Toiletten zum Tode

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Es gibt eine bekannte Rick & Morty-Folge, in der es um den besten Platz im ganzen Universum für eine Toilette geht. Genauer gesagt die perfekte Aussicht während eines Stuhlgangs, für die der exzentrische Wissenschaftler Rick einen Platz am Waldrand eines abgelegenen Planeten findet, mit Ausblick auf einen wunderschönen Sternennebel. Die Frage nach einem solchen perfekten Platz für eine Toilette könnte man nun als irre Idee des Drehbuchschreibers Dan Harmon erklären, als verrückte Story einer an verrückten Stories wahrlich nicht armen Serie. Die dahinterstehenden Vorstellungen könnte man aber auch darauf befragen, was der Wunsch des schönsten Platzes noch für den profansten Stuhlgang eigentlich ausdrückt.

Um sich der Frage zu nähern, sei an ein Konzept Sigmund Freuds erinnert. Dass in der frühkindlichen Entwicklung ein bestimmtes Verhältnis zu Exkrementen aufgebaut und den Stuhlgang begleitende anale Erfahrungen gemacht werden, ist die Erkenntnis der Freudschen Theorie der so genannten analen Phase. In dieser Phase, die zwischen der anfänglichen oralen und der späteren phallischen Phase steht, macht das Kind die Erfahrung, dass es den Stuhlgang zurückhalten kann und dass das dann endlich erfolgte Ausscheiden einen Lustgewinn bedeutet. Diese scheinbar banale Fähigkeit des Menschen führt nun dieser Theorie zufolge zur Ausbildung ganz bestimmter Persönlichkeitsmerkmale. Das, was das Kind in dieser Phase lernt, ist zum einen ein Triebverzicht, weil es der unmittelbaren Neigung entgegenstehend Kontrolle über sein körperliches Bedürfnis ausüben lernt. Außerdem fällt in diese Phase auch das Erlernen bestimmter Praktiken von Reinlichkeit und das Tabu, mit dem eigenen Kot zu spielen, was ebenfalls etwas ist, was Kinder erst einmal lernen müssen. Anale Charaktere sind demzufolge solche Personen, bei denen Verhaltensweisen dominant ausgeprägt sind, die auf Reinlichkeit, auf Kontrolle und Triebverzicht zielen.

In einer Anwendung der Theorie Freuds zur analen Phase und der damit verbundenen Charaktermerkmale entwickelte der Psychoanalytiker und kritische Philosoph Erich Fromm die These, dass gerade diese Merkmale – Kontrolle, Reinlichkeit und Verzicht – typische Charaktermerkmale im Bürgertum, insbesondere im protestantischen Bürgertum sind. Aus der letztlich alle Menschen betreffenden Beobachtung Freuds wird also eine historische These: in einer ganz bestimmten Epoche wird es wichtig, dass man gegen sein unmittelbares Bedürfnis handelt, und regelmäßig und sehr effektiv seiner Arbeit nachgeht, dass man das Geld, dass man auch für die direkte Erfüllung von Bedürfnissen einsetzen könnte, erst einmal lange Zeit investiert, dass man auf eine Art auf seine Gesundheit achtet, die zur Folge hat, dass man besonders effektiv bei den Tätigkeiten des Berufs ist. Die analen Charaktere sind also ein gut geeigneter Charaktertypus für die Anforderungen einer kapitalistischen Gesellschaft.

Noch einmal zugespitzt wurde der Versuch, diesen Charakterzug in einen historischen Kontext zu stellen, mit den “Studien zum autoritären Charakter”, mit denen man versuchte zu untersuchen, wieso Menschen für den Faschismus offen sind. Anale Charaktere sind dieser Studie zufolge stärker für faschistische Tendenzen offen als andere Charaktertypen. Es geht nun nicht darum allen, die besonders sauber sind, Offenheit für Faschismus nachzuweisen. Es geht eher darum, bestimmte Muster in der Ausbildung von weit verbreiteten Formen von autoritärem Verhalten und ideologischen Vorstellungen zu untersuchen, um diese Muster erklären zu können. Die Vorstellung, dass man eine besondere Form von “sozialer Hygiene”, also letztlich rassistischer Reinheit, zu praktizieren hätte, dass man Menschengruppen abwertet mit sprachlichen Bildern, wie jenes, dass diese Ungeziefer sind, oder dreckig und in jedem Fall inhuman, sind Indiz dafür, dass eine unbewusste Regression stattfindet, auf etwas, dass in der analen Phase der Kindheitsentwicklung passiert ist

Der bekannte slowenische Philosoph Slavoj Žižek hat dieses Verhältnis von bestimmten Sozialcharakteren zum Stuhlgang wohl aufgegriffen, als er einen mittlerweile berüchtigten Gedanken entwickelte. Žižek macht die unterschiedliche Gestaltung von Toiletten in unterschiedlichen Ländern zum Indiz einer bestimmten Mentalität und verband das sogar mit vorherrschenden philosophischen Strömungen in diesen Ländern. Während in Frankreich der Kot direkt im Abfluss verschwände und in England und den USA dieser ins Wasser fällt, landet er bei einem weit verbreiteten Toilettentypus, den es so offenbar nur in Deutschland gibt, auf einer Ablage, so dass man diesen noch genau inspizieren kann. Ein französischer Sozialtypus will die Fäkalien demnach “so schnell wie möglich loswerden”, ein liberaler englischer ist geprägt von “einer pragmatischen Entscheidung, ihn als gewöhnlich zu behandeln und auf angemessene Weise zu entsorgen”, während es in Deutschland eine “zweideutige kontemplative Faszination” gebe. Französische Aufklärung, englischer Pragmatismus und deutscher Konservatismus – letzter in seiner wortwörtlichen Rückgewandtheit

Was also heißt es für die Veränderungen dieser Sozialtypen und Ideologien, der nun von global erfolgreichen Serien geprägt ist wie im Fall von Rick & Morty, wenn hier noch eine Steigerung stattfindet und der Gestank und das Hässliche eines jeden Stuhlgang durch den schönsten Ort des Universums neutralisiert werden soll? Gibt es eine noch einmal zugenommene Entfremdung der Subjekte von ihren körperlichen, organischen Prozessen? Spricht das für eine weitere Verbreitung eines analen Charakters? Wie hat sich das in der globalen Pandemie und ihren oktroyierten Hygienepraktiken entwickelt? So ambivalent diesbezügliche Deutungen sein müssten, weil es sich vermutlich nicht um direkte Ableitungsverhältnisse handeln wird, so scharf lässt sich wohl mit dem Aphorismus “Gesundheit zum Tode” von Theodor W. Adorno vorwegnehmen: “Wo es am hellsten ist, herrschen insgeheim die Fäkalien.”

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