„Die Kluft zu überwinden ist die wahre Herausforderung für alle die Hochschulpolitik machen“

Seit 2015 bloggt der Journalist und Wissenschaftsmoderator J. M. Wiarda auf seinem gleichnamigen Blog (jmwiarda.de) über neuen Entwicklungen in der Wissenschafts- und Hochschulpolitik. Ein Interview zu seinem Blog, aktuellen hochschulpolitischen Entwicklungen und Herausforderungen in der demokratischen Gestaltung der Universität. 

Können Sie sich noch an Ihren ersten Blogbeitrag erinnern?

Ja, der hatte zu tun mit der Drittmittelflut, mit der deutsche Universitäten konfrontiert sind. Wie gehen sie damit um? Wie kommt es zu solchen Phänomenen, dass Universitäten sich „zu Tode siegen“, sprich immer mehr Drittmittel einwerben, das aber auf Kosten der Substanz und vor allem der Lehre geht. Das war das Thema des ersten Blogbeitrags. 

Viele Ihrer Beiträge sind kritisch gegenüber aktuellen Entwicklungen in der Hochschule. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie Wissenschaft sein sollte, an der Sie die Wirklichkeit messen? 

Nein, es ist die journalistische Position eines Beobachters, aber schon eines Beobachters mit Erfahrung. Das heißt ich kenne das System von außen und von innen ganz gut. Und daraus versuche ich die Perspektive zu entwickeln auf das System, die aber natürlich eine subjektive Perspektive ist. Tatsächlich ist es so, dass ich neben dem Anspruch, in meinem Blog Informationen zu liefern, die man möglichst nirgendwo anders findet und eine Versorgung mit diesen Informationen zu bieten, dass ich auch den Anspruch habe eine kritische Stimme zu bieten. Das sind die beiden Ideen, die den Blog ausmachen: Informationen, die man sonst nirgends bekommt und eine Perspektive und Einschätzung, die einem Orientierung geben oder an der man sich reiben kann. 

Ein wichtiges Thema in der jüngsten Berichterstattung Ihres Blogs war der neue Hochschulpakt, der die deutsche Hochschullandschaft bis 2030 mitbestimmen wird. In der Uni, besonders unter Studierenden, sind diese sehr weitreichenden Entscheidungen kaum ein Thema. Wundert Sie das manchmal?

Aus einer normativen Perspektive: Ich wundere mich, warum insgesamt im Wissenschaftssystem und in den Hochschulen sich sehr wenige Leute für Wissenschaft- und Bildungspolitik interessieren. Das wundert mich grundsätzlich, weil sie doch direkt davon betroffen sind. Ich wundere mich aber auch, warum eine breite Öffentlichkeit oft wenig Interesse hat an Wissenschaftspolitik. Es wundert mich, wie wenig Berührungspunkte viele Menschen hier zu haben scheinen. Und sei es nur aus dem Blick des Steuerzahlers, in einem Augenblick, wo im Wissenschaftspakt 160 Milliarden Euro verplant werden. Das wundert mich schon und es ist auch ein Ziel, das ich habe, die Themen durch die Berichterstattung mehr zu debattieren und meine Leser zum Nachdenken zu bringen über die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft. Das ist mir wichtig. 

Zusammen mit dem Hochschulpakt fiel auch die Entscheidung über die Mittelvergabe über den ‚Qualitätspakt Lehre‘, die geringer ausfiel, als viele sich erhofft hatten. Kann man das als Signal verstehen, wie wenig wichtig die Universitätslehre seitens der Politik genommen wird?

Ich würde das Finanzvolumen nicht als Statement für die Lehre an sich nehmen, sondern als Statement, wie wichtig – oder eben nicht – der Politik die Innovation in der Lehre ist. Denn die Lehre an sich ist ja auch durch den Zukunftsvertrag, also die Hochschulpaktnachfolge, abgedeckt. Aber die Frage, welchen Stellenwert die Lehre im Verhältnis zur Forschung hat, welchen Stellenwert Innovationen in der Lehre haben, für die Karrierewege von Hochschullehrer_innen, da würde ich doch sagen, dass das Statement natürlich nicht optimal ist, wenn man sich die Größenverhältnisse ansieht. Ich halte jedoch die Einrichtung einer eigenen Förderorganisation für die Innovation in der Hochschullehre für ein sehr wichtiges und positives Signal. Jetzt kommt es darauf, dass auch die Umsetzung so ist, dass man sagen kann, dass da eine eigene und unabhängige Organisation entsteht. Auch wenn es, wie dort die Kompromissfindung nunmal ist, unter dem Dach einer bestehenden Organisation sein soll, muss sie inhaltlich und strategisch doch komplett unabhängig werden. 

