Refugium für das von Wissenschaft vergessene – Das JUNQ Journal 

Das “Journal of Unsolved Questions” gibt es jetzt seit über zehn Jahren. Wie kann man Ziel und Inhalt des Journals auf den Punkt bringen?

Ich glaube am einfachsten kann man das Ziel des Journals so kondensieren, dass wir Negativergebnisse in der Wissenschaft salonfähig machen wollen. In der Form, dass wir möchten, dass jemand eine Arbeit publiziert, die gut ausgearbeitet ist, 

auch wenn dann ein Negativergebnis entsteht – es hat etwa eine Methode nicht funktioniert, um Daten zu erheben, die man vorher in der Hypothese erwartet hatte. Ein zweitrangiges Ziel ist außerdem, dass wir die Open Science Kultur fördern wollen und diese beispielhaft leben wollen, etwa durch Open Access. WIr wollen auch auf Mißstände in der Wissenschaft aufmerksam machen. Das war am Anfang noch stärker im Fokus, als es derzeit der Fall ist. Das sind die Kernaspekte, die das Journal ausmachen. 

Die Zeitschrift ist, wenn ich es richtig verstanden habe, ursprünglich aus studentischen Kreisen hervorgegangen. Ist das in der konkreten Arbeit immer noch so? Wer arbeitet alles mit? (Fachlicher Hintergrund etc.)

Wir arbeiten auf Basis eines eingetragenen Vereins, das heißt, die Mitglieder unserer Redaktion sind alle Ehrenamtliche. Es entstehen vor allem Druckkosten und falls wir Vorträge ausrichten oder an Konferenzen teilnehmen.

Das sieht dann so aus, dass wir immer Studierende in der Redaktion haben. Ich persönlich bin jetzt gerade an meiner Masterarbeit, aber bin auch schon vor 3 Semestern dem Ganzen beigetreten. Ansonsten ist es ein gewisser Übergang: die Leute kommen als Studenten oder Doktoranden, bleiben zwei oder drei Jahre und gehen dann wieder. Manche sind uns aber auch schon sechs oder siebeb Jahre erhalten geblieben. Das ist auch gut, wenn es alte Hasen gibt, die ein bißchen Struktur mitgeben. Ansonsten ist es so, wie man es aus anderen ehrenamtlichen Gremien kennt, mit einem regelmäßigen Durchwechsel. 

Das Journal wird oft auch als Akronym geschrieben, dann heißt es JUnQ und ist damit homophon zum Wort Junk, also Müll. Ich schätze das ist beabsichtigt, weil es inhaltlich zum Vorurteil über das, was veröffentlicht wird, passt? Ist das gleichzeitig ein Zeichen, dass es auch eine gewisse selbstironische Note gibt?

Man sieht es jetzt leider nicht durch die Maske, weil ich noch mit Kollegen hier bin, aber ich grinse breit. Das Wortspiel mit dem Müll ist absolut beabsichtigt. Wir machen das Ganze mit Herzblut, aber wir nehmen uns dabei auch wieder nicht so ernst. Aber um auf die Frage noch näher einzugehen: in meinen Augen haben Negativergebnisse noch längst nicht den Stellenwert, der ihnen zusteht. Negativergebnisse sind genauso wertvoll wie positive. Man hat eine Hypothese, führt ein Experiment durch, und was am Ende herauskommt das ist das Ergebnis – ob positiv oder negativ. Das darf doch keinen Unterschied machen für eine Veröffentlichung! Es muss dokumentiert sein für die Nachwelt: dieses Experiment wurde ausgehend von dieser Hypothese gemacht und die Hypothese so getestet, und das ist dann das, was dabei rumkommt. Es hat sich aber seit der Gründung des JunQ vor über zehn Jahren schon eine Menge getan. Gerade in der ersten Zweitausender Dekade ist das Thema sehr hochgekocht. In der Zeit wurde auch unser Journal gegründet, da war die Situation aber noch sehr prekär. Es wurde immer mal wieder drüber geredet, aber in der Publikationswelt gab es eigentlich kein Angebot. Heutzutage ist es schon so, dass es vielerorts das Angebot gibt. Gerade in der Medizin findet es immer weitere Verbreitung. Man meldet Studien dabei im Vorfeld an. Wenn dann zwei, drei Jahre später immer noch nichts zu dieser Studie publiziert ist, dann weiß man zumindest, dass dabei wohl nichts rumkam, weil ansonsten dazu publiziert worden wäre. Das ist noch nicht ideal, weil eigentlich geht es bei den Negativergebnissen nicht nur darum, zu zeigen, dass etwas nicht klappt, sondern den Prozess so transparent zu machen, das andere nachvollziehen können, warumes nicht klappt. Es kann ja auch mitunter einen systematischen Effekt geben, warum gewisse Dinge nicht klappen. Das weiß man nicht, wenn er noch nicht beschrieben ist. Es gibt dann keine Möglichkeit, dieses Wissen zu nutzen. Es gibt aber mittlerweile ganze eigene Negative-Result Journals, etwa das ‘Pharmaceuticals Negative Results Journal’, ein Fachjournal aus der Pharmazie. Gerade die Pharmazie und die pharmazeutische Industrie hat ein großes Interesse daran, zu sehen, was nicht funktioniert hat und was – auf gut deutsch – ein Rohrkrepierer war. Wenn man sich die Entwicklungszeit eines Medikament ansieht, dann erkennt man, dass das teilweise 10 Jahre braucht und Unsummen an Geld. Wenn man im Vorfeld allein aus der Lektüre der Artikel ersehen kann, dass diese oder jene Kombination nicht funktioniert, dann spart man effektiv Zeit, Geld und Ressourcen. Es ist also schon ein bisschen passiert, das ist in meinen Augen aber noch nicht ausreichend.

