Psychoanalyse saß seit ihren Anfängen zwischen den Stühlen. Sie hat eine therapeutische Anwendung,aber sie zielt auch auf die theoretische Erklärung psychologischer Dynamik. Sie analysiert die individuelle Psyche, aber auch die Wechselwirkung von dieser und kultureller und gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie hat den Anspruch, den eine jede Wissenschaft hat – es soll also allgemein und objektiv gelten – aber die Begriffe, mit denen sie operiert, lassen sich nicht streng empirisch nachweisen. Gerade ihr umfassender Beitrag zum Verständnis von Individuum und Gesellschaft könnte ein Vorteil der Psychoanalyse sein, er gereicht ihr jedoch in der strikt nach Fächern gegliederten Universität zum Nachteil.
Die Debatte zum Status der Psychoanalyse zog sich, seit ihrem Aufkommen Ende des Neunzehnten Jahrhunderts, durch die Jahrzehnte – und ist bis heute relevant. In den letzten Jahren wurde sie vor allem deswegen kontrovers diskutiert, weil das Fach immer weiter aus den Unis gedrängt wurde. Zuletzt war das in Frankfurt der Fall, wo die bis dato bestehende Professur für Psychoanalyse seit diesem Semester nicht mehr fortgeführt wird. Gegen die Herausdrängung, die sich schon länger abzeichnete, gab es zahlreiche Initiativen, die sich für den Erhalt der Psychoanalyse einsetzten.
Anlass genug, der Frage nachzugehen, wie es sich nun mit der Psychoanalyse und der Uni verhält. Der folgende Artikel stellt die aktuelle Kontroverse dar. Er beleuchtet auch die Situation der Psychoanalyse an der Uni Oldenburg. Es geht dabei nicht zuletzt darum, die Relevanz der Psychoanalyse zu klären. Zu Wort kommen Psychologen, Philosophen und Studierende, die verstehen helfen, worum es in der Kontroverse geht und auch, wieso Psychoanalyse an der Uni stattfinden sollte.
Die Frage, wie sich die Psychoanalyse zur Universität verhält, drängte sich seit ihrem Bestehen auf. Freud selbst versuchte mehrfach, diese Frage zu besprechen, ohne jedoch zu einer eindeutigen Antwort zu kommen. In Briefen und Aufsätzen stellte er in Frage, ob man an den Universitäten überhaupt gewillt sein würde, sie anzuerkennen und sie in die Curricula zu integrieren. Dabei ging es ihm zum einen um die Position der Psychoanalyse für die Ausbildung von Medizinern, die auch therapeutisch in Form und Methode der Psychoanalyse arbeiten sollten. Aber dieser Aspekt war von Anfang an nur ein Teil des Anspruchs. Auch “andere WIssenschaften“, so drückte Freud es selbst aus, hatte er im Blick – wir werden darauf zurückkommen, was man sich darunter vorstellen kann.
Ein für die Debatte um Psychoanalyse an der Uni entscheidendes Ereignis fand derweil nicht im Wien Freuds statt, sondern im benachbarten Ungarn, genauer gesagt in Budapest. Dort demonstrierten Anfang der 1920er Jahre zahlreiche Medizinstudenten und forderten vehement eine psychoanalytische Professur ein. Sie waren erfolgreich und der Freud-Schüler Sándor Ferenczi erhielt die weltweit erste Professur für Psychoanalyse – was für die zukünftige Debatte keine unwichtige Rolle spielte. Mit Budapest hatte man jetzt einen Präzedenzfall, auf den sich andere bei der Forderung beziehen konnten und für viele Studierende insbesondere der Nachkriegszeit wurde es fast selbstverständlich, zusammen mit anderen Forderungen auch die Berücksichtigung der Psychoanalyse in den Unis einzutreten. Diese Forderung traf aber auch auf eine Unterstützung, wie der Psychologe Sebastian Spanknebel ergänzt:.