Sie waren gerade als Moderator des ‚World Congress on Undergraduate Research“ in Oldenburg. Dort ging es um studentische Forschung. Die große Bedeutung dieser in der Lehre wird von den meisten betont, aber man hat den Eindruck, dass manches in der Umsetzung versandet. Wie ließe sich die Situation verbessern?

Zumindest wird mehr als früher über diese Frage diskutiert. Ich glaube am Ende geht es über Anerkennung. Ich habe gerade die Förderorganisation erwähnt. Wenn die Fördermittel vergibt und wenn Hochschullehrer_innen sich auszeichnen können, indem sie dort erfolgreich Projekte beantragen, wird das sicher zu einer stärkeren Anerkennung führen. Aber natürlich kann das nur ein kleiner Baustein sein. Solange wir so schlechte Betreuungsschlüssel an der Hochschule haben, ist die Lehre nichts, wo die meisten Professor_innen anfangen in Begeisterungsstürme auszubrechen, weil es für sie vor allem eine Belastung bedeutet. Ich glaube schon, dass die meisten gerne lehren und auch gerne besser lehren wollen, aber es ist oft vom Alltag und den Anforderungen durch die schlechten Betreuungsrelationen so, dass sie oft überfordert sind. Insofern, meine ich, ist das eine, dass wir endlich zu einer besseren Finanzierung von Lehre kommen müssen, also eine Verbesserung in der Betreuungsrelation erreichen müssen, und wir müssen gleichzeitig zu mehr Anerkennung in Form von Fördergeldern von Projekten oder Lehrpreisen, die es zum Glück ja mittlerweile überall gibt, aber auch in Form von Berufungsvoraussetzungen kommen. Das ist noch nicht überall der Fall, dass die Lehre und Lehrerfahrung wirklich gleichrangig bei Berufungsverhandlungen gewichtet wird. 

In einem Blogbeitrag auf Ihrer Seite haben Sie über die Professorenmehrheit berichtet. Wie schätzen Sie die Chance ein, dass diese langfristig eingestellt wird? Kann man in der jetzigen Form überhaupt im emphatischen Sinne von einer „demokratischen“ Hochschule sprechen, wenn es ein solches Ungleichgewicht zwischen den Statusgruppen gibt?

Die Frage ist ja, was man als wirkliche Beteiligung definiert. Ist sie erreicht, wenn die Statusgruppen die selben Stimmenanteile in den Gremien haben? Formal vielleicht, aber eigentlich ist es doch so, dass wenn man sich die Hochschulwahlen ansieht, dass dann nur ein geringer Teil der Berechtigen vom Wahlrecht gebraucht macht. Das betrifft sowohl die Studierenden als auch die Professorenschaft und die Mitarbeiter. Aus der demokratietheortischen Perspektive muss man sich da schon fragen, abseits der Professorenmehrheit: Was ist eine Repräsentation wert, wenn 10, 15, 20 Prozent der Wahlberichtigten abstimmen? Ich will damit das Thema Professorenmehrheit nicht klein reden. Aber selbst, wenn es die nicht gäbe, ist die Frage, ob die Gremien, so wie es sie gibt und so wie sie gewählt werden, wirklich Beteiligung ermöglichen und warum eigentlich so wenige Leute wählen. Das sind Fragen, die man sich auch stellen muss.

Und die Professorenmehrheit?

Ich glaube, dass dort eine Öffnung denkbar ist. Aber nicht in dem Sinne, dass dann Studierende am Ende genauso viel zu sagen haben wie Wissenschaftlerinnen. Sondern, dass künftig nicht mehr so klar differenziert wird zwischen Professoren auf der einen Seite und wissenschaftlichen Mitarbeitern auf der anderen Seite. Am Ende könnte nicht mehr die Professur entscheidend sein, sondern allgmein die Erfahrung als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin. Dass also die Professorenmehrheit zu einer Art Wissenschaftlermehrheit wird, vielleicht nach der Promotion+x. Das könnte ich mir vorstellen. Aber es wird, auch wenn ich mir die Rechtsprechung des Verfassungsgesetzes angucke, nie so sein, dass da eine völlige Gleichberechtigung aller Statusgruppen am Ende stehen wird. 