Die Bedeutung der Negativergebnisse klingt sehr plausibel. Wie erklären Sie sich, dass das so lange kaum eine Rolle spielte? Hat es etwas mit einer Logik des Wissenschaftsbetriebes zu tun?

Ein Phänomen, was leider sehr problematisch in der Wissenschaft ist, ist Konkurrenz. Weil damit Angst verbunden ist. Angenommen, ich publiziere eine Studie mit einem negativen Ergebnis und eine andere Gruppe, die im gleichen Feld forscht, sieht das, dann wissen sie: ah, das haben sie probiert, dann probieren wir das gar nicht oder wir müssen es so und so anpassen. Dann klappt es deswegen bei den anderen. Dann wird ein oder zwei Jahre später etwas sehr Ähnliches publiziert, wo es aber ein positives Ergebnis gibt. Wenn man das von Außen betrachtet, dann würde man natürlich denken: das ist doch egal, Hauptsache man hat es am Ende herausgefunden. Aber für die eigentlich Forschenden, die daran beteiligt sind, kann das für die Karriere ein Problem sein. Man ist meist auf temporären Projektverträgen. Wenn man dann nach zwei Jahren nur sagen kann: “ich habe hundert Wege gefunden, wie es nicht geht”, um es salopp zu formulieren, dann reicht das nicht, um den Vertrag zu verlängern. Dann hängt da eine ganze Existenz dran. Es ist ein intrinsisches Problem unserer ganzen Wissenschaftslandschaft, dass wir auf diese Weise Forschende anstellen und bezahlen. Dieses Konkurrenzdenken wird man deswegen nicht los. Das ist das Hauptproblem. 
Was man zum anderen oft gar nicht meint, ist, dass das Auswerten und Publizieren von Negativergebnissen aufwendiger ist. Bei einem Positivergebnis habe ich meine Hypothese, ich werte die Daten aus, und die Daten passen dann zur Hypothese. Ich kann dann auch noch sagen, dass ich es statisch ein paar Mal gemacht habe und zeigen, dass es passt. Das ist relativ einfach. 

Wenn Sie aber eine Hypothese haben, in der es heißt, dass dieses und jenes dabei herauskommen sollte, dann das Experiment machen und am Ende bei der Auswertung eine gänzlich anderer Wert herauskommt, dann wissen Sie gar nicht unmittelbar, wie Sie anfangen können das zu diskutieren. Ich kann erstmal nur sagen, dass ich die Hypothese damit nicht bestätigen konnte. Die Interpretation, woran es gelegen haben könnte, ist tatsächlich kniffliger. Ich muss mir also Mehrarbeit machen, und die kann wie erwähnt auch noch negative Folgen für mich haben. Das macht es sehr schwer, negative Ergebnisse zu publizieren. 

Wenn ich das, was sie über das Interesse an Negativergebnissen sagen, richtig verstehe, dann gibt es offenbar gewisse Konjunkturen – vor zehn Jahren interessierte das Thema der Negativergebnisse keinen, dann kam es mehr, ging wieder zurück und nimmt jetzt wieder zu. Kann man sich das erklären? Gibt es Gründe die das Interesse beeinflussen?