„Es ist so, dass die Psychoanalyse jüdisch konnotiert war und dadurch auch in den dreißiger Jahren sehr marginalisiert wurde. Sie wurde später von den Alliierten als so eine Art kritische Gegenrichtung gegenüber der Psychiatrie, die ja sehr stark mit der NS-Zeit verbunden war, gefördert.”
Erfolgreich war die Mischung aus Förderung und Initiative nicht zuletzt in Frankfurt am Main. Dort ist die Psychoanalyse eng mit der Studentenbewegung der 1960er Jahre verbunden. Seit 1966, kurz vor dem symbolträchtigen Jahr 68, hatte es dort eine Professur für Psychoanalyse gegeben, die anfänglich mit Alexander Mitscherlich besetzt wurde. Mitscherlich war bekannt für eine Forschung, die auch soziologische Fragestellungen mit psychoanalytischer Hilfe versuchte zu beantworten. Zusammen mit seiner Frau Margarete veröffentlichte er 1967 die einflussreiche Studie “Die Unfähigkeit zu trauern” und leistete damit einen Beitrag zum Verständnis der Subjektivität der Nachkriegsgeneration.
Genau um diese Professur, die einst mit Mitscherlich begann, entbrannte in den letzten Jahren ein Streit. Seit 2002 wurde diese Professur von dem Psychoanalytiker Tilmann Habermas besetzt, dieser ist nun zum Wintersemester 2022 / 2023 emeritiert. Spätestens bei der Neuausschreibung seiner Professur wurde klar, dass diese in Zukunft gar nicht mehr als eine für Psychoanalyse ausgelegt sein würde. Das war das Initial für Streit und Proteste: eine Initiative wurde gegründet, eine viel geteilte Kampagne zum Erhalt der einst erkämpften Professur ins Leben gerufen. Studierende, Lehrende und auch viele Unterstützer_innen aus der Zivilgesellschaft versuchten, die Umwidmung noch zu verhindern – ohne Erfolg.
Der Psychologe und Pädagoge Tom Uhlig, der einst selbst am betreffenden Institut studiert hat und den Fall unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung verfolgte, betont jedoch, dass der Streit eigentlich schon wesentlich älter ist als die Ausschreibung der Professur.
„Es ist ein Machtkampf, der stattgefunden hat, der auch schon vor meiner Zeit als Studierender stattgefunden hatte und der dort bereits entschieden wurde – zu Ungunsten der Psychoanalyse. Worum die Studierenden zuletzt gekämpft haben, das waren Residuen. Man hat gewartet, bis die Professur ausläuft. Das Ressentiment gegen die Psychoanalyse als veraltete Wissenschaft, der ein Nimbus von Unseriösität anheftet, das war bereits permanent präsent.”
So breit die Unterstützung für die Kampagne, so unterschiedlich war die Motivation zum Erhalt der Psychoanalyse. Diese Diversität hat eine Menge zu tun mit der erwähnten Interdisziplinarität der Psychoanalyse als Wissenschaft.
“Dass das Interesse über die Hochschule hinausgeht, hängt damit zusammen, dass die Psychoanalyse zwar aus den Hochschulen verschwunden, gleichzeitig aber so unglaublich populär ist. Jede Netflix-Serie arbeitet mit psychoanalytischen Kategorien. Jeder weiß, dass es ein Unbewusstes gibt; dass es in der frühen Kindheit Dinge gibt, die uns prägen und dass das etwas mit den Eltern zu tun hat; dass man Dinge tut, die man eigentlich gar nicht machen möchte; dass sich Beziehungsmuster wiederholen; dass es etwas kathartisches hat, diese Begriffe zur Sprache zu bringen. Das sind psychoanalytische Einsichten, die ins Allgemeinwissen übergangen sind – umso skurriler, weil es an den Hochschulen nicht mehr gelehrt wird.”
