Studierende erforschen die Pandemie und ihre Auswirkungen

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Im letzten halben Jahr wurden insgesamt 19 Forschungsprojekte von Studierenden der Uni Oldenburg zu verschiedenen Aspekten der Corona Pandemie gefördert. Hier sollen in Zukunft ausgewählte Projekte vorgestellt werden.

Projekt 1 – Die Arbeit im Homeschooling von Jugendlichen mit Förderbedarf in der emotionalen-sozialen Entwicklung 

Jessica Schütz und Aileen Weichert, zwei Studentinnen der Sonderpädagogik, haben die Gelingensbedingungen von Homeschooling während der Pandemie erforscht. In ihrem Projekt haben sie dazu zuerst einen offiziellen Maßstab für solche Bedingungen analysiert, die man vielleicht in Anlehnung an die bekannte Frage Hilbert Meyers („Was ist guter Unterricht?)“ formulieren könnte als ‚Was ist guter Heimunterricht?‘ Einen solchen Maßstab hat das Niedersächsische Kultusministerium erarbeitet und genaue Bedingungen dafür aufgestellt, wie das Homeschooling während des Lockdowns aussehen sollte und dafür minimale Gelingensbedingungen formuliert. 

Diese Bedingungen waren 1) ein Kontakt mit einer Lehrperson, den es mindestens einmal die Woche geben sollte, 2) eine durchschnittliche Lernzeit der Schüler_innen von 3 Stunden am Tag und 3) spezifische Aufgaben. Nun ging es Schütz und Weichert darum, zum einen herauszufinden inwieweit diese Bedingungen tatsächlich verwirklicht werden konnten, und zum anderen was die Schüler_innen selbst einschätzen, was sie benötigen würden. 

Die Einschränkung der Validität einer solchen qualitativen Studie ist offenbar, dass sie nur ein relativ kleines Sample von 13 Schüler_innen an  vier Schulen hatten, von der fünften bis zur achten Klasse. Eine repräsentative Studie war es also nicht, sondern eine qualitative Erhebung, was es überhaupt an subjektiven Erfolgsfaktoren für Schüler_innen im Distant Learning gibt. Wie genau war das Vorgehen der weiteren Erhebung?
„Wir leiteten die Interviews mit Eisbrecherfragen ein – wie es den Schüler_innen im Lockdown erging, was sie so in der ihrer Freizeit gemacht haben. Die Interviewitems haben wir dann entlang der Rahmbedingungen entwickelt: wie viel Lernzeit pro Tag wurde aufgewandt? Wann wurde gelernt (also eher vormittags oder abends)? Wie verlief der Kontakt zur Lehrkraft? Was für Aufgaben haben sie von dieser bekommen? Außerdem ging es um das Setting, also wie der Raum zum Lernen war und wie die vorhandene Technik. Es gab dann auch noch offene Fragen, die vor allem danach zielten, was sie für ihren Lernerfolg gebraucht hätten.“ 

Erste Ergebnisse der Studie liegen auch schon vor: Die Schüler_innen schätzten es für sich schon so ein, dass sie zu Hause gut arbeiten konnten und motiviert waren. Stark auseinander ging die Einschätzung aber, was die Struktur an den jeweiligen Tagen anbelangt. Die Hälfte verfügte über eine solche Struktur, die andere nicht, wobei die letztere offenbar viel Zeit mit Computerspielen verbrachte. Ein geregelter Tagesablauf sei aber vielen wichtig. Wenige schätzten aber auch die Situation, einmal nicht in der Schule und damit auch nicht kontrolliert zu sein. 

Überrascht waren die Studentinnen von dem weitgehenden Fehlen digitaler Lernangebote. Anders als in vielen anderen Schulen habe es in den erforschten Förderschulen nicht einmal Zoom-Meetings oder vergleichbares gegeben. Die Aufgaben seien streng analog gewesen. Das war auch der Hauptpunkt, den sich die befragten Jugendlichen explizit anders gewünscht hätten. 

Offenbar hat dies auch strukturelle Gründe, denn einige Jugendliche der Förderschulen wohnen in Wohngruppen, wo digitale Medien wenig vorhanden sind oder Handys erst ab einem bestimmten Alter benutzt werden dürfen, es also schlicht an technischen und erzieherischen Gründen liegt. Hinzu kommt, dass sich einige Lehrkräfte nicht mit digitaler Bildung auseinandergesetzt haben. 