Das ist eine gute Frage, die ich auch schon öfter mit Leuten diskutiert habe. Aus der Motivation heraus: wie kann man es schaffen, dass das Thema permanent wichtig ist, und nicht nur temporär als Trend und dann wieder vernachlässigt wird? Ich denke, das Thema kam das erste Mal im Zuge der Open Science Bewegung Mitte der Zweitausender Jahre auf den Schirm. Was uns in den letzten drei, vier Jahren viel beschäftigt hat, in den Sozialwissenschaften und der Psychologie insbesondere, war die Reproduktionskrise. Es ist in den letzten Jahren als ein riesiges Problem evident geworden. Im Zuge dessen beschäftigt man sich aktuell auch wieder mehr damit: Wie sollten wir publizieren? Was gehört alles dazu? Eine Best-Practice für Open Science ist etwas, wo die Leute gerade daran arbeiten. Das kann man an dem Zuwachs an Veranstaltungen dazu sehen. Ich denke im Zuge dessen wird das Thema wieder mehr wahrgenommen. 

Wenn man sich die Statistiken ansieht, wie oft wissenschaftliche Artikel gelesen werden, dann stellt man fest, dass einige wenige Artikel sehr oft gelesen werden, und die große Mehrheit kaum oder gar nicht rezipiert wird. Bei der Frage, wie man die Publikation von Negativergebnissen stärken kann, müsste man dieses Problem ja eigentlich mit diskutieren, wie man dieses systematisch angehen könnte, denn ansonsten hat man einfach noch mehr Publikationen, die nicht wahrgenommen werden, oder? 

Das ist eine absolut gute und wichtige Frage. Es gibt selbst im eigenen Fachbereich so viele Publikationen, dass man kaum dazu kommt im Blick zu behalten, wer alles gerade was zu welchem Thema publiziert hat. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Früher konnten Professorinnen und Professoren sich noch einmal die Woche die Journals durchblättern und wussten dann, was es Neues gibt. Das ist heute mitunter nicht mehr möglich. Die Frage, wie man mit einer so großen Datenmenge, die wir mittlerweile kreieren, umgeht, berührt dann das Thema Negativergebnisse wieder. Der Trend ist ja so, dass die Daten in Datenbanken eingehen und versucht wird, sie durch künstliche Intelligenzen aufzubereiten, damit der Endnutzer einen Umgang damit finden kann. Google funktioniert im Prinzip auch nicht ganz anders. Heute kann man danach googeln, wo man etwas bestimmtes am Besten finden kann. Wenn man sich vorstellt, wie das Internet vor den Suchmaschinen gewesen sein muss, dann kann man sich das gar nicht mehr richtig vorstellen. In diese Richtung geht es in der Wissenschaft auch. Dafür sind dann Negativergebnisse sehr interessant. Die zusätzliche Datenmenge, die hinzukommt, ist vernachlässigbar. Für die künstlichen Intelligenzen sind die Negativergebnisse aber sehr interessant, denn die brauchen negative Datensätze, um gut zu funktionieren, um sie gut trainieren zu können. Man muss sie nicht nur mit positiven Datzensätzen füttern, so dass sie lernen, was sie erkennen sollen, sondern man muss ihnen auch andere Datensätze präsentieren. An Bildalgorithmen sieht man es gut. Wenn ich einer KI beibringen will, eine Katze zu erkennen, dann darf ich sie nicht nur mit verschiedenen Katzenbildern füttern, sondern auch einmal mit einem Baum. Auf diese Weise lernt die KI, dass es viele verschiedene Muster gibt, aber sie nur dieses erkennen soll. So kann man sich mit Negativdaten vorstellen. Wenn man sie in Datenbanken einspeist, steht sie so den Algorithmen zur Verfügung um sie besser zu machen. 

Sie haben schon den Zusammenhang der Veröffentlichung von Negativergebnissen mit der Open Science Bewegung erwähnt. Auch ihr Journal ist Open Access. Ich nehme an, dass ist für sie von zentraler Bedeutung – wie würden Sie die Entwicklung hier beschreiben?