Diese weite Verbreitung der Psychoanalyse erzeugt eine Art des Interesses an Psychologie, die im Studium, in dem viele diesem Interesse vertieft nachgehen wollen, gar nicht gelehrt wird. Das ist auch der Eindruck von Sebastian Spanknebel, der in Oldenburg an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie die Lehre koordiniert und auch selbst als Psychoanalytiker klinisch tätig ist. „Die Psychologiestudenten sind am Beginn ihres Studiums immer sehr irritiert, dass die Psychoanalyse in ihrem Studium kaum eine Rolle spielt.”
Die enttäuschte Erwartungshaltung der Studierenden ist aber nicht das zentrale Problem im universitären Umgang mit der Psychoanalyse.
„ Problematisch finde ich,”, so Spanknebel weiter, “dass die Nicht-berücksichtigung zumeist nicht einmal begründet wird. Wenn man die Psychoanalyse als problematisch empfindet und gegen ihren Präsenz im Studium argumentieren will, müsste man sich mit ihr eingehender beschäftigen. An den meisten Unis findet die Ablehnung aber durch Nichtbeachtung statt.. Das ist in Anbetracht der Tradition und der intellektuellen Leistungen der Psychoanalyse natürlich hanebüchen. Wenn man sagen würde, dass Autoren wie Alexander Mitscherlich, Viktor von Weizsäcker oder Erich Fromm in die gleiche Schublade gehören wie Astrologen oder Homöopathen , wäre dies lächerlich. Sicherlich man kann an der psychoanalytischen Theorietradition einiges, mitunter auch zu Recht kritisieren; einige schwachen Autoren rechtfertigen jedoch nicht die Vernachlässigung eines ganzen Diskurses.”
In ähnlicher Weise erinnert sich die Oldenburger Masterstudentin Katrin Henkelmann an ihr Psychologiestudium in Trier.
„Es hat fast keine Beschäftigung mit den Inhalten der Psychoanalyse stattgefunden. Wenn, dann wurde sie sogar eher zur Belustigung herangezogen, um zu zeigen, wie unwissenschaftlich das aus heutiger Sicht – das heißt aus der Sicht einer positivistischen Wissenschaft – doch alles war.
Die weitgehende Abschaffung psychoanalytischer Professuren führt darüber hinaus zu einer paradoxen Situation, weil die Professuren abgeschafft werden, es aber weiterhin eine der gängigen, von den Krankenkassen akzeptierten Therapieformen darstellt. Spanknebel illustriert die Situation: „Das war in Deutschland immer etwas seltsam. Es wurde etwas praktiziert, was an Unis aber nicht gelehrt wurde. Das wäre so als würde man in der Medizin sagen: “HNO finden wir blöd, wir unterrichten das nicht.” Die Leute müssen dann sehen, wie sie sich das beibringen können. Oder man sagt sogar, dass HNO nicht so richtig wissenschaftlich ist. Das ist paradox. Man praktiziert es, aber lehrt es nicht. Das wird sich durch die Neuerung jetzt etwas ändern – aber vermutlich primär über Lehraufträge.”
Die “Neuerung”, damit ist gemeint, dass in Zukunft alle akzeptierten Therapieformen auch im Studium gelehrt werden müssen. Ohne Professuren ist die Psychoanalyse aber weiterhin ohne institutionelle Anbindung, die Lehre und Forschung also in einem prekären Zustand. Auch in Oldenburg ist das nicht anders, hier wurde 2010 sogar der ganze Fachbereich der Psychologie ersetzt durch kognitive Neurowissenschaften. Sebastian Spanknebel schätzt die Situation in Oldenburg ein.
