§219a StGB – Wie viel Information ist legal?

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Ein Interview mit Katrin Wagner vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung

§219a StGB verbietet Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Darunter fällt auch die bloße Angabe, dass eine Praxis diese anbietet. In einem Kompromisspapier einigten sich CDU, CSU und SPD darauf, dass Ärztinnen in Zukunft darüber informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Vielen geht dieser Kompromiss jedoch nicht weit genug. Wir haben mit Katrin Wagner vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung über die aktuelle Debatte gesprochen.

Laut §218 StGB sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig. Nach einer Pflichtberatung kann ein Abbruch jedoch bis zur 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. §219a StGB verbietet es bisher, Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitzustellen.

Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung ist ein Zusammenschluss von Beratungsstellen, feministischen und allgemeinpolitischen Gruppen, Verbänden, Gewerkschaften und Parteien, der sich für selbstbestimmte Sexualität und aufgeklärte Familienpolitik einsetzt. Dazu gehört, dass Frauen das Recht haben, selbst über ihren Körper zu bestimmen und sich im Fall einer Schwangerschaft auch für einen Abbruch entscheiden können. 

 Was hältst du von dem aktuellen Kompromiss?

Katrin: Für uns ist das kein Kompromiss. Die CDU, bzw. CSU, hat ihren Willen durchgesetzt. Wie die SPD denken kann, sie hat mit dieser Einigung einen Gewinn gemacht, ist mir ein Rätsel. Wir sind von der SPD, die als Partei öffentlich auch für eine Abschaffung des Paragraphen eintritt, extrem enttäuscht. Zusammengefasst bleibt alles beim Alten, nur dass ein paar scheinheilige Zusätze die Sache fast noch verschlimmern. Man will jetzt beispielsweise erheben, wie oft posttraumatische Störungen nach einem Schwangerschaftsabbruch auftreten. Studien belegen aber, dass dies statistisch gesehen nicht auf den Abbruch zurückgeführt werden kann.

Sind es die Abtreibungsgegner, die auch das Werbeverbot für Abtreibungen beibehalten möchten?

„Ich führe Schwangerschaftsabbrüche durch und brauche dafür Mutterpass und Blutgruppe“ – das ist keine Werbung. Trotzdem ist Dr. Hänel für diese Information nach §219a für schuldig befunden worden. Dass man nach Abschaffen des Paragraphen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche lesen könnte, kann niemand ernsthaft glauben. Eigentlich geht es den Gegnern darum, dass Frauen nicht frei über ihre Schwangerschaft entscheiden sollen. Es kommt häufig zu einer ethischen Diskussion darüber, wann ein Menschenleben anfängt. Das ist jedoch keine Debatte, die wir führen möchten.

Frau Dr. Händel wurde für die Informationen auf ihrer Website zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Lohnt es sich nach dem eindeutigen Urteil weiterzukämpfen?

Gerade das ist wichtig. Dr. Hänel kann bis zum europäischen Gerichtshof streiten. Wenn das passiert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie freigesprochen wird und das Gesetz für nicht konform mit europäischen Gleichstellungsgesetzen befunden wird, relativ hoch. Dann wäre auch eine Lösung gefunden. Der Paragraph müsste zumindest stark verändert werden.

Wäre es nicht vielleicht besser auf eine Entscheidung des europäischen Gerichtshofs zu warten?

Bis das passiert, können noch Jahre vergehen. Bis dahin werden noch viele Ärztinnen angeklagt. Eine politische Lösung wäre wesentlich besser, denn damit würde ein Zeichen gesetzt. Bei Regelungen durch den europäischen Gerichtshof gibt es häufig auch Widerstand in den Ländern. Das spielt den Europagegnern in die Hände, deren Einstellung oft mit Anti-Feminismus einhergeht. Wir rechnen es Dr. Hänel sehr hoch an, dass sie bereit ist, den rechtlichen Weg zu beschreiten, der viel Kraft und Geld kostet.

Was würde sich konkret verbessern, wenn man §219a abschaffen würde?

Zunächst einmal wäre die Unsicherheit genommen, die aktuell für Ärztinnen besteht. Sie könnten informieren, ohne gleich an den gesetzlichen Pranger gestellt zu werden. In ihrer Stellungnahme zum Kompromissvorschlag von CDU, CSU und SPD hat Dr. Hänel auch geschrieben, dass es bisher von politischer Seite nicht genug Unterstützung gibt.

Und was würde sich für betroffene Frauen ändern?

Es gäbe die Möglichkeit, im Internet zu erfahren, ob eine Ärztin Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Zudem könnten dort Informationen zu den angebotenen Methoden veröffentlicht werden, z.B. Medikamente, Absaugen oder Ausschabung. Eine Ausschabung sollte nur in äußersten Notfällen stattfinden. Diese Methode ist im Vergleich gefährlicher, wird aber in Deutschland immer noch recht häufig angewandt. Die Ausbildung in dem Bereich ist in Deutschland nämlich richtig mies und wir hoffen, dass sich das ändert, wenn §219a abgeschafft wird. Dann würden angehende Gynäkologinnen besser ausgebildet und es gäbe keine Stigmatisierung derer, die Abbrüche anbieten oder in Anspruch nehmen.

Wo gibt es aktuell Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen?

Es gibt bereits einige Städte, die das „Hamburger Modell“ eingeführt haben. Dies bedeutet, dass es auf den Websites der Stadtverwaltung Listen von Ärztinnen gibt, die Abbrüche durchführen. Eigentlich sollten diese in der Pflichtberatung ausgegeben werden, inklusive Namen und Telefonnummern. Diese Listen sind aber häufig nicht aktuell. Der Kompromissvorschlag sieht das Hamburger Modell für ganz Deutschland vor. Dort steht aber nicht, wie Listen aktualisiert werden sollen und welche Informationen sie umfassen werden, z.B. Methoden und Erfahrung der Ärztin. Ebenso gibt es keine Informationen dazu, ob Schwangerschaftsabbrüche auch für Frauen, die nicht bereits Patientinnen bei den Praxen sind, angeboten werden. Diese Listen beheben also nicht die aktuelle Unterversorgung.

Wie kann man sich für eine Abschaffung des Paragraphen einsetzen?

Im Moment gibt es in Deutschland relativ viele Pro-Choice Gruppen. Allein das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hat Lokalgruppen in Münster, Hamburg, Frankfurt usw. Es wäre wichtig, das Thema gegenüber politischen Vertretern anzusprechen. Es gibt immer noch Politiker, die nicht verstehen, dass man den Paragraphen nicht braucht. Wir müssen versuchen die Diskussion hochzuhalten, indem man sich in Gruppen einbringt und dort, wo es keine gibt, neue Lokalgruppen bildet. Diese können auf Ressourcen zurückgreifen, die wir über Jahre entwickelt haben.

Wie wird sich die Thematik weiterentwickeln?

Laut Zeitplan soll es im März eine Abstimmung über den Kompromiss geben. Fraglich ist, wie sich bis dahin die große Koalition entwickelt. In den Medien und im Bundestag wird es wahrscheinlich noch viele Diskussionen zu dem Thema geben. Parlamentarier von CDU und CSU werden sicherlich versuchen das Thema möglichst klein zu halten, während die anderen versuchen, es nicht klein werden zu lassen.

Und was würdest du dir für die Zukunft wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass Schwangerschaftsabbrüche generell straffrei werden. Ich kann damit leben, dass es bestimmte Regelungen dazu an anderer Stelle gibt, aber nicht im Strafgesetzbuch. Wichtig wäre auch, dass nicht der komplette §219 einfach gestrichen wird, da daran auch die Finanzierung von Beratungsangeboten gekoppelt ist. Hier muss man von einer Beratungspflicht zu einem Beratungsrecht wechseln. Man sollte zu einer Beratung gehen, um Informationen zu erhalten, und nicht um sich für eine Entscheidung zu rechtfertigen, die man eigentlich schon getroffen hat.

Warum engagierst du dich im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung?

Ein Grund ist sehr persönlicher Natur. Meine Eltern stehen leider auf der anderen Seite, das heißt ich kenne die Argumente der Gegner gut und ich halte sie für falsch und sehr gefährlich. Ich bin Feministin und ich lehne das Frauenbild der Gegner total ab. Frauen sollten sich selbstbewusst für oder gegen ein Kind entscheiden können. Wenn sie sich für ein Kind entscheiden, sollten sie die bestmögliche Unterstützung erfahren. Aber wenn sie sich dagegen entscheiden, sollten sie nicht stigmatisiert werden.

von Verena Balke 

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