Ich habe gerade ein Zitat von einer Person aus einem Verlag dazu gehört, ich nenne den Verlag einmal nicht. Sie sagte sinngemäß: ‘wir haben gelernt, mit Open Access unseren Profit zu machen’. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Die großen Verlage haben sich am Anfang vehement gegen Open Access gewehrt. Mittlerweile ist es angekommen. Ich denke im besten Fall wäre alles Open Access, so dass der Zugang zu Wissenschaft und zu wissenschaftlichen Informationen allen zur Verfügung steht. Dafür machen wir doch Forschung, damit es auch der Allgemeinheit nutzt. Allerdings sieht man leider in der Praxis, dass es zu bestimmten Praktiken kommt. Meine eigene Uni hat Verträge mit Open Access Journals. Aber die gehören zu Verlagen, die auch andere Journals, die nicht Open Access sind, haben. Für diese zahlt man dann doppelt oder dreifach. Das sind Auswüchse, da kann man sich nur die Haare raufen – das war nicht der Sinn des Ganzen! Ich würde es begrüßen, wenn die Verlage es entweder ganz oder gar nicht machen würden. Diese Hybridsysteme, die jetzt entstehen, sehe ich sehr kritisch. 

Die großen Verlage haben also ein paar Open Access Angebote, damit diese und vermutlich auch die Unis damit werben können, aber es ist nur eine weitere Verkaufsstrategie?

Ja, und das ist nicht der Sinn von Open Access gewesen. Es ging darum, Wissenschaft frei zugänglich zu machen und für die Öffentlichkeit keine weiteren Kosten entstehen zu lassen. Die Allgemeinheit finanziert über Steuern sowieso schon unsere Forschung. Es kann nicht sein, dass jemand einen Artikel über eine Forschung zum Klimawandel lesen will und dann dort steht, dass er dafür 50 Euro bezahlen soll. 

Warum können die Verlage solche Preise einfach durchdrücken?

Universitäten sind abhängig von Verlagen. Wenn sie mit diesen keine Verträge hat, dann hat sie ein Problem. Sie muss ihren Studierenden und Forschenden Zugang zur Forschung geben. Wenn die Verlage sagen, hier, nimmt doch bitte unseren tollen Open Acces Zugang, und die Universitäten dann sagen, ja ok, das wollen wir sowieso fördern, und dann sagen, ok, und was ist mit den anderen Journals, sagen diese wieder, ja, die müsst ihr aber bezahlen wenn ihr sie haben wollt.

Wenn man sich ansieht, um welche Summen es da jährlich geht, dann ist es Wahnsinn. 

Sie haben den zeitaufwändigen Peer-Review-Prozess in ihrem Journal beschrieben. In einem Artikel des JUnQ geht es auch um Probleme dieses Verfahrens, etwa dabei, wie schwierig es ist, geeignete Peer Reviewer zu finden, und hier spielt natürlich auch die schon von Ihnen erwähnte Konkurrenz eine Rolle. Ein Gegenkonzept ist das Public Peer Review. Worum geht es dabei?

Das Prinzip vom Peer Review hat sich durchgesetzt über einen Zeitraum von Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten. Es ist etabliert, die Methode unabhängig Ergebnisse überprüfen zu können. Der klassische Closed Peer Review ist so, dass das eingesandte Manuskript an verschiedene Fachpersonen weitergeleitet wird, die ein Gutachten schreiben sollen, ob das Manuskript als Forschungsarbeit in Ordnung ist. In der Regel weiß der Einsender nicht, wer der Reviewer ist und es wird versucht, alles anonym zu halten. In kleineren Fächern hat man erlebt, dass bei den Peer Reviews ein Mitglied der ‘gegnerischen’ Gruppe sitzt, der das Papier dann auseinandergenommen hat. Das Risiko ist also, dass man nicht mehr nachvollziehen kann, wer hier aus was für einer Motivation heraus für ein Gutachten verantwortlich ist. Ich würde dagegen das Public Peer Review bevorzugen. Der Vorteil liegt klar auf der Hand: man hat einen transparenten Prozess, man sieht,wer das Gutachten schreibt, kann auch direkt bei Personen Befangenheit anmelden. Es ist alles transparent und offen. Wirklich Nachteile hat es eher weniger, ab dem Moment, wo man dieses Manuskript einreicht zum Public Peer Review und es dort diskutiert wird. Da ist man eigentlich schon an dem Punkt, dass man die Arbeit veröffentlichen möchte. 

Wie genau ist das Vorgehen beim Public Peer Review im Vergleich zum Closed Peer Review?