“In Situation in Oldenburg ist so, dass wir schon gar keine klinische Psychologie mehr vorweisen . Das klassische Psychologiestudium ist hier vor Jahren abgeschafft und später als eine Art Neurowissenschaften reaktiviert worden, aber ohne klinischen Fokus.. Es hat jedoch in den letzten Jahren eine Veränderung dadurch gegeben, dass man in Oldenburg den Medizinstudiengang gegründet und damit eine Professur für Psychiatrie und Psychotherapie geschaffen hat, sodass die Psychotherapie wieder professoral vertreten ist . Trotzdem hat die Psychoanalyse in Oldenburg eine relativ schwache Stellung und ist in der Lehre nur randständig vertreten . Eine Ausnahme besteht mit dem Ausbildungsinstitut am C3L im postgraduellen Bereich. Dort werden Psychologen und Pädagogen u.a. zu tiefenpsychologischen Psychotherapeuten ausgebildet; dies bedeutet, dass die Psychoanalyse zumindest in der klinischen Ausbildung in Oldenburg präsent ist. .”
Wenn es deutschlandweit fast keine psychoanalytischen Elemente an den Universitäten gibt, ist es dann überhaupt noch möglich, dem Interesse in einem Studium nachzugehen? Eine Möglichkeit gibt es doch: eine Privatuniversität.Spanknebel:
“In Berlin gibt es z.B. die Internationale Psychoanalytische Universität (IPU). Das ist einerseits begrüßenswert , weil dort psychoanalytische Forschung und Lehre auf hohem Niveau stattfindet. Andererseits ist die IPU eben privat; das heißt, es werden erhebliche Studiengebühren erhoben werden, wodurch sich problematische ökonomische Selektionsprozesse einstellen.”
Die IPU bietet verschiedene Studiengänge zur Psychoanalyse an, sowohl eine therapeutische Ausrichtung als auch eine kulturwissenschaftliche.
„Der Studiengang heißt vollständig, Kulturwissenschaften, Psychoanalyse und Kultur.”, berichtet Jann Poppen, der zum Wintersemester 2021/22 an der IPU zu studieren begonnen hat. „Ich habe in Oldenburg einen Bachelor in Gender Studies und Kunst studiert. Ich hatte den Eindruck, dass die Psychoanalyse hier schon immer wieder auftaucht, aber nicht so zentral ist, dass sie systematisch vermittelt werden würde. Aber sie wird thematisiert und das hat auch dazu beigetragen, dass ich Lust hatte, mich mehr damit zu beschäftigen.”
Was sagt Jann Poppen zur Einschätzung des elitären Charakters der IPU?
„Natürlich gibt es auch einen Ausschluss – es kostet 1800 Euro pro Semester, das ist natürlich absurd viel Geld. Aber es gibt auch Finanzierungsmodelle, das ist etwa eine Mehrgenerationenförderung oder über Stiftungen. Es gibt Möglichkeiten. Aber es ist ein eingeschränkter Zugang. Die Uni kann aber nichts dafür, dass staatliche Universitäten kein Interesse daran haben, Psychoanalyse zu lehren und aufrechtzuerhalten. Es ist vermutlich auch eher ein Ausweichmanöver und der Versuch, sie in einer privaten Geschichte zu retten.”
Woran aber nun liegt es, dass die Psychoanalyse einen derart schweren Stand in der hiesigen Universitätslandschaft hat, wenn sie doch gleichzeitig so beliebt ist und als Therapieform allgemein akzeptiert wird? Ein möglicher Erklärungsansatz ist die Ambivalenz der Psychoanalyse in Bezug auf empirische Forschungsmethoden, vermutet Sebastian Spanknebel.
„Die Marginalisierung der Psychoanalyse hat vor allem damit zu tun, dass die Psychotherapie und die Psychologie sehr stark einem positivistischen, naturwissenschaftlichen Ideal folgen. Das passt nur bedingt zur Psychoanalyse. Der Trend in der akademischen Psychologie geht zu sehr stark rationalisierten, manualisierten, empirisch fundierten Studien, die letztlich auf positivistischen Vorstellungen beruhen.”
Mit dem, hier negativ genutzten, Begriff ‘Positivismus’ ist gemeint, dass nur das, was man durch empirische Methoden nachweisen lässt, auch als wissenschaftlich gilt.