Das führt zur Frage der Bedeutung der Studie, nämlich ob die Ergebnisse auch über die unmittelbare Coronasituation hinaus eine Relevanz besitzen. „Die Fragen nach Gelingensbedingungen für Homeschooling sind auch über die Pandemiesituation hinaus relevant. Zum einen müssten sich Schulen und Lehrkräfte auch für die nächsten Jahre ein Konzept für etwaige Schulschließungen überlegen und hier Aspekte berücksichtigen, die auch bei unserer Forschung erfragt wurden. Vorstellbar wären aber auch Leitfäden für Schüler_innen.  Die Erhebung könnte sich auch darüber hinaus für Fragen in einer zunehmend von Digitalisierung sich verändernden Bildung als hilfreich erweisen. Wir hoffen dafür einen kleinen Beitrag zu leisten.“

Projekt 2 – CO² und Emissionsentwicklung an der Uni Oldenburg im ‚Pandemiesemester‘

Eine internationale Gruppe von Graduate Students aus dem Postgraduate Programme Renewable Energy im Rahmen eines Forschungsmoduls zur Nachhaltigkeit begleitet von Dr. Herena Torio hat die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Emissionen der Uni Oldenburg untersucht. Konkret ging es darum zu erheben, wie sich diese Emissionen im digitalen Sommersemester im Vergleich zu einem normalen entwickelt haben, und was auf die erwartbar gesenkten Emissionen besonders großen Einfluss hatte. Dadurch, so das Ziel der Studiengruppe, um Angela Gamba, Diana Maldonado und Michael Rowen, wäre es möglich, auf einer gesicherten Datenlage zu entscheiden, wie man auch in Zukunft auf Emissionssenkungen zielen könnte. Dafür sollen auf Basis der Forschung Szenarien entworfen werden, wie sich die Emissionen verändern würden, wenn die Uni bestimmte Maßnahmen träfe.

Zugrunde lagen zum einen die offiziellen Daten der Universität aus den vergangenen Semestern, diese wurden mit aktuellen Daten verglichen. Zum zweiten führten sie eine Umfrage zum Mobilitätsverhalten der Mitarbeiter und Studierenden durch. 

Die beiden betrachteten Dimensionen waren der direkte Stromverbrauch der Uni und die Mobilität der Uniangehörigen. Damit gemeint sind alle Wege, die Personen der Uni – Studierende, Mitarbeiter_innen, Professor_innen – im Unikontext auf sich nehmen und die einen Auswirkung auf die Emissionen haben.

Das meint zum einen alle ‘Business Trips’, darunter wurden alle Fahrten zu Kongressen und Arbeitsgruppentreffen sowie Wege für Praktika der Studierenden zusammengefasst. Das meint aber vor allem auch das Pendeln zur Uni, also alle Wegen, die Personen der Uni – Studierende, Mitarbeiter_innen, Professor_innen von und zum Wohnort auf sich nehmen. 

Es war klar, dass Emissionen geringer sein würden, aber um wie viel geringer, das hat die Gruppe überrascht. “In unseren Vergleichssemstern, dem Sommersemester 2019 und dem Wintersemester 2019/20, summierten sich die durch Pendeln verursachten PendelEmissionen der Uni auf je etwa 2500 Tonnen. Im aktuellen Semester waren es nur noch etwa 500 Tonnen, also eine Reduktion auf 20% des normalen Niveaus. „Wir hatten einen Fall der Emissionen erwartet. Aber wie groß dieser war, das war doch ein bisschen überraschend und ich könnte mir vorstellen, dass es jemanden, der sich nicht mit Emissionen beschäftigt, noch deutlich mehr überraschen könnte, wie bedeutend die Senkung war.“

Die zweite überraschende Erkenntnis ist die Ursache für diese drastische Senkung. Der Energieverbrauch der Uni, trotz etwa neuer Server für die digitale Lehre, ist hier nicht die entscheidende Größe. Die wesentlichen Emissionen ergeben sich vielmehr durch das Pendeln. Die Höhe dieses Einflusses von Fahrten vom Wohnort zur Uni und zurück hat die Forschungsgruppe nicht erwartet. 

Die Gruppe hat nach dieser Erhebung Modelszenarien entwickelt, wie sich der Emissionshaushalt der Uni verändern würde, wenn bestimmte Einschränkungen vorgenommen würden.  Wie veränderten sich Emissionen, wenn mehr Konferenzen online durchgeführt werden würden? Was wäre, wenn die Uni ein Hybridsystem verstetigen würde, also auch über die Pandemie hinaus nur an 3 oder 4 Tagen in Präsenz stattfinden würde?