Man reicht den Artikel ein, wie gewöhnlich. Das Journal, an das man es schickt, macht direkt transparent wer alles sich am Peer Review beteiligen wird und die Gutachten werden direkt einsehbar für die Autorin oder den Autoren des Manuskriptes. Das ist nämlich ein Unterschied, normalerweise kriegt man das Review mit den Änderungswünschen, aber nicht das volle Gutachten. Beim Public Peer Review wird alles öffentlich gemacht und man kann jede Entscheidung nachvollziehen. Es ist für den Autor komplett transparent. Es gibt auch die Variante, dass es nicht nur für den Autor offen ist, sondern man kann auch als Außenstehender einsehen. Auch externe Experten können dadurch hingucken, wo es stehen wird und wann es rauskommt. Das ist dann wirklich öffentlich.

Kommen wir nochmal auf ihr Journal zurück. Als ich die Ausgaben gelesen habe, musste ich doch feststellen, dass mich daran die ‘allgemeinen’ Themen eher interessierten als die Fachartikel, die gar nicht so leicht nachvollziehbar sind, wenn sie nicht einmal annähernd aus dem eigenen Forschungsfeld kommen. Ich habe dann spekuliert, dass dieser ‘allgemeine’ Teil vielleicht auch die Wirkung haben soll, dass man sich dann eben doch mit den Fachartikeln auseinandersetzt, was man sonst vermutlich gar nicht machen würde. War das jetzt zu strategisch gedacht?

Jein. Absicht ist es schon, dass die Gesamtausgabe für alle zugänglich ist. Wir sind selbst relativ interdisziplinär aufgestellt. Physik, Chemie, Psychologie und Biologie sind die momentan in unserer Redaktion vertretenen Wissenschaften. Wir versuchen aber alles an Themen abzudecken, so dass jeder auch einmal etwas vor seiner Nase hat, was er nicht so kennt. Bei den wissenschaftlichen Artikeln wollen wir sie primär veröffentlichen, weil wir ein Negativresultatjournal sind. Wir sind kein Journal nur für Physik oder Sozialwissenschaften. Da erreichen uns auch Artikel, die selbst in der Physik ein Nischenthema sind. Ich kann bei den Manuskripten dann nur die allgemeine Güte beim wissenschaftlichen Arbeiten prüfen. Wurden Themen etwa nachvollziehbar statistisch ausgewertet? Aber wenn es dann zu fachspezifischen Debatten kommt, dann muss ich auch aussteigen. Aber genau dafür ist ja der Peer Review Prozess da. Wir schauen uns die Manuskripte hauptsächlich daraufhin an, ob es ‘ordentlich’ aussieht. Erst wenn wir das so erachten, leiten wir den Peer Review ein. Dadurch gibt es diesen Effekt: man liest die Ausgabe und der Großteil ist für jeden zugänglich. Dann geht es zum Fachartikel. Das ist die Folge von unserer Entscheidung, dass es erst einmal nicht wichtig ist, von welchem Fach uns Artikel erreichen. 

Woran liegt es, dass relativ wenig Artikel eingereicht werden? Negativresultate gibt es doch wahrscheinlich zu Hauf. Liegt es an der noch begrenzten Bekanntheit des Journals? 

Bekanntheit oder Reputation ist da schon wichtig. Innerhalb der Mathematik, der Chemie und Physik, natürlich auch stark hier lokal in Mainz, kennt man uns sehr gut. Wenn man den Namen des Journals unter Geisteswissenschaftlern erwähnt, ist die Reaktion so, dass viele gar nichts davon wissen. Wir versuchen dem entgegenzuwirken. Wir haben gerade ein Scientific Board assembliert, das zum Ziel haben soll, dass die Aufmerksamkeit auf das Journal gelenkt wird, in diesem sollen möglichst alle Fachbereiche vertreten sein. 

Man muss natürlich dazu sagen, dass dieser Fokus auf Resultate und insbesondere Positivresultate etwas den Geisteswissenschaft im Prinzip fremdes und äußerliches ist.