Das ist für die Konzepte, auf denen die Psychoanalyse beruht, aber nicht so einfach herzustellen. Auf das Problem einer positivistischen Vorstellung der Psyche, in diesem Fall hinsichtlich der Neurowissenschaften, geht Christine Zunke, die zu diesem Thema in der Naturphilosophie forscht, folgendermaßen ein:
„Sie leugnen nicht, dass Psychotherapie Effekte haben kann, denn man kann empirisch messen, dass es Leuten dann besser geht. Aber sie haben keinen klassischen Begriff von Psyche und dann können sie auch keinen Begriff von Bewusstsein oder Unbewusstsein haben. Gerhard Roth sprach anlässlich des 100. jährigen Jubiläums von Freud einmal zu diesem Thema. Das Unbewusste wird von ihm eigentlich verstanden als das Nicht-Bewusste. Das Unbewusste sei unbewusst, weil es neuronale Aktivität in Bereichen außerhalb der Großhirnrinde ist. Was dort stattfindet weiß man nicht, man weiß nur das, was man sozusagen “vorne” denkt. Konzepte wie Verdrängung, dass etwas durchs Bewusstsein gegangen sein muss, aber im Unbewussten präsent ist und wieder auftauchen kann, also etwas, was in der klassischen Psychoanalyse ein wichtiges Konzept darstellt, ist aber davon Grundverschieden. Psychoanalyse ist in den Begriffen der Neurowissenschaften gar nicht fassbar.”
Tom Uhlig erläutert die Dynamik auch innerhalb der Psychoanalyse selbst, empirischen Methoden zu öffnen
„Es gibt Tendenzen in der Psychoanalyse, dass sie mit ihrer Selbstbehauptung [gegen positivistische Wissenschaften] kämpfen. Dann gibt es auch zum Beispiel FMRT-Studien, bei denen Leute in einen Scanner geschoben werden und dann gesagt wird, ‘hier ist das Unbewusste sozusagen am Werk’, und das funktioniert einfach nicht. Das sind Rettungsversuche, die davon absehen, dass Begriffe wie etwa der Trieb, theoretische Begriffe sind. Die lassen sich weder anfassen noch beobachten. Es sind theoretische Begriffe, die versuchen, eine Reihe von Phänomenen miteinander in ein sinnvolles Verhältnis zu setzen.”
Dass die Grundbegriffe der Psychoanalyse nicht empirisch nachweisbar sind, heißt umgekehrt nicht, dass sie als Disziplin nicht auch empirisch forscht. Genau das ist aber der weit verbreitete Vorwurf gegenüber der Psychoanalyse, der nicht zuletzt der Grund für die Streichungen der betreffenden Professuren ist. Katrin Henkelmann, die in Trier Psychologie studiert hat und mittlerweile einen Master in Oldenburg in der Philosophie studiert, hält diesem Vorurteil energisch entgegen:
„Ich würde zurückweisen, dass die Psychoanalyse nicht wissenschaftlich arbeitet. Sie folgt einem bestimmten Wissenschaftsverständnis nicht, demzufolge alle Erkenntnisse empirisch messbar gemacht werden können sollten. Dennoch arbeitet die Psychoanalyse nach wissenschaftlichen Kriterien. Die theoretische Beschäftigung mit der menschlichen Psyche fand ja nicht im luftleeren Raum statt. Freud hat ja selbst immer auch mit konkreten Fallstudien gearbeitet.
Die heute vorherrschende Vorstellung in der Psychologie ist aber, dass nur das objektive Fakten ausmachen soll, was man durch ganz bestimmte wissenschaftliche Methoden, das heißt quantitative gewinnen kann. Da fällt dann aber vieles weg und das ist ein Problem.”
Spanknebel sieht es ähnlich, wenngleich er die Psychoanalyse hier nicht aus der Verantwortung nimmt.
