Gegen jeden Antisemitismus
Antisemitismus ist eine Weltanschauung, die in Jüdinnen*Juden die Ursache aller Probleme sieht. Es existieren viele Formen von Antisemitismus. Darunter fallen beispielsweise der christliche, der völkische, der israelbezogene, der islamische oder der postkoloniale, die sich in ihren Inhalten über- schneiden können.
Auch wenn sich diese Formen in ihren jeweiligen Ausprägungen unterscheiden, ist dennoch eine Kontinuität der Feindschaft gegen Jüdinnen*Juden erkennbar. Ursachen, Ziele und Inhalte dieser verschiedenen Ausprägungen unterscheiden sich deshalb voneinander, weil Antisemitismus eine Reaktion auf spezifische gesellschaftliche Krisen darstellt. Antisemitismus ist also nicht von tat- sächlichem Verhalten von Jüdinnen*Juden abhängig.
In der modernen Idee der jüdischen Weltverschwörung beispielsweise erscheinen Jüdinnen*Juden als die Drahtziehenden hinter dem Unfrieden in der Welt. Sie sind gleichzeitig für Kapitalismus und Kommunismus verantwortlich, verkörpern Geld und Wucher, stehen einerseits für Modernität und Urbanität und andererseits für Gier, Rachsucht und (sexuelle) Dekadenz.
Antisemitismus ist nicht bloß eine Form der Diskriminierung. Antisemitismus und Rassismus haben durchaus Gemeinsamkeiten, beispielsweise wenn es um Mechanismen der Ausgrenzung in der sozi- alen Praxis geht. Jedoch geht es bei Antisemitismus um ein allumfassendes Weltbild, das durchaus in Zusammenhang mit anderen Diskriminierungsformen auftreten kann, sich jedoch maßgeblich in seiner Struktur von ihnen unterscheidet.
Im Rassismus werden Menschen anhand phänotypischer Erscheinungsformen Wesensmerkmale zu- geschrieben. Betroffenen wird meist eine konkrete Macht – oft eine sexuelle oder materielle – zuge- schrieben und sie werden mit Primitivität und Animalität assoziiert. Im Antisemitismus hingegen geht es um abstrakte Zuschreibungen, die nicht körpergebunden sein müssen. Auch die zugeschrie- bene Macht von Jüdinnen*Juden ist nicht konkret, sondern unspezifisch, wodurch sie häufig eher mit Übermacht als mit fehlender Intelligenz assoziiert werden.
Wer oder was als jüdisch definiert wird, ist folglich nicht eindeutig. Es geht weder um die äußere Erscheinung noch um tatsächliche Religions- oder Volkszugehörigkeit. Es können auch Menschen von Antisemitismus betroffen sein, die nicht jüdisch sind. Jüdinnen*Juden dienen bloß als Projektionsfläche für ein System von Ressentiments und Verschwörungsmythen. Sie bilden in der antisemitischen Vorstellung keine Rasse unter anderen, eher stellen sie eine Gefahr für die Rassenreinheit anderer dar. Die Eliminierung der Jüdinnen*Juden oder solchen Menschen, die als jüdisch assoziiert werden, garantiert in dieser Anschauung das Überleben einer Rasse, eines Volkes, einer Nation oder der gesamten Menschheit.
Der israelbezogene Antisemitismus projiziert antisemitische Ressentiments auf den Staat Israel. Für geopolitische Auseinandersetzungen wird alleine der jüdische Staat verantwortlich gemacht, auch hier existiert die Allmachtsfantasie. Diese Vorstellung von Allmacht wird als existenzbedrohend de- finiert und dazu genutzt, unmittelbare Gewalt gegen Jüdinnen*Juden und gegen Israel als Notwehr oder den Kampf gegen das Böse, das es zu vernichten gilt, zu legitimieren.
Israel stellt sozusagen die*den Jüdin*Juden unter den Ländern dar, Israelis gelten ideell nicht als le- gitime Staatsbürger*innen der Weltgemeinschaft. Diese Feindseligkeit wird auf in der Diaspora le- bende Israelis und Jüdinnen*Juden übertragen und auch solche Menschen, die sich bloß mit Israel solidarisieren, werden als Zionist*innen beschimpft. Betroffene werden im modernen sowie israel- bezogenen Antisemitismus häufig nicht als Jüdinnen*Juden angegriffen, sondern über ebendiese Umwegkommunikation.
Klassischerweise wird der jüdische Staat beispielsweise durch die Gleichsetzung von israelischer Politik mit der des nationalsozialistischen Regimes dämonisiert. Die Legitimität und das Selbstbe- stimmungsrecht des Staates werden abgelehnt und als rassistisches und gewaltsames Unterfangen definiert. Es werden zudem Doppelstandards angelegt, wenn Israel mit anderen demokratischen Staaten verglichen wird.
Es kann zwischen israelbezogenem Antisemitismus und legitimer Kritik an der Politik Israels unter- schieden werden. Sachliche Kritik ist faktenbasiert und offen für Einwände oder Gegenargumente. Jedoch kann sogenannte Israelkritik antisemitisch sein, wenn Antisemitismus zur Kritik umdefiniert wird. Häufig wird in diesem Kontext dafür argumentiert, dass es israelbezogenen Antisemitismus gar nicht gäbe und solch vermeintlich überzogenen Vorwürfe genutzt werden, um Kritiker*innen Is- raels zum Schweigen zu bringen. Die sozialwissenschaftliche Antisemitismusforschung ist sich je- doch einig darüber, dass israelbezogener Antisemitismus unbestreitbar existiert und keine Grauzone darstellt.
- Überblick: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/37945/was-heisst-antisemitismus/
- moderner Antisemitismus: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/307644/was-ist-moderner-antisemitismus/
- sekundärer Antisemitismus: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/321575/sekundaerer-antisemitismus/
- israelbezogener Antisemitismus: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/326790/israelbezogener-antisemitismus/
- Antisemitismus der BDS-Kampagne: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/328693/antisemitismus-in-der-bds-kampagne/
- linker Antisemitismus: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/307887/antisemitismus-im-linken-spektrum/
- islamischer Antisemitismus: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/307771/islamischer-antisemitismus/
- rechter Antisemitismus: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/550348/antisemitismus-in-der-extremen-und-populistischen-rechten/
- Antisemitische Codes und Metaphern: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2021/11/210922_aas_broschuere-da-105x148_web_doppelseiten.pdf
- Antisemitismus in den sozialen Medien: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/549283/antisemitismus-und-verschwoerungserzaehlungen-in-den-sozialen-medien-praevention-und-intervention/
- Intersektionalität und Antisemitismus: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/516233/intersektionalitaet-und-antisemitismus/
- Holocaust, Kolonialismus und NS-Imperialismus: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/507390/holocaust-kolonialismus-und-ns-imperialismus/
- Informationen über antisemitische Vorfälle in Oldenburg: https://bgaoldenburg.wordpress.com