„Natürlich erwarten wir nicht, dass die Uni sich radikal verändert und nur noch Onlineseminare anbietet. Aber wir erwarten, dass mit den Ergebnissen von unseren Szenarien die Uni zumindest gewisse Veränderungen begründen kann. Unsere Ergebnisse könnten sicher eine Rolle in der evidenzbasierten Entscheidungsfindung der Uni spielen. Wir hoffen, dass diese Information der Uni helfen kann, um zu dem Bewusstsein beizutragen wie wichtig es ist vorsichtig damit zu sein, wie oft Studierende zur Uni kommen müssen.“ 

Bleibt die Frage, ob die Ergebnisse auch für andere Universitäten von Relevanz sein können. Schließlich stehen Emissionen in einem ganz bestimmten Kontext, und das Pendeln an einer Uni mit einem so großen ländlichen Einzugsgebiet wie Oldenburg ist vielleicht ein anderer Fall als eine Großstadtuni. Dennoch sehen die Studierenden hier ein Transferpotential:

„Viele Aspekte unserer Studie zeigen Muster, die alle Unis in Deutschland und Europa, vermutlich sogar der Welt, betreffen. Das sind vor allem die täglichen Pendelbewegungen und Geschäftsreisen. Die Ergebnisse sind daher mindestens eine gute Blaupause für ähnliche Studien an anderen Unis.“ 

Das Potential studentischer Forschung 

Für ihre Forschung erhielten die Studierenden in den beiden hier vorgestellten und in den 17 anderen auch eine kleine finanzielle Kompensation, sowie fachliche und materielle Förderung.  Was den wesentlichen Vorteil des Projekts anbelangt, gab es bei den beiden hier vorgestellten Gruppen eine etwas andere Einschätzung. Die Sonderpädagogikgruppe sieht den großen Vorteil in der prinzipiellen Möglichkeit auf ein umfangreiches Projekt. „Den Forschungsprozess von A bis Z durchlaufen zu können ist ein großer Vorteil. In der Sonderpädagogik ist die Teilnahme an einem großen Forschungsprojekt schon Pflicht. Aber daran ist man eher beteiligt, es ist nicht so richtig die eigene Forschung. Die Forschung basiert nicht auf einer eigenen Idee, sondern es ist vorgegeben.“
Wesentlich sei zudem auch die Begleitung des Projekts gewesen. Letzteres galt auch für die Emisionsstudie: „Die Supervision von Dr. Herena Torio war sehr hilfreich, auch weil die präzise Erstellung und Analyse von Fragebögen sehr herausfordernd ist, aber auch die Verteilung dieser, also dass man überhaupt genügend Rücklauf realisiert.“ 

Diese Forschungsgruppe betonte aber gleichzeitig, was für ein Vorteil auch die, wenn auch kleine, finanzielle Kompensation ist. „Unser Projekt hat mehrere Monate gedauert, vom Frühling bis zum Winter 2020. Das kann man nicht im Rahmen einer Seminararbeit machen.  Ich denke eine Grundfinanzierung zu haben wäre auch für andere Studierenden ein extrem großer Vorteil. Die meisten Studierenden haben einen sehr engen Stundenplan, es ist sehr hart genug Zeit freizuschaufeln für eine wirklich gute Studie. Wir sind dabei überzeugt, dass das auch für die Uni einen großen Wert hat. Ich denke die unabhängige, teilfinanzierte Studierendenforschung ist eine hervorragende Sache. 

Die dritte Besonderheit des Projekts ist außerdem die höhere Hochschulöffentlichkeit. „Sonst konnten wir das Projekt mal in einem Seminar oder Kolloquium vorstellen. Jetzt haben wir etwas größere Aufmerksamkeit und Anerkennung.“, sagten Schütz und Weichert, und ähnliche erging es auch Gamba, Maldonado und Rowen: „Wir sind dankbar für das breitere Publikum, über unser Graduiertenprogramm hinaus,  und das bekannter werden der Forschung, auch weil es das Ziel unserer Forschung ist, für das Problem Aufmerksamkeit zu schaffen.“ 

Nun geht es im nächsten Schritt an die Vorstellung und Veröffentlichung der Projekte. Ein Artikel zum Pädagogik-Projekt erscheint bei forsch! Und auch die zweite Gruppe arbeite weiter mit dem Ziel einer Veröffentlichung: „Das Projekt ist bald offiziell vorbei, Aber wir wollen noch länger daran arbeite um noch weitere Szenarien zu haben. Wir hoffen darauf dann auch einmal ein Konferenzpaper machen zu können.“ 

Die Poster aller 19 Forschungsprojekte werden auf dem TDLL 2020 am 26. November 2020 präsentiert. 

von Ulrich Mathias Gerr

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