderungen, wie die Trennung von Staat und Kirche, Rechte der LGBTIQ-Community, Abschaffung der sogenannten Müllverträge (pl. śmieciówki, darunter fallen unter anderem die Werkverträge), Verbesserungen im Gesundheitswesen oder der Kampf gegen die Klimakrise reichen weit über den expliziten Streitpunkt hinaus. In puncto Abtreibungsrecht ist eine starke Tendenz zu dessen Liberalisierung zu beobachten. Manche von diesen Forderungen klingen insofern erfrischend, als dass sie sonst kaum auf der stark rechtsgeprägten polnischen politischen Bühne zu hören sind. Das wirft jedoch bereits einige Fragen bezüglich der zukünftigen Form der ‚Strajk Kobiet‘-Bewegung auf: Wird sie überhaupt die Ansprechpartner_innen innerhalb der etablierten Parteien finden? Reicht ihre Rolle einer außenparlamentarischen Opposition, um zumindest einige der Forderungen realisieren zu können?

Und last but not least berechtigt ebenfalls bereits die Zusammensetzung der ‚Straj Kobiet‘-Proteste zu Hoffnung. Noch in den Parlamentswahlen 2019 konnte sich eine offen antisemitische sowie frauenfeindliche Partei ‚Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit‘ (Konfederacja Wolność i Niepodległość) über die Unterstützung eines Fünftels der wählenden jungen Polinnen und Polen (18-29) freuen. Die konföderierten Rechten erlangten inzwischen die zentrale, tonangebende Position innerhalb der parlamentarischen Opposition. Nun sind vor allem jüngere Menschen auf die Straße gegangen, die allem Anschein nach Widerstand gegen den politisch und gesellschaftlich andauernden Rechtstrend in Polen leisten, der sich gegen die PiS-Partei sowie gegen die Rechtsextremen richtet.

Es bleibt nur noch zu hoffen, dass es in dieser sehr angespannten Situation zu keiner unverhältnismäßigen Anwendung der Staatsgewalt kommen wird, die zu einem Blutbad führen könnte, wovor bereits, in einem offenen Brief vom 01.11.2020, über zweihundert pensionierte Generäle und Admiräle der Streitkräfte und anderen Sicherheits- und Ordnungsorgane gewarnt haben. Sicherheit der Protestierenden in einer Situation zu gewährleisten, in der sie zum Sündenbock der miserablen Politik der PiS-Regierung bei der Bekämpfung der Pandemie gemacht worden sind, und in der für die Sicherheit in Polen ein neu geschaffenes ‚Sicherheitskomitee‘ zuständig ist, ist alles andere als selbstverständlich. Vor allem deshalb, weil dieses bisher Ein-Mann-Komitee für Sicherheit, das unter seiner Kontrolle das Verteidigungsministerium, das Ministerium für Inneres und Verwaltung sowie das  Justizministerium hat, das Gesicht Jarosław Kaczyńskis trägt.

von Wojciech Stasiak

STRAJK KOBIET

In Polen passiert wieder etwas. Was genau, ist noch schwer zu sagen. Nachdem das polnische Verfassungsgericht das aktuell geltende Abtreibungsgesetz für verfassungswidrig erklärt hatte, überflutete eine Welle von Protesten die Straßen der Groß- sowie Kleinstädte. Was charakterisiert diese Massenproteste, die unter dem Namen ‚Strajk Kobiet‘ (Frauenstreik) hervortraten? Welche Perspektiven hat die neue Bewegung für Frauenrechte in Polen? 

Wenn heutzutage über Polen in der BRD berichtet wird, dann eher negativ, also im Sinne einer oft völlig berechtigten Kritik der rechtspopulistischen Regierung Polens. Seit 2015, als die Partei ‚Recht und Gerechtigkeit‘ (Prawo i Sprawiedliwość, kurz: PiS) zusammen mit ihren kleineren Koalitionspartnern die polnische Politik selbst bestimmten, dauert es bereits: ein dezidierter Rechtsruck, der genauso stark die Mentalität der Menschen im Lande prägt, wie die Rechtsstaatlichkeit allmählich korrodieren lässt. Und obwohl ein Widerstand gegen diesen andauernden Rechtstrend in jüngster Vergangenheit in den verschiedenen Massenprotesten mündete, konnte man das Gefühl nicht loswerden, dass diese fast ausnahmslos nicht radikal genug, irgendwie faul, selbst in Vergangenheit befangen, ja, im Grunde genommen selbst konservativ waren.

