In den vergangenen Jahren hat sich unter Lehrer_innen, Refrendar_innen und Lehramtsstudierenden der Hashtag #twitterlehrerzimmer etabliert. Unter diesem Hashtag werden tagtäglich Lehrmaterialien verbreitet, Unterrichtsideen zur Diskussion gestellt und mit den Erfahrungen mit digitalen Tools für den zukünftigen Lehramtsberuf an einer Schule experimentiert. In manchen Studienseminaren soll es auf die Frage danach, was die beste Fortbildung sei, schon heißen: ein regemäßiger Besuch im #twitterlehrerzimmer Für eine Weile erschien dieses in der Tat wie das Idealbild einer kooperativen, nicht-kommerziellen, nicht-instrumentellen Community, die sich mit unter Creative Commons stehenden Ideen und Konzepten unterstützte.
Seit kurzer Zeit wird diese, unter dem Banner des Hashtags vereinte Gruppe, von einem Trollansturm sondersgleichen überrannt. Die Trolls greifen in ihren hunderten Beiträgen unter dem so usurpierten Hashtag den Stil auf, in der oft die üblichen, teilweise sicher auch naiven gestellten Fragen der angehenden Lehrer_innen ,formuliert sind, ziehen sie damit ins Lächerliche und häufig auch ins Perverse. Die Tatsache, dass dies relativ zeitgleich passiert ist und der schiere Umfang der Beiträge deutet stark darauf hin, dass die Aktion abgesprochen sein muss. Die besonders bekannten Twitterer unter diesem Hashtag wie der selbsterklärte „Netzlehrer“ Bob Blume sind besonders aggressiven Angriffen ausgesetzt.
Ton und Aussage der Beiträge sprechen dabei die Sprache der Alt-Right oder der IB. Indem die Trolle als Fake-Profile von Lehrern in die Runde Fragen stellen lassen, die diese als Pädophile erklären, und indem dieses stets mit ihrer grünen oder linken Einstellung verbunden wird, skizzieren sie das Bild eines Bildungssystems, dass von grünen und linken Lehrerinnen ohne Sachverstand durchdrungen ist, die die Schule für das Ausleben ihre pädophilen Neigungen nützten. Dies verbindet sich natürlich wunderbar mit der Tatsache, dass man unter diesem Hashtag nicht irgendeine Gruppe, sondern gerade Lehrer verachten kann. Die Trolle agieren aus, was sie schon zu ihrer eigenen Schulzeit, die sie nur mit einer Halbbildung beenden konnten, immer wollten, nämlich völlig ungehemmt und im Kollektiv der ewigen Lümmel den auf Lehrkräfte projizierten Hass ausleben.
Für diese Art Trolldynamik oder Trollnetzwerke gibt es seit einiger Zeit auch einen eigenen Begriff: Sifftwitter. Der Schweizer Medienpädagoge Philip Wampfler hat in einem Blogpost – https://schulesocialmedia.com/2016/09/02/das-phaenomen-sifftwitter-verstehen/ – eine Reihe von Erklärungen dieses Phänomen zusammen getragen, die wir im Folgenden als Auszug wiedergeben:
Dies in einen Kasten:
„Es geht um Moral.
»Anständige Bürger zu erschrecken ist schwer geworden. Anständige Bürger findet man überall da, wo sich ein Bürgerstolz von seiner Moral selbst beeindruckt zeigt und darum sehr leicht beleidigungsfähig ist«, schreibt Kusanowsky. »Sifftwitter« weise auf »die verschwundenen Selbstverständlichkeiten« der anständigen Bürger hin, die zwar davon ausgingen, ihre moralische Überlegenheit sei erwiesen, sie aber angesichts der Trollaktivitäten infrage gestellt sehen.“
„Es geht um Kunstfiguren.
»Sifftwitter« erschafft die Figuren selbst, die es demontiert. Es gibt die Menschen, die verspottet oder gehasst werden, so nicht. Der Besuch beim Haus vom »Drachenlord« ist letztlich der Versuch, eine Person real zu machen, die nicht real ist, zu bestätigen, dass die eigenen Gefühle dieser Person gegenüber eine Basis haben, eine Legitimation.“
„Es geht um Lulz.
Lulz ist eine aggressive Schadenfreude, die durch das Leiden und die Empörung anderer entsteht. Die Lulz sind eines der Ziele und die Motivation, sie befeuern die Bewegung.“
„Die Kraft der Gruppe.
Können einzelne Trolle Feedback nur von den Reaktionen Betroffener erhalten, generieren Trollgruppen es durch Favs und eigene Reaktionen selbst.“
„Abstiegsängste.
In den Kommentaren schreibt Mela: »D.h. das sind selbst Leute, die massiv Abstiegs- oder Versagensängste haben und deswegen schlagen die auch vor allem gegen Menschen aus, die sich der Leistungsgesellschaft absichtlich oder notgedrungen entziehen, wie Menschen mit Behinderungen, Genderqueere, Alleinerziehende, Arbeitslose. Und es würde auch erklären, warum sie sich vor allem auf jede Form der Solidarität stürzen. Die kommen genau aus der Kultur, die u.a. von 4Chan/Krautchan etc. ausging.«“
von Ulrich Mathias Gerr