„Die Psychoanalytiker haben sich lange gesträubt, ihre Behandlung empirisch zu erforschen. Das war ein Fehler. Die Frage ist, wie man es erforscht. Welche Kriterien legt man an? Die Verhaltenstherapie hat sehr klare Erfolgskriterien, die auch immer direkt messbar sein müssen. Wenn man sich die langfristigen Wirkeffekte ansieht, dann gleichen sich Verhaltenstherapie und Psychoanalyse aber an. Man muss bei Wirksamkeit natürlich immer beachten, was das Kriterium ist. Die Art und Weise, wie Wirksamkeit gemessen wird, ist sehr geeicht auf die Verhaltenstherapie. Man macht eine Art Test, wo man etwa Fragen beantwortet – a lá “Wie depressiv sind sie heute?” Aus den Ergebnissen bildet man einen Wert. Man macht das vor der Therapie, während der Therapie und nach der Therapie – zum Beispiel ein Monat und ein Jahr danach. Und dann guckt man, was sich verändert hat. Das ist jetzt sehr einfach ausgedrückt, im Konkreten ist es noch etwas komplexer.. Das alles kann man freilich auch kritisieren: Ist das wirklich die richtige Art, den Erfolg zu messen? Darum gibt es endlose Debatten. Aber es gibt heute niemanden, der behauptet, die Psychoanalyse sei nicht wirksam. Das ist empirisch belegt.”
Die Verhaltenstherapie als die dominierende Therapieform, die an den Unis einen hegemonialen Stand innehat, wirft einerseits der Psychoanalyse Unwissenschaftlichkeit vor – oder aber, wie schon gesehen, ignoriert sie diese aus diesem Grund – andererseits neigt sie selbst zu einer Praxis, die teilweise irrational anmutet. So jedenfalls urteilt Tom Uhlig:
“Es wird viel gearbeitet mit fast naiven Vorstellungen davon, wie man etwa mit Depressionen umgehen kann. Sie haben Probleme rauszugehen? Dann haben Sie jetzt die Aufgabe, einmal am Tag um den See zu laufen. Sie haben Angst vor Spinnen? Dann nehmen Sie doch mal eine riesige Spinne auf die Hand!” Da wird die menschliche Psyche völlig unterkomplex reduziert. Das hat der kritische Psychologe Klaus Holzkamp einmal so bezeichnet, dass die Menschen heruntergebrochen werden auf die Reiz-Reaktions-Mechanismen von Lurchen. Diese Lurchhaftigkeit, die dem Menschen unterstellt wird, findet sich zum Teil auch in den Behandlungsplänen wieder. ‘Du hast schlechte Gedanken? „Na dann versuch doch mal bessere Gedanken zu haben!’”
Die Psychoanalyse ging überdies schon immer über die therapeutische Praxis und Theorie weit hinaus. Das sind die “anderen WIssenschaften” von denen Freud sprach.
„Der Erklärungswert der Psychoanalyse ist so sehr viel höher zu veranschlagen, als nur die einzelne Neurose zu behandeln. Die Erkenntnis kann ins kulturtheoretische und gesellschaftstheoretische überführt werden.”, fasst Tom Uhlig es zusammen.
Es ist in den letzten Panedmiejahren noch einmal offensichtlicher geworden, dass es ein weit verbreitetes Potential von Menschen gibt, sich irrationalen Massenbewegungen anzuschließen. Nicht zuletzt derartige Phänomene lassen sich mit Rückgriff auf Psychoanalyse erklären – vielleicht vollumfänglich auch nur mit dieser. Katrin Henkelmann, die zu diesem Thema auch forscht, umreißt den Beitrag der Psychoanalyse in diesem Feld:
„Man kann gesellschaftliche Verhältnisse ohne Psychologie nur schwer erklären. Gerade diese individuelle Seite, was Personen dazu treibt, was für Bedürfnisse es auch befriedigt, sich zum Beispiel bestimmten Bewegungen anzuschließen, kann einfach von einer Soziologie oder Sozialwissenschaft nicht erklärt werden. Es ist aber auch wichtig, dass es nicht bei der Psychologie bleibt, sondern dass sich diese auch mit einer Art von Gesellschaftstheorie verbinden muss. Genau das gibt es in der Form der analytischen Sozialpsychologie, wo gerade die Erkenntnisse der Psychoanalyse verbunden werden mit einer marxschen Kritik der politischen Ökonomie, um auch erklären zu können, warum es gesamtgesellschaftliche Tendenzen gibt, dass sich bestimmte Charakterstrukturen und bestimmte psychologische Strukturen eher herausbilden als andere.”
Das historische Vorbild für die Verbindung dieser Aspekte ist die kritische Theorie. Unter Beteiligung von Erich Fromm und Theodor W. Adorno stellte sie auch umfassende Untersuchungen zum Potential von faschistischen Bewegungen an, aus dem die Theorie des so genannten autoritären Charakters hervorgegangen ist. “„Ie Frage war”, pointiert Henkelmann, die zu diesem Thema den viel beachteten Sammelband ‘Konformistische Rebellen” mitherausgegeben hat, “was es auf der individuellen Ebene attraktiv macht, sich faschistischen Bewegungen anzuschließen und wie das erklärt werden kann aus der Situation des modernen Subjekts unter kapitalistischer Vergesellschaftung.”
Psychoanalyse ist hier ein Teil eines verschränkten Forschungsansatzes, der interdisziplinär-theoretische und empirische Herangehensweise für eine umfassende Erklärung versucht gerecht zu werden, was Katrin Henkelmann als ein zentrales Moment auffasst:.
„Ich glaube vor allem, dass gerade diese tatsächliche Interdisziplinarität der Vorteil ist, der zwar heute immer propagiert oder als wünschenswert dargestellt wird, es aber de facto immer so ist, dass es doch bei den Einzelwissenschaften verbleibt, die sich höchstens mal additiv zusammen schließen. Dass man wirklich versucht, einen Gegenstand in seiner Gänze zu erfassen, gibt es einfach selten, gerade auch an Universitäten.”
Die umfassenden Beiträge der Psychoanalyse für verschiedene Phänomene sieht auch Sebastian Spanknebel, der auch gleiche eine Forderung, die daraus erwächst, betont. .
„Es gibt die Kulturtheorie, es gibt die Gesellschaftstheorie, es gibt die Religionstheorie. Das erfordert eigentlich, dass Professuren und Lehrstühle eingerichtet werden, und nicht einfach ein Kliniker mit Lehrauftrag die Psychoanalyse repräsentiert. Gleich wie hilfreich das ist, es braucht auch Möglichkeiten an der Uni, um die Psychoanalyse wissenschaftlich weiterzuentwickeln. Es ist wirklich bedauerlich , dass diese Tradition momentanzu versiegen droht. ., Denn ich erlebe weiterhin ein großes Interesse der Studierenden an der psychoanalytischen Theorie; es wäre daher schade, wenn man diese irgendwann nur noch als ihre Geschichte lehren kann.
Dieser Forderung kann sich auch Katrin Henkelmann anschließen.
„Ich würde mir erhoffen, dass man sich wieder ernsthafter mit der Psychoanalyse auseinandersetzt und auch mit ihren Methoden.Die Frage ist, wie realistisch das ist, auch im Hinblick auf die Abschaffung der Professur in Frankfurt. Wenn es nicht an den Universitäten verankert ist, bleiben wie so häufig nur studentische oder außeruniversitäre Initiativen, die dann selber versuchen, es zu bewerkstelligen. Sowas braucht aber erfahrungsgemäß viel Zeit und Muße und es ist dann die Frage, wie gewinnbringend und auf der gesellschaftlichen Ebene, wie erfolgversprechend so etwas ist. Wenn die universitäre Anbindung fehlt, ist es schwer. Zumal dann, wenn die Vorstellung hängen bleibt,dass es Hokus Pokus ist.”