Eine Psychoanalyse beginnen

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Ein Erfahrungsbericht über den langen Weg vom Leidensdruck zur Therapie.

Sogar innerhalb eines Umfeldes, in dem ein grundlegendes Gespür für psychische Leiden gegeben ist, bleibt der Beginn einer Psychoanalyse ein Ringen mit sich und den Umständen. Viele im Umfeld können eine Therapie machen oder schon abgeschlossen haben, man kann einsehen, wie hilfreich und erkenntnisreich eine Therapie sein kann und es vermutlich fast jedem sogar selbst empfehlen. Selbst eine Therapie, gerade eine Psychoanalyse, anzufangen, fiel bei mir trotzdem schwer.
Mein erster direkter Kontakt mit Therapien war das Resultat einer akuten Krise, die so gut wie alle meine alltäglichen Funktionen extremer Einschränkung unterworfen hat – das Scheitern an einer Hausarbeit, meinen eigenen Ansprüchen daran, was ich heute anfange als die Kirsche auf der Sahnehaube eines ganzen Komplexes von grundlegenderen Problemen und leichter zu verdrängendem Leidensdruck zu verstehen, brachte mich zur psychischen Beratungsstelle meiner damaligen Universität. Aber erst nachdem das Schlimmste vorbei war, vorher war nicht einmal daran zu denken, einen Termin abzumachen. Dort hieß es: Fragebogen ausfüllen und mit einer angehenden Therapeutin durchgehen, die Empfehlung für eine Gruppe zu Schreibproblemen bekommen, Flyer einpacken, Diagnose bekommen und einen nächsten Termin einen Monat später ausmachen. Bei diesem war die Therapeutin krank, das war das Ende meiner Besuche bei der psychischen Beratungsstelle der Universität. Ich habe ohnehin wieder funktioniert, die Hausarbeit geschrieben und abgegeben, meinen Bachelor gemacht.
Seitdem sind Jahre ins Land gegangen. Heute mache ich eine Psychoanalyse.

Neben der Verdrängung von Leidensdruck und den notwendig zu nehmenden Hürden, ist das Funktionieren im Alltag ein großer Grund für die lange Zeit, die zwischen meiner ersten Erkenntnis eines Problems und dem Beginn der Psychoanalyse liegt. Die große Frustration, an die Grenzen dessen zu gelangen, was man alleine an sich selbst sehen, verstehen und verändern oder akzeptieren kann, der Motor, wegen dem es letztendlich dennoch passiert ist. Abstrakt habe ich über diese Jahre immer wieder mit dem Gedanken gespielt, eine Therapie anzufangen. Ich habe mich für meine Bachelorarbeit theoretisch mit Psychoanalyse befasst und verstanden, dass eins der Probleme meines ersten Versuches die Oberflächlichkeit war, auf der Abfragen, Diagnosen wie Hilfestellungen stattgefunden haben. Symptombehandlung mag in akuten Krisenfällen sehr wichtig und notwendig sein – so hat auch Verhaltenstherapie ihren Grund –, aber die Empfehlung, zu einer Gruppe zu Schreibproblemen zu gehen, trifft selbst den Grund für die Schreibprobleme und vor allem für den Totalausfall beim Scheitern nicht. Mit ihr kann ich lediglich besser funktionieren und meine Aufgaben bewältigen. Eine Psychoanalyse – so war es meine Einschätzung nach der theoretischen Beschäftigung mit ihr – könnte tiefer gehen und tatsächlich zu dem Grund der Probleme vordringen, die ich langsam zu erahnen begann.

In den ersten Master-Semestern machte sich die Dringlichkeit wieder unüberschreibar bemerkbar: Druck, die erste Hausarbeit, unerfüllbare Selbst-Anforderungen, Unsicherheiten und Angst – ich bekam Panik, wenn ich mich in einem Seminar zu Wort meldete, machte es trotzdem, bekam es in den Griff. Ich entschied nach Gesprächen mit Freunden, deren Erfahrungen mit Analysen und tiefenpsychologischen Gesprächstherapien, es mit einer Analyse zu versuchen. Ich wusste, dass viele sich direkt bei Therapeuten und Therapeutinnen meldeten. Einige schrieben ganze Excel-Tabellen mit den angebotenen Therapieformen, Telefonnummern und Sprechzeiten, wen sie bereits angefragt hatten, wann man sich dort wieder melden konnte, wessen Warteliste noch Platz hatte. Die Vorstellung auf diese Weise nach freien Plätzen zu suchen lähmte den Impuls jedoch bereits im Aufkommen. Das und die Angst davor, was der Beginn im Endeffekt bedeuten würde – was ich an mir verlieren könnte, was ich an mir vielleicht einsehen müsste, was an Unschönem alles geborgen werden könnte und was ich an meinem Alltag alles verändern müsste. Zudem hörte man im Zuge der Pandemie immer wieder von überfüllten Wartelisten. Es ist eines, so meine Erkenntnis, einzusehen, dass man eine Analyse braucht und etwas anderes, sie tatsächlich zu beginnen. Also versuchte ich es mir einem Trick: Ich erzählte einigen Personen davon, dass ich eine Analyse anfangen wolle. So wurde es automatisch schwerer, es vollständig zu verdrängen und zu vergessen, mich darum zu kümmern. Ich verlegte meine innere Kontrolle nach außen – meine Schwester fragte mich zum Beispiel immer wieder, ob ich mich schon darum gekümmert habe. Es ist ein großer Vorteil, wenn Freunde in derselben Stadt bereits eine Analyse machen, so erfuhr ich von dem Konzept psychoanalytischer Vereine und Institute, von denen es in Bremen mehrere gibt, Zusammenschlüssen mehrerer Analytiker und Analytikerinnen nach bestimmten Grundsätzen. Dort kann man sich in einem gemeinsam betriebenen Sekretariat melden und wird dann an freiwerdende Therapeuten weitergeleitet, falls es möglich ist – ohne, dass man jeden einzelnen selbst anrufen und nachfragen muss. (Hätte ich das tun müssen, vielleicht würde ich heute noch keine Analyse machen). Selbst dieser eine Anruf war sehr schwer gegen die eigenen Widerstände durchzuführen, aber es gelang schließlich. Die Antwort: Die Warteliste ist derzeit voll, melden Sie sich in einem Vierteljahr wieder. Entschuldigen Sie.