Klar, das ist dann für Naturwissenschaftler oft nicht so ganz nachvollziehbar. Für uns ist es einfach: wir erwarten etwas, dann überprüfen wir das und am Ende kommt 1, 0 oder etwas anderes heraus. Ich sage immer zu meinen Kollegen, die keine Naturwissenschaftler sind, dass ich nicht mit ihnen tauschen möchte, denn etwa mit Menschen zu arbeiten als ‘Experimentiersubstanz’ stelle ich mir ganz schwer vor, und ist es ja vermutlich auch. Da gibt es kein schwarz und weiß, sondern nur Grautöne. Da ist es dann explizit mit Negativresultaten vielleicht etwas schwer. Wobei es in der Psychologie gut ankommt, wir haben jetzt auch eine Psychologin im Team. Das kann dann bedeuten, dass man erkennen kann, dass dieser und jene Test zur Diagnose wiederholt angewendet wird, aber vielleicht gar nicht funktioniert

Das ist dann auch ein Negativresultat. 

Mit Ihrem Journal weisen Sie auf Probleme in der Wissenschaft hin – Probleme von Peer-Reviews, Dynamiken angesichts von Konkurrenz und viele andere Phänomene, die bestehende Wissenschaft hat. Gleichzeitig gibt es in den letzten Jahren, spätestens seit der Pandemie, in der Öffentlichkeit einen Verlust an ‘Glaube’ an die Reliabilität von Wissenschaft. Da Sie sich ja in Form von Wissenschaftskommunikation an diese Öffentlichkeit wenden, wie schätzen Sie das Verhältnis hier ein, zwischen der Notwendigkeit, die Probleme von Wissenschaft scharf zu kritisieren und der Notwendigkeit, die Geltung von Wissenschaft zu verteidigen?

Das ist eine wichtige und zur Zeit nahe liegenden Frage. Ich bin hier ehrlich gesagt auch persönlich erschüttert. Ich habe das auch in meinem Bekanntenkreis erlebt. Leute, die Jahre lang eher sagten, “Oh, du bist ein Naturwissenschaftler, das ist ja krass”. Auf einmal passiert eine Pandemie und auf einmal sagen sie, “das ist doch alles abgekartet!”. Das verstehe ich oft nicht. Das man in dem Moment eigentlich sagen möchte, “hier muss die Wissenschaft gestärkt werden”, das ist ja nur nachvollziehbar. Und jetzt sind wir ein Stachel, der zur Wissenschaft sagt: “Ihr seid aber nicht perfekt, ihr habt dort und hier Probleme”. Man könnte jetzt sagen: “Muss das jetzt sein? Kann man das nicht irgendwann später mal wieder machen?” Dazu würde ich klar sagen: “nein”. Das aller Wichtigste, womit man wieder Vertrauen aufbauen kann – und es ist natürlich eine komplexe Diskussion mit vielen Problemen, die man angehen muss – ist, gerade transparent zu sein, was wir ändern sollten. Wie können wir das System besser machen als es ist? Wir sind nicht perfekt, manchmal passiert auch Murks, aber wir arbeiten daran. Ich würde nie sagen, “wir sind perfekt und man soll uns einfach glauben”. Menschen, die in den letzten Jahren das Vertrauen in die Wissenschaft verloren haben, dafür wieder zu gewinnen, das ist allerdings nicht nur die Aufgabe der Wissenschaft selbst, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich denke da gehört einiges dazu, dass man dieses Vertrauen verliert. Das ist nicht nur so, dass die sich vorstellen, “was die da im Elfenbeinturm machen verstehe ich nicht”. Man sieht Leute, die Chlorbleiche trinken! Entwurmungsmittel für Pferde nehmen! Nur weil es ein Typ im Internet gesagt hat. 

Ich fand in meiner Schule Naturwissenschaften selbst gar nicht so spannend und habe das erst auf dem zweiten Bildungsweg erfahren. Aber man sollte sicherstellen, dass Leute elementare Dinge vermittelt bekommen, so dass es nicht passiert, dass Leute Chlorbleiche trinken. Das ist auch ein Bildungsauftrag. Den haben Schulen und Lehrer, aber auch Eltern und die Gesellschaft. Und hier ist auch Wissenschaftskommunikation sehr wichtig. Man sieht es bei Mai ThiNguyen-Kim, die wirklich eine Lücke gefüllt hat. In meiner Kindheit waren es Leute wie Harald Lesch. Nicht jeder zweite Professor muss ‘WissKomm’ machen, dafür ist auch nicht jeder kompetent genug. Aber es braucht Leute, die ein fundiertes Wissen haben und es dann erklären, wie Mai Thi oder auch der Podcast Methodisch Inkorrekt. Das ist einfach wichtig.

Interview von Ulrich Mathias Gerr

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