Als am 22.10.2020 das polnische Verfassungsgericht verkündete, dass der Abbruch einer Schwangerschaft selbst bei einem todkranken Fötus verfassungswidrig sei, brach etwas. Genau dieses Verfassungsgericht, dessen ‚Übernahme‘ von Anfang an zu den obersten Zielen der PiS-Partei zählte, versucht nun in seiner neuen PiS-treuen Gestalt in Mitten der tobenden Corona-Pandemie den Rechtsruck neuanzukurbeln. Und das Verfassungsgericht ist genau diese Institution, deren Verteidigung vor dem Gelüst der PiS-Partei während der Proteste in den Jahren 2015/16 bei den jüngeren Generationen auf weniger Resonanz stieß – eine bittere Lehre für all diejenigen, die jetzt vornehmlich auf die Straße gegangen sind, darunter viele Schüler_innen und Student_innen.

Die antidemokratische Absicht, eines der ohnehin schon restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas unter der verhängnisvollen Bedingung der aktuellen Corona-Krise noch zu verschärfen, liegt auf der Hand: Das allgegenwärtige Chaos und die eingeführten Corona-Maßnahmen sollten dafür sorgen, eine öffentliche Debatte und erwartbare Proteste im Keim zu ersticken. Doch wollte man nicht nochmals das alte Spiel aus dem Jahre 2016 spielen: Das damalige Vorhaben der PiS-Partei, das Abtreibungsgesetz zu verschärfen, platzte. Zehntausende schwarz gekleidete Menschen gingen auf die Straße, weitere vernetzten sich unter dem Hashtag #CzarnyProtest. Die damaligen ‚Schwarzen Proteste‘ können als unmittelbarer Vorläufer der aktuellen Proteste gesehen werden.

Als klar wurde, dass man sich nun das zweite Mal verrechnet hatte, schlug die PiS-Regierung schamlos einen übermoralischen Ton an: Der polnische Premierminister, Mateusz Morawiecki, hat nämlich bereits in seiner Rede am 29.10.2020 die massenweise auf die Straße gegangenen Protestierenden für die weiter rapide ansteigenden Zahlen von Infektionen verantwortlich gemacht, was er noch bis zum Überdruss wiederholen wird. Es sei ihre Verantwortungslosigkeit und nicht die Entschlossenheit der PiS-Regierung, ein konservatives Paradies skrupellos in Mitteleuropa zu errichten, was die aktuelle Krise noch verschärft.

Vor moralischer Erpressung macht die PiS-Regierung jedoch nicht halt. Was zu erwarten war, folgte dieser der Stock: Laut einer aktuellen Anordnung sind größere öffentliche Versammlungen wegen des aktuellen Pandemiezustandes illegal und damit strafbar, sodass Demonstrierende mit einem Bußgeld oder sogar einer Freiheitsstrafe von bis zu acht Jahren rechnen müssen. Da der Schutz von Protesten seitens der Polizei vernachlässigt wird, da sie ohnehin für illegal erklärt wurden, kommt es zu unmittelbarer Gewalt durch rechte Banden und Rackets, die jedoch nur dem Aufruf der Regierenden und Geistlichen zum Schutz des Vaterlands und dessen katholischer Tradition folgen. Die respektablen Rackets verkünden einen Aufruf, und die irrespektablen üben ihn aus – könnte man Adorno travestierend sagen.

Da die staatlichen Institutionen jeglicher Art von der PiS-Regierung in deren Bestrebungen einbezogen worden sind, folgt weitere Auflösung der Rechtsstaatlichkeit. Das Ministerium für nationale Bildung und Schulaufsichtsbehörden fordern zur Denunziation auf: Es werden Briefe an Schulen geschickt, manche sogar mit detaillierten Formularen, die Schulleiter_innen dazu auffordern, von den Aktivitäten eigener Lehrer_innen sowie Schüler_innen während der Proteste sorgfältig zu berichten. Die einzelnen Lehrer_innen werden dazu direkt von den Schulaufsichtsbehörden schikaniert. Manche katholischen Geistlichen, die vor allem den an den polnischen Schulen durchgeführte Religionsunterricht gestalten, zeigen hierin eine hervorragende und eigentümliche Art ihrer Eigeninitiative, ihre verlorengegangenen  Schäfchen wiederzugewinnen: Deren Teilnahme an den Protesten führt beispielsweise zu Drohungen eines Ausschlusses aus dem Religionsunterricht oder der Firmung. Es kam bereits zu Vorfällen des Ausschlusses aus dem Unterricht (in Präsenz- sowie Onlineform) an den Universitäten: dafür genügt ein kleines, wahrnehmbares Indiz (entsprechend ein Symbol oder ein Avatar der ‚Strajk Kobiet‘-Bewegung), das auf eine Solidarität mit den Protesten hinweist.