Ich schrieb mir extra, um gegen die Verdrängung zu arbeiten, einen Eintrag in meinem Kalender exakt ein Vierteljahr später – es gingen dann doch circa sechs Monate ins Land, bevor ich mich wieder überwinden konnte. Zwischenzeitlich wurde es nochmal klarer, wie nötig es tatsächlich war, ich schaffte es trotzdem erst nach mehrmaliger Erinnerung durch meine Schwester und Freunde. Diesmal wurde ich auf die Warteliste gesetzt und es war klar, dass das Sekretariat nun mich anrufen würde, wenn es einen freien Platz gäbe. Pure Erleichterung – damit war tatsächlich die schwerste Hürde genommen. Einen Monat später bekam ich den Anruf und verschiedene mögliche Termine, um mit meinem zukünftigen Therapeuten die Erstgespräche zu beginnen.

Die Absurdität der Erstgespräche ist, dass man das Gefühl hat, beweisen zu müssen, dass man beschädigt genug ist, dass die Krankenkasse die Therapie für einen bezahlt und zugleich den Therapeuten nicht kennt. Ich selbst empfehle, diese Spannung anzusprechen und sie so zu einem eigenen Thema des Gesprächs zu machen. Das hat mir sehr geholfen, damit umzugehen. Die Erstgespräche sind der Ort, an dem man die Möglichkeit hat zu klären, was einem wichtig ist: Was wird der Turnus der Therapie sein? Da gibt es eine Empfehlung des Therapeuten, über die man gemeinsam sprechen kann. Passt der Therapeut überhaupt zu mir? Habe ich das Gefühl, mit ihm oder ihr gut arbeiten zu können? Darf ich Stunden auch mal absagen, nicht nur wenn ich krank bin, sondern auch wenn ich in ein Konzert gehen möchte? Und so weiter. Es gibt auch eine Empfehlung, welche Form der Therapie sich anbietet – tiefenpsychologisch oder analytisch zum Beispiel. Bietet der Therapeut einem eine Therapie an, dann muss vom Hausarzt ein Bericht angefordert werden. Das bedeutet man muss mit dem Hausarzt über die Symptome sprechen, die man hat, was ausschließen soll, dass es klassische medizinische Ursachen für die Symptome gibt – das kann unter Umständen auch unangenehm sein. Dann schreibt der Therapeut ein Gutachten für die Krankenkasse und man muss darauf warten, ob die Krankenkasse die Behandlung übernimmt, oder nicht. Erst wenn diese Bestätigung vorliegt, kann man den ersten Termin ausmachen. Bei mir war das nochmals sechs Monate später.
Der Start einer Therapie war für mich also alles andere als einfach, hat einen Anlauf von mehreren Jahren gedauert und Hilfe aus von meinem Umfeld gebraucht. Das ist mit Sicherheit nicht zwingend so, einige erschwerenden Umstände wie die Knappheit von Therapeuten und Therapeutinnen und gerade in Städten ohne Zusammenschlüsse von Therapeuten (wie Oldenburg) der große Aufwand und die vielen Abweisungen, können aber jeden leicht demotivieren – erst recht in einer akuten Krise. Ich würde auch lügen, wenn ich behaupten würde, dass es danach einfach würde. Eine Therapie ist harte Arbeit. Aber hat man wie ich das Gefühl, mit sich festzustecken und nicht alleine weiter zu kommen, ist es zugleich auch eine immense Erleichterung mit dieser Arbeit beginnen zu können und nicht mehr mit ihr alleine zu sein.
Von
Elfriede Renée Bernhard

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