Der Brand auf Moria ist nur die logische Konsequenz einer brutalen Abschottungspolitik, an deren Bilder man sich fälschlicherweise bereits gewöhnt hat. Ein Kommentar von Max Wevelsiep.
Die ersten Corona-Fälle inmitten aufs engste zusammengepferchter Menschen, die mangelnde Versorgung an jeglicher notwendiger Grundversorgung, der für viele Geflüchtete jahrelang andauernde Stillstand – in Anbetracht dessen erscheint der Brand auf Moria nur als allzu zwingend. Beinahe symbolisch stehen die Rauchschwaden und die hinterlassene Asche für die deutsch-europäische Geflüchtetenpolitik der letzten Jahre.
Diese bestand in den letzten Jahren hauptsächlich in jeglichen Maßnahmen, die Geflüchteten an einem einigermaßen menschenwürdigen Leben hindern sollen: In der Verschärfung der Asylgesetze bis zur vollständigen Aussetzung dieser, in illegalen Push-Backs, in der Erweiterung der Grenzzäune nicht nur in Ungarn, sondern auch in Griechenland und Serbien, in der Abschiebung, die insbesondere für LGBTQ-Personen den beinahe sicheren Tod darstellt (https://www.fr.de/politik/nicht-schwul-genug-asyl-12666826.html, https://www.queer.de/detail.php?article_id=29247), und in den völlig überfüllten Lagern. All dies ist Teil jener Europäischen Union, deren schillernden Sterne die T-Shirts stolzer Demokrat_innen zieren.
Solange damit den Geflüchteten das Betreten das europäischen Festlands verweigert werden kann, ist diese sich selbst für die Zusammenarbeit mit Islamisten nicht zu schade: Die Bezahlung der libyschen Milizen, welche die Geflüchteten im Mittelmeer abfangen und sie in jene Lager zurückbringen, in denen ihnen Folter, Vergewaltigung und Versklavung droht, stellt für die Friedensnobelpreisträgerin EU ein probates Mittel europäischer Grenzsicherung dar.
Zu beobachten ist hier also eine zunehmende Barbarisierung der europäischen Flüchtlingspolitik. Ausdruck dieser ist der Besuch von Ursula von der Leyen an der griechischen Außengrenze, bei dem sie den griechischen Grenzschutz, welcher unter anderem mit nationalistischen Bauern und rechtsextremen Banden zusammenarbeitet, als „europäisches Schutzschild“ lobt und in militärischer Verteidigungsrhetorik schutzsuchende und ein besseres Leben begehrende Menschen mit einer feindlichen Armee gleichsetzt. Die faktische Aussetzung des Asylrechts, die Attacken auf NGO-Mitglieder und Journalist_innen, die Zustände in den Lagern, all dies war ihr hingegen kein Wort wert.
Dass eine solche Politik, die Schutzsuchende als bloßes Menschenmaterial behandelt, welches kontrolliert, eingepfercht und vom europäischen Festland ferngehalten werden soll, in einer Katastrophe wie der des Brandes des Camps auf Moria mündet, ist so kaum verwunderlich.
Dies hat insbesondere die deutsche Politik zu verantworten, welche sich hinter humanistischen Feigenblättern in der Realität der Praxis der Abschottung verschreibt. Dass die Bundesregierung nun die Aufnahme von 1.500 Menschen als Kompromiss darstellt, ist eine Dreistigkeit: Diese Zahl wurde bereits Anfang des Jahres, also vor dem Brand in Aussicht gestellt, allerdings nicht eingelöst. Im realpolitischen Gehabe so zu tun, als seien 45.000 Menschen tatsächlich eine Zahl, die für Deutschland nicht zu bewältigen ist, übergeht man geflissentlich, dass die Aufnahmebereitschaft weit größer ist als dieser Kompromissvorschlag: Die vielen Städte und Kommunen, die sich als sichere Häfen erklärt haben und ihre Aufnahmebereitschaft jüngst auf dem Städtetag oder in Briefen an die Bundesregierung noch mal bekräftigt haben, sind so zahlreich, dass die Aufnahme in jeglicher Hinsicht – politisch, kapazitiv, etc. – zu bewerkstelligen wäre (https://www.nds-fluerat.org/46462/aktuelles/kein-kompromiss-bei-der-aufnahme-von-gefluechteten-aus-griechenland/). Man kommt so also recht schnell zu dem Schluss, dass es hier nicht um Zahlen geht. Vielmehr soll sich in Anteilnahmslosigkeit und Wegsehen geübt werden, während man gleichzeitig bei Kirchen- oder Festtagsreden an humanistische Werte appelliert.
Beispielhaft dafür ist die mediale Besprechung der Äußerungen Björn Höckes wie die der „wohltemperierten Grausamkeit“. Hier wurde zwar durchaus die faschistische Ideologie erkannt, gleichzeitig ignorierte man allerdings weitgehend, dass die Forderung nach schrittweiser Barbarisierung der Migrationspolitik seit Jahren europäische Praxis ist, insbesondere auf Drängen der deutschen Regierung.
Der Effekt der alltäglichen Vermittlung, dass deutsches und nicht-deutsches Leben ungleich viel wert ist, ist eben auch, dass dieser Zustand allzu schnell als Normalität hingenommen wird. Die technisierte Sprache und das Argumentieren in Sachzwängen tun dabei ihr Übriges. Die mediale Widerspiegelung der Gewalt, die den Geflüchteten in Europa und an deren Grenzen angetan wird sowie das Unterlassen von Hilfe, erfüllt darüber hinaus den Zweck der Signalwirkung an all die anderen Menschen, die Schutz und Sicherheit und ein freieres, westliches Leben suchen. Dass dies seitens der politischen Führung schon lange nicht mehr in blumige Wort gepackt werden muss zeigt, wie weit die gesellschaftliche Verrohung bereits vorangeschritten ist.
Der Eingewöhnung in diese Normalität muss unbedingt widerstanden werden, möchte man sich nicht zum Komplizen jener Verhältnisse machen, die den Brand in Moria ermöglichten. Deren kritische Analyse und Bekämpfung ist zum Scheitern verurteilt, gibt man sich dem psychologischem Mechanismus der Rationalisierung dieser alltäglichen Brutalität hin.
von Max Wevelsiep