Von dem einflussreichsten polnischen Politiker, Jarosław Kaczyński, werden die Proteste als existenzielle Gefahr Polens dargestellt, aber es ist damit jedoch nicht die gesundheitliche Lage des Landes gemeint: „Dieser Angriff (gemeint sind die Proteste) ist ein Angriff, um Polen zu vernichten. Er hat vor, zum Triumph dieser Mächte zu führen, deren Herrschaft, im Grunde genommen, ein Ende der Geschichte der polnischen Nation setzt […] Lasst uns Polen verteidigen, lasst uns Patriotismus verteidigen und lasst uns dabei Entschlossenheit und Mut zeigen!“ – hieß es in einem Auftritt Kaczyńskis am 27.10.2020, der die Assoziation mit der Einführung des Kriegsrechtes im Jahre 1981 hervorgerufen hat. Es ist nur zu vermuten, dass er damit dieselben Mächte meint, wie immer: Die, die angeblich 2015 Flüchtlingsströme ausgerechnet nach Polen zu steuern vorhatten, die, die nach der Erlassung des sogenannten ‚Holocaust-Gesetzeses‘ im Jahre 2018 den Polen und Polinnen die Schuld für den Holocaust in die Schuhe zu schieben versuchten, die, die dann 2019 LGBTIQ-Aktivist_innen nach Polen geschickt haben, um die polnischen Familien zu zersetzen und Kinder in der Schulen zu früh zu sexualisieren, und die, die nun die Landung der Kampftruppen der Frauen, die nun seitens der Regierung durch die Vergleiche mit der SS oder Hitlerjugend diffamiert sowie dämonisiert worden sind, vorbereitet haben – zusammenfassend die Mächte, denen oft nach einem antisemitischen Gedankenmuster das Gesicht George Soros‘ verliehen wird. Die PiS-Regierung scheint ein Paradebeispiel dafür zu sein, was wäre, hätte die ‚Querdenken-Bewegung‘ die Macht erlangt.

Die sehr heterogene Bewegung für Frauenrechte in Polen tritt ihrerseits entsprechend in einer martialischen (das Motto lautet: ‚Das ist Krieg!‘/‘To jest wojna!‘), aber was viele schockierend finden, ebenfalls ausgesprochen vulgären (mit Hauptparole: ‚Fuck off!‘/‘Wypieralać!‘) Gestalt in Erscheinung. Diese lässt sich als eine eigentümliche Form der Reaktion vor allem auf die Politik der PiS-Partei und die Bestrebungen der katholischen Kirche verstehen, die in ihrem Zentrum die Verteidigung der traditionellen Geschlechterrollen und -verhältnisse hat. In der symbolischen Abbildung dieser verteidigten, regressiven Geschlechterordnung wird die polnische Frau als Mutter-Polin heuchlerisch verehrt. Ihre vollständige Aufopferung des Individuellen für das kollektive Familiäre und Nationale macht einen zentralen Punkt dieser symbolischen, nationalen Identifikation stiftenden Geschlechterordnung aus. Auf der weniger symbolischen Seite wird wiederum diese fast heiliggesprochene Mutter-Polin stärker und stärker in die Sphäre der Reproduktionsarbeit gedrängt, mit ihrer alleinigen Verpflichtung zur Hausarbeit, Kinderversorgung oder Erziehung. Als Abwehr vor Identifikation mit und Verinnerlichung dieses traditionellen Musters einer friedfertigen und anständigen Mutter-Polin, die ihre individuellen Bedürfnisse für Gott und Vaterland opfern sollte, gingen nun Hunderttausenden, zum großen Teil junge Frauen, auf die Straße. Ob diese spontane Energie in eine reflektierte Kritik umschlagen wird oder ob sie als unmittelbare, negative Reaktion stehenbleiben wird, wird sich erst in Zukunft zeigen. Die bevorstehende Aufgabe, die enge Verknüpfung von Frauenfeindlichkeit und Nationalismus zu zerlegen und zu analysieren, die einzelnen Momente dieser nationalen Ideologie zu begreifen und eine entsprechende Kritik der kapitalistischen Verhältnissen daran zu üben, um die Anziehungskraft dieser Ideologie zu schwächen, ist in einem Land, in dem seit 1989 kontinuierlich eine nationale homogene Gemeinschaft – sei es in einer liberalen, sei es in einer national-konservativen Form – beschworen wurde, in der Tat keine einfache. Würde es jedoch wenigstens teilweise gelingen, würde die PiS-Partei in der ‚Strajk Kobiet‘-Bewegung ihre Bestatterin finden.

Als ein vielversprechender Schritt in diese Richtung kann die Berufung eines ‚Beratungsgremiums des Landesweiten Frauenstreikes‘ (Rada Konsultacyjna Ogólnopolskiego Strajku Kobiet) angesehen werden, das sich die Aufgabe setzt, die auftauchenden Forderungen der heterogenen Bewegung zu sammeln und diesen einen entsprechenden politischen und rechtlichen Ausdruck zu verleihen. Bisher ist deren Spektrum sehr breit angelegt: Manche dieser Forderungen, wie die Trennung von Staat und Kirche, Rechte der LGBTIQ-Community, Abschaffung der sogenannten Müllverträge (pl. śmieciówki, darunter fallen unter anderem die Werkverträge), Verbesserungen im Gesundheitswesen oder der Kampf gegen die Klimakrise reichen weit über den expliziten Streitpunkt hinaus. In puncto Abtreibungsrecht ist eine starke Tendenz zu dessen Liberalisierung zu beobachten. Manche von diesen Forderungen klingen insofern erfrischend, als dass sie sonst kaum auf der stark rechtsgeprägten polnischen politischen Bühne zu hören sind. Das wirft jedoch bereits einige Fragen bezüglich der zukünftigen Form der ‚Strajk Kobiet‘-Bewegung auf: Wird sie überhaupt die Ansprechpartner_innen innerhalb der etablierten Parteien finden? Reicht ihre Rolle einer außenparlamentarischen Opposition, um zumindest einige der Forderungen realisieren zu können?

Und last but not least berechtigt ebenfalls bereits die Zusammensetzung der ‚Straj Kobiet‘-Proteste zu Hoffnung. Noch in den Parlamentswahlen 2019 konnte sich eine offen antisemitische sowie frauenfeindliche Partei ‚Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit‘ (Konfederacja Wolność i Niepodległość) über die Unterstützung eines Fünftels der wählenden jungen Polinnen und Polen (18-29) freuen. Die konföderierten Rechten erlangten inzwischen die zentrale, tonangebende Position innerhalb der parlamentarischen Opposition. Nun sind vor allem jüngere Menschen auf die Straße gegangen, die allem Anschein nach Widerstand gegen den politisch und gesellschaftlich andauernden Rechtstrend in Polen leisten, der sich gegen die PiS-Partei sowie gegen die Rechtsextremen richtet.

Es bleibt nur noch zu hoffen, dass es in dieser sehr angespannten Situation zu keiner unverhältnismäßigen Anwendung der Staatsgewalt kommen wird, die zu einem Blutbad führen könnte, wovor bereits, in einem offenen Brief vom 01.11.2020, über zweihundert pensionierte Generäle und Admiräle der Streitkräfte und anderen Sicherheits- und Ordnungsorgane gewarnt haben. Sicherheit der Protestierenden in einer Situation zu gewährleisten, in der sie zum Sündenbock der miserablen Politik der PiS-Regierung bei der Bekämpfung der Pandemie gemacht worden sind, und in der für die Sicherheit in Polen ein neu geschaffenes ‚Sicherheitskomitee‘ zuständig ist, ist alles andere als selbstverständlich. Vor allem deshalb, weil dieses bisher Ein-Mann-Komitee für Sicherheit, das unter seiner Kontrolle das Verteidigungsministerium, das Ministerium für Inneres und Verwaltung sowie das  Justizministerium hat, das Gesicht Jarosław Kaczyńskis trägt.

von Wojciech Stasiak

weitere Artikel aus der kleinen Weltbühne