Gegen den Strom 

Wir riefen unsere Fragen nie in die Welt und trotzdem bekamen wir Antworten. Antworten, mit denen Stromsparen Gerechtigkeit hervorbringt . Wir sollten den Laptop ausmachen wenn wir ihn nicht mehr benötigten, schallte es uns entgegen. Wir sollten den Kühlschrank schließen, wenn wir nichts mehr aus diesem bräuchten, tönte es in einem herrlich erzieherischen Timbre. Wie wenig wir gewusst hatten! Wie oft wir, statt die Heizung herunter zu drehen, wenn wir unsere miefigen Kleinstwohnungen verließen, mit dem offen stehenden Kühlschrank gegen die tropische Hitze in unseren großzügig als Altbaulofts vermieteten Räumen gegengesteuert hatten. Wie wir das flackernde Licht des Computermonitors genutzt hatten, um in unseren nicht kompostierbaren Influencerschundheften zu lesen. Wie wir genussvoll unsere Flugtickets Bremen-Hannover in einen Wegwerfbecher Avocadoerdgas getunkt hatten, lauthals saures CO2 ausatmend und radioaktiv seufzend: wie schön ist unser sorgenfreies Leben im Wachstum! Wie herrlich es ist, den Kühlschrank als Klimaanlage zu nutzen und die kalte Luft auf dem Balkon mit dem Heizkörper daneben zu erwärmen – weil – wir – es – können! Die nützlichen Hinweise, wie der, dass man doch Mehrfachstecksdosen mit Kippschaltern nutzen sollten, hatten uns nun endlich von all unseren Irrtümern befreit und wir waren dankbar. Dankbar und Buddahruhig. Für eine Weile. 

Doch die Stimmen, die uns Hinweise gaben, sie wurden leise. Wir verlangten nach mehr. Viel zu wenige Anweisungen wurden uns geliefert in unsere Vielfraßlofts am Fuß des Berges Haarentor, in dem wir unser Leben in spätrömischer Heizdekadenz fristeten. 

Die Stimme war leise, aber wir wussten, das hieße nicht, dass unser Ziel schon erreicht war. Weiter sparen, immer weiter. Die Grenze nur der Regenbogen über den Klimacamps. Absolut Null. 

Selbst mussten wir nun beraten. Und wir berieten. Selbst mussten wir anweisen. Und wir wiesen an. Mit einem kecken Plan und einem kaum zu erkennenden Grinsen in unseren entschleunigten Mundwinkeln verließen wir die Sitzungen unserer nun vom Kerzenlicht statt der Kühlschrankleuchte erhellten Spargremien. Höret nun, was wir betagten, höret wie wir da weiter sparen können!

Statt warmes Essen werden wir nur noch Kaltes essen! Wie viel Joule bis das Wasser im Kochtopf anfängt zu blubbern? ‘Kalt statt warm’, fordert der Staat in uns den Staat in euch heraus. Bei einem sind wir uns wohl schon alle einig: Das Ziel unserer Anstrengung, ja unserer Leben, ist ab jetzt, keine unnötige Energie zu verschwenden. Doch wo verbrennen wir Energie? Wo frage ich euch, wird Abends für Abends unschuldiges Joule und Kilojoule auf den Scheiterhaufen der Bodystahlindustrie und der Sexinessselbstoptimierung geworfen? Die Antwort wird nicht etwa verborgen, nein sie wird anders gar beworben, “hier am schnellsten Kilojoule verbrennen” schreien sie mit zynischem Zahnweiß in die Werbejingles unserer kostenlosen Energiespar-Apps. Auf also zu den Frevlerhallen – den Hallen des Individualsports. Fitnesstempel Sünder, erkennt eure Untat! Hört auf, unnötige Energie zu verbrennen. Kein Sport mehr, nirgends! Und wenn ihr nun aber nicht davon lassen könnt, denn wir wissen wie schwach die Energiemörder in uns sind, wir wissen es wohl, wer nicht anders kann, der stelle ein Lastenrad in sein quadratisches Zimmer und fahre auf der Stelle, angeschlossen an den Trafo der Stromliebe. Der Liebe zur Wärme und zur Energie Ausdruck geben, das können wir gutheißen. 

Doch erheben wir den Zeigefinger nicht zu selbstgerecht nur gegen die offenkundige Sünde des Sportes. Es beginnt im Kleinen, ja gerade im Kleinen! Viel zu oft etwa ist in Hörsälen und Seminarräumen noch lautes Lachen zu vernehmen. Wer lacht – vergeudet nicht auch dieser Energie? Und sowieso: es gibt nichts zu lachen. Wer nicht lacht, lacht am Besten. 
Aber es gibt noch so viel mehr. Wenn ihr euch gegen unseren Beschluss doch einmal essen warm macht, ihr Stromhäretiker, legt weitere Gegenstände mit in den Backofen, die später die Heizung ersetzen können: Backsteine, Bettwäsche, mobile Zahnspangen. Statt alleine zu Hause zu sitzen, geht in fremde, wohlgewärmte Büros und setzt euch mir nichts dir nichts mit an die eh viel zu großen Schreibtische. Und lasst euch eure Haare wachsen, denn wie viel Wärme verlieren wir doch über unsere Kopfhaut. Wartet ihr in der Kälte, zum Beispiel an einer Bushaltestelle, stellt euch sehr eng an Andere, ja mitten in den sichtbaren Atem eurer Mitwartenden. Knoblauch ist Deodorant der Natur. Besorgt euch beim nächsten Kleiderkreisel Kindercappies mit kleinem Windrad oben an, aber biegt das Rad vor euren Mund und schließt dann den Trafo der Energieliebe an, um die ausgeatmete Watt zu nutzen. Kleine Kraftwerke, das sind wir Menschen. Zapfen wir uns an! Speisen wir uns ein! 

Kaum erwähnen mehr müssen wir wohl dicke Kleidung, aber ist sie schon dick genug? Und können wir die Zeiträume reduzieren, in denen wir ohne Kleidung sind und erst wieder aufgewärmt werden müssen? Jede Nacktheit kostet Joule. Duschen sind Tabu.. Das Private ist nicht mehr länger nur politisch, es ist auch energieverschwendend. 
Kehret wohl bedecket in die Gemeinschaft der Sparenden ein. Nicht zu vergessen: Verteilt wahllos Ohrfeigen. Solche Schellen erzeugen Reibung, Reibung ist Energie. Steckt euch die warmen Flauschekörper kleiner lebendiger Haus- und Nagetiere als Wärmflaschenersatz in eure Kleidung.Spült in Wohngemeinschaften nur noch einmal am Tag gemeinsam herunter – Wasser ist Energie, Energie ist Leben. Die Wärme der Fäkalien sei euer Genuß. Und steckt euch oft mit Viren an, Fieber erhitzt euch kostenlos. 

Wenn ihr dann nachts alleine in der Kälte zittert, wisset, ihr spart Wärme. Und darin sind wir alle verbunden. Da wird einem doch ganz warm ums Herz!

von Bela Goff 

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