Tierversuche und Tierrechte – Zur aktuellen Kontroverse an der Uni Oldenburg

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Ich weiß, dass es Tierversuche an der Uni gibt. Als Geistes- und Sozialwissenschaftler ist die Vorstellung davon aber für mich trotzdem etwas im Grunde abstraktes. Ich vertraue gewöhnlich irgendwie darauf, dass das schon alles seine Richtigkeit haben wird, aber es findet nicht in meinen Disziplinen statt, nicht in den Arbeitsgruppen, die ich verfolge, nicht in den Gebäuden, die ich betrete. 

Schon aus diesem Grund bin ich dankbar, dass es in den letzten Monaten eine Debatte an der Universität Oldenburg gibt, eine Debatte zu einem Thema, die für viele genauso abstrakt sein wird wie für mich, für viele andere Alltag. 

In diesem Artikel geht es um Tierversuche an der Universität – um eine scharfe Kritik an diesen auf der einen Seite und eine Verteidigung ihrer wissenschaftlichen Notwendigkeit auf der anderen. 

Vorweg folgender Disclaimer: Es ist nicht das Ziel der Sendung, sozusagen Propaganda für unsere eigene Meinung zu machen. Vielmehr ging es darum, die Argumente darzustellen und anhand dieser Debatte über eine Kontroverse zu informieren, zu der man sich wohl oder übel irgendwie verhalten muss. Ob man nun Geisteswissenschaftler ist oder Neurowissenschaftler. Es ist mit der Hoffnung verbunden, die Kriterien, mit denen Tierversuche bewertet werden, zu schärfen und so zu einer vielleicht besser informierten Debatte beizutragen. Denn klar ist, die Kontroverse zu Tierversuchen wird weitergehen solange es sie gibt.

DIE DEBATTE

Was aber war das für eine Debatte hier an der Uni Oldenburg in den letzten Monaten? Es gibt einen Anlass dafür. Ein Forschungsprojekt der AG Neurosensorik steht dabei im Fokus und wird scharf kritisiert. Die Anschuldigung geht aus von dem Verein “Ärzte gegen Tierversuche”. Das ist ein Zusammenschluss, über den eine Gruppe von Akadamikerinnen und Akademikern versucht, kritisch auf Tierversuche aufmerksam zu machen, mit dem langfristigen Ziel, irgendwann wirklich alle Tierversuche durch andere Experimente zu ersetzen.

Einmal im Jahr vergibt dieser Verein einen Negativpreis, eine Art ‘Goldende Himbeere’ für den schlimmsten Tierversuch. Dabei beziehen sich die Ärzte gegen Tierversuche auf die offiziellen Beschreibungen der Versuche in den jeweiligen Paper der Fachpublikationen, formulieren die Beschreibungen darin aber häufig auch etwas um, und stellen dann zur Abstimmung welcher Tierversuch den Negativpreis gewinnen soll. Dieser Preis heißt “Herz aus Stein”.

Das Forschungsprojekt, das in diesem Jahr den Negativpreis “Herz aus Stein” bekommen sollte, kommt also von der Uni Oldenburg, aus der genannten AG Neurosensorik. Hauptverantwortlich ist hier Professor Henrik Mouritsen. Für eine Universität der Größe Oldenburg ist die Forschung von Professor Mouritsen etwas Besonderes. Seine Forschungsgruppe hat international ein nicht geringes Renommee. 2019 gewann er den Wissenschaftspreis Niedersachsen und erst vor kurzem war er mit seiner Forschung auf der Titelseite des Nature Magazin. Sehr viel größer geht es in dieser Forschungsdisziplin nicht. Auch das muss man mitbedenken, wenn man sich den Fall ansieht, denn die deutliche Verteidigung der Forschung seitens der Universität ist sicher teils auch von diesem internationalen Renommee beeinflusst. Und auch die Kritiker orientieren sich vermutlich nicht aus Zufall an einer solchen viel diskutierten Forschungsgruppe. Es schafft Aufmerksamkeit und um genau die geht es, wenn man den Diskurs zu Tierversuchen in eine bestimmte Richtung verändern will. 


DAS FORSCHUNGSPROJEKT

Um was für ein Forschungsprojekt geht es jetzt ganz genau, dass sich solche scharfe Kritik daran entlädt? Es geht um Vögel, genauer gesagt Zugvögel und deren magnetischen Sinn.

Auf die Ziele, die mit der Forschung verbunden sind, also über das, was man sich davon langfristig erhofft, werden wir gleich noch einmal zurückkommen

Zunächst aber wollten wir wissen: wie genau lief jetzt das Experiment ab, dass es so eine harsche Kritik auf sich ziehen konnte? Wie war das Forschungsdesign? Und hier kommen wir schon zu einem heiklen Teil der Debatte. Tierversuche werden hier ja offenkundig ziemlich unterschiedlich bewertet und diese unterschiedlichen Bewertungen drücken sich schon in einer sprachlich sehr verschiedenen Beschreibung dessen aus, was gemacht wird. 

Henrik Mouritsen, der ursprünglich aus Dänemark stammt und seit 2006 an der Uni Oldenburg Professor ist, beschreibt das genaue Vorgehen beim Experiment folgendermaßen:

“Konkret haben wir versucht herauszufinden: wie sind die Verbindungen von dem magnetischen Sensor in das Gehirn, um herauszufinden, wo werden diese informationen verarbeitet. Und um das zu tun haben wir unter Betäubung – das bedeutet die Vögel merken keine Schmerzen – eine Substanz in die Nervenzellen injiziert, die dann über eine Woche entlang der Nervenbahnen transportiert werden. Diese Substanz ist nicht gefährlich für die Vögel. Der einzige Schmerz, der aus dieser OP entsteht ist die Haut – ja, man muss eine ungefähr halbe bis 1,5 cm Hautnaht setzen. Das machen Sie auch, wenn Sie zum Arzt gehen und etwas entfernt haben wollen, etwa wenn Sie ein Muttermal entfernt haben wollen auf Ihrer Haut. Dann gibt es auch eine 1,5 cm große Naht. Klar, das tut ein bisschen weh, aber große Schmerzen sind das nicht, und wir behandeln es auch lokalanästhetisch nach der OP. Im Gehirn sind keine Schmerzrezeptoren, das heißt, wenn man etwas ins Gehirn injiziert kann es keine Schmerzen verursachen. Die OP selbst passiert unter Betäubung. Dann wacht der Vogel nach der OP auf, alles was sie haben ist die Naht an der Kopfhaut, er wird lokalanästhetisch die nächsten Tage behandelt, so dass auch der Schmerz von der Naht so gering ist wie möglich. Dann überleben die Vögel 5 bis 7 Tage – so lange dauert es, diese