Das von Ihnen skizzierte Modell hätte die Schwäche, dass es durch die berufliche Abhängigkeit der wissenschaftlichen Mitarbeiter von den Professoren auch dann keine ganz freie Entscheidung wäre. Es hängt von den ökonomischen Beschäftigungsverhältnissen ab. 

Das stimmt, ist aber eine andere Frage. Da sind wir nicht bei dem Thema, dass das Verfassungsgericht irgendwann sagen könnte: Wissenschaftlermehrheit bei Promotion+x. Damit wäre noch nichts gesagt über die Beschäftigungsbedingungen. Man kann in dieser Frage zwischen einer formalen und einer inhaltlichen Wissenschaftsfreiheit unterscheiden. Wie frei kann ich wirklich agieren, wenn ich abhängig beschäftigt bin? Aber diese Frage kann und wird nicht das Verfassungsgericht klären. 

Man sieht daran aber vielleicht, wie sich verschiedene Themenbereiche eng berühren.

Richtig, das ist das was ich meinte, als ich fragte, was eine Viertelparatität wert wäre, wenn gleichzeitig die Legitimation in Frage steht, weil bei allen Statusgruppen nur eine Minderheit der Wahlberechtigten an der Wahl teilnimmt. Diese Frage muss man sich auch stellen: ob wir nicht zusehen müssen, ein Governancemodell zu entwickeln, was Partizipation auch dadurch abbildet, dass die Leute Lust haben mitzumachen. Für viele scheint das derzeitige Gremiummodell, wie es an vielen Orten noch existiert, nicht besonders attraktiv zu sein. Wieso ist das eigentlich so? Sind die alle so desinteressiert? Ich glaube nicht. Vielleicht erreicht man sie nur nicht. In Fragen der Beteiligung wäre darüber nachzudenken: wie erreiche ich mehr Wähler oder Mitglieder einer Hochschule? Ich habe an der Stelle selbst keine Antworten, nur Fragen. 

Sie meinen, man müsste gewisse Hürden senken?

Die Barrieren sind zu hoch. Die Debatten sind oft nicht transparent. Die Sprache ist oft eine für Laien schwer verständliche Sprache. Das ist ja auch ein Problem, vor dem ich im Journalismus immer wieder stehen. Ich glaube, da fehlt es auch an Bewusstsein. 

Jede Hochschule bräuchte einen eigenen Blog wie Ihren?

Na, das weiß ich nicht. Aber ich glaube, es würde helfen, wenn man sich folgendes klar machen würde: Geschätzte 98% der Studierenden wissen nicht, was eine Professorenmehrheit ist. Die wissen aber vielleicht, dass sie sich nicht ausreichend berücksichtig fühlen. Aber der Begriff und das Problem sind ihnen nicht klar. Vielleicht kann man sie trotzdem erreichen, aber eben nicht mit diesen Begriffen. Diese Kluft zu überwinden ist die wahre Herausforderung für alle, die irgendwie Hochschulpolitik machen – egal ob sie Professoren sind oder Studierende. 

Als Letztes verraten Sie uns bitte, welche Zeitschriften oder Blogs Sie empfehlen können, um in der Hochschulpolitik auf dem Laufenden zu sein.

Wenn man sich für Wissenschaftspolitik interessiert, lohnt sich der Tagesspiegel, sowohl Print als auch online, weil da sehr viel Wissenschafts- und Hochschulpolitik stattfindet. Es lohnt sich das DSW Journal, das Journal des Deutschen Studentenwerks, weil dort auf anschauliche Weise Hochschulpolitik und die Akteure erklärt werden. International empfehle ich Times Higher Education, da gibt es viele spannende Geschichten, nicht nur aus Großbritannien, sondern weltweit.

Interview von Ulrich Mathias Gerr

weitere Artikel aus der kleinen Weltbühne