Stellungnahme

Stellungnahme zum neuen Entlastungspaket

Auch das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung[1] ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. An der bloßen Tatsache, dass die Studierenden hier zum ersten Mal als eigene, finanziell prekäre Gruppe in den Blick genommen wurden, werden sich wohl wenige der Betroffenen wärmen können: Angesichts der Preissteigerungen und Mieterhöhungen ist die Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro eine bloße Brotkrume, die etwa gegenüber der Pauschale von 300 Euro für Rentnerinnen und Rentner aus unerfindlichen Gründen deutlich kleiner ausfällt. Der Zuschuss wird einen Teil der gestiegenen Lebenshaltungskosten der letzten Monate, nicht aber die kommenden Energiezahlungen, geschweige denn die in die Höhe schnellenden Mietpreise auffangen können.

In dem „wuchtigen“ Paket (Christian Lindner) verbergen sich also vor allem wolkige Worte: In einem solchen hätte für Studierende unter anderem eine drastische Reform des BAföGs, wie sie etwa der fzs (freier zusammenschluss von student*innenschaften) fordert[2], inklusive einer sofortigen Anpassung der Fördersätze an die tatsächlichen Lebensrealitäten von Studierenden und einer massiven Ausweitung des Kreises der Förderungsberechtigten, zumindest aber eine Einmalzahlung, die die tatsächlichen gestiegenen Lebenshaltungskosten abfedert, enthalten sein müssen. Die Einmalzahlung hingegen stellt angesichts der zu erwartenden Härten der kommenden Monate eine schlichte Abspeisung dar, die Studierende weiter in die Prekarität fallen lässt, statt diese zu bekämpfen.

Auch die beschlossene Nachfolge des 9-Euro-Tickets wird insbesondere für Studierende zu keiner merklichen Entlastung führen. Selbst bei einer niedersachsenweiten Variante von 49 Euro wäre Studierenden vor allem über die nächsten Monate kaum geholfen: Dass damit das Semesterticket über sechs Monate nur noch knapp günstiger wäre, bedeutet zwar, dass sich die Ausgangsposition der Studierendenschaften im Hinblick darauf, günstigere Konditionen des Semestertickets mit den Verkehrsunternehmen auszuhandeln, verbessert hat – bis diese in Kraft treten, wird aber einige Zeit ins Land ziehen. Das Kabinett hätte eine unmittelbare Fortsetzung des 9-Euro-Tickets beschließen sollen, die breiten Teilen der Bevölkerung weiterhin Mobilität ermöglichen würde.

Dass vielen ein Winter in Armut bevorsteht, liegt nicht hauptursächlich an außenpolitischen Entscheidungen wie den zu begrüßenden Sanktionen gegen das mörderische Regime in Russland, sondern am mangelnden Willen der Bundesregierung, die Folgen sozial aufzufangen. Dies verkauft Wirtschaftsminister Robert Habeck in seinem charakteristischen kumpelhaften Ton als alternativlos. Diese angebliche Alternativlosigkeit stellt sich mit Blick auf den in den wirtschaftspolitischen Entscheidungen enthaltenen Verzicht darauf, Vermögenswerte von Unternehmen oder reichen Privathaushalten anzutasten, als falsch heraus.

So etwa bei der erst von Lobbyverbänden ins Spiel gebrachten Gasumlage[3], mit der durch die Abwälzung der gestiegenen Energiepreise auf den einzelnen Verbraucher große Gasimporteure gestützt werden sollen. Davon werden auch Unternehmen profitieren, die bislang prächtig durch die Krise gekommen sind. Kurzum: Eine der sozialpolitisch verheerendsten Entscheidungen der letzten Jahre beschreibt Habeck euphemistisch als „bittere Medizin“. Deutlicher wird hier die Pressesprecherin seines Ministeriums: In der Erklärung zur Gasumlage stellt sie ihren Standpunkt dar, „dass ein Unternehmen auch Gewinne machen muss“, und bekräftigt dies auf die Frage hin, ob es politisch klug sei, dass mit der Umlage Verbraucher und Verbraucherinnen auch die Profite von Unternehmen übernehmen, die sich jetzt für die Umlage registrieren: „Ein Unternehmen braucht eine gewisse Gewinnspanne, um weiter agieren zu können“[4].

Dass eine sozialpolitische Abfederung der Folgen des russischen Angriffskriegs in Zeiten des Fortwirkens neoliberaler gesellschaftlicher Umwälzungen, von denen Lindner und dessen Hausideologe Lars Feld bloß die schrillsten Exponate sind, politisch gar nicht gewollt ist, liegt auf der Hand. Für Studierende hat das dramatische Konsequenzen: Schon in den letzten Jahren sahen sich viele dazu gezwungen, ihr Studium aufgrund finanzieller Notlagen abzubrechen. Dass vor dieser Entscheidung in den kommenden Monaten viele weitere Studierende stehen werden, die sich bislang gerade so über Wasser halten konnten, ist zu befürchten.

Aber auch das Studium derjenigen, die sich mehr schlecht als recht durchschlagen können, wird unter den prekären finanziellen Verhältnissen in Mitleidenschaft gezogen werden: Wer sich täglich Sorgen darüber machen muss, wie er oder sie über die Runden kommen soll, ohne von einem ohnehin rudimentären Lebensstandard, der eine beheizte Wohnung, abwechslungsreiche Ernährung und vielleicht gar ein Feierabendbier umfasst, auch noch Abstriche machen zu müssen, und sich deshalb mehrere Nebenjobs auflädt, wird sich schwerlich auf teils sehr komplexe, herausfordernde Inhalte des Studiums einlassen können.

Es wird deutlich, dass die Krisenbewältigung wie schon zur Hochzeit der Corona-Krise auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird, anstatt die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums anzutasten. Dass dies durchaus möglich ist, lässt sich allein mit Blick auf andere Länder der EU feststellen, wie zum Beispiel Spanien, wo jüngst die sogenannte Übergewinnsteuer eingeführt wurde, um Haushalte zu entlasten und einen kostenlosen ÖPNV zu finanzieren, oder Frankreich, wo ein Preisdeckel auf Strom und Gas beschlossen wurde. Doch umfassende Miet-, Strom- oder Gasdeckel, steuerliche Instrumente, die auf Unternehmensgewinne oder große private Reichtümer abzielen, oder eine Abkehr von der Schuldenbremse bleiben trotz der Realität des Ukraine-Kriegs und der um sich greifenden Inflation für die aktuelle Regierung ein rotes Tuch.

Es zeigt sich somit, dass gegenüber der alten Bundesregierung unter der neuen für Studierende keine sozial- und hochschulpolitischen Verbesserungen in Sicht sind. Die groß angekündigte BAföG-Reform hat dessen grundlegende Probleme unberührt gelassen, die Studentenwerke verbleiben aufgrund der harten Bindung der Bundesländer an die Schuldenbremse in einem desolaten Zustand und den Universitäten und Fachhochschulen droht aufgrund nicht zu stemmender Energiepreise die Schließung[5].

Für uns ist es offensichtlich, dass sich an diesen Umständen ohne Weiteres nichts ändern wird: Wir vernetzen uns daher auf Landes- und Bundesebene mit anderen ASten, etwa im Rahmen der Kampagne „#stopthecuts“, um uns gemeinsam für erhebliche sozial- und hochschulpolitische Verbesserungen einzusetzen und damit den deutschen Zuständen den Kampf anzusagen. Und daher fordern wir auch euch auf: Organisiert euch in progressiven Bündnissen, die sich gegen die aktuelle Einkassierung des Sozialstaats einsetzen, und meldet euch bei uns, wenn ihr über unsere Arbeit an diesen politischen Kämpfen teilnehmen wollt.

Dass wir uns weder an Projekten der politischen Rechten noch an solchen der Querfront-Linken beteiligen, die ein Ende der Sanktionen gegen Russland und eine Wiederaufnahme von Nord Stream 2 fordern und damit sowohl die Konsequenzen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Bevölkerung relativieren als auch jedem Gedanken einer universellen gesellschaftlichen Emanzipation eine Absage erteilen, steht für uns außer Zweifel. Auch in dieser Frage möchten wir an euch appellieren: Durch die aktuellen Proteste dürfen nicht reaktionäre Akteure gestärkt werden, informiert euch also über dasjenige Bündnis oder denjenigen Protest, dem ihr euch anschließen wollt.

[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/drittes-entlastungspaket-2082584

[2] bafoeg50.de

[3]  https://www.welt.de/wirtschaft/plus240836767/Gasumlage-So-viel-Einfluss-hatten-Lobbyisten-auf-Habecks-Verordnung.html

[4] https://www.youtube.com/watch?v=hBLcE0tx1DI

[5] So hat beispielsweise die Universität Gießen verkündet, Präsenzveranstaltungen nur von Montag bis Donnerstag durchzuführen und die Öffnungszeiten der Bibliothek massiv zu beschränken. https://www.gew-hessen.de/bildung/hochschule-und-forschung/details/das-land-muss-jetzt-handeln-gaspreissteigerung-gefaehrdet-forschung-lehre-und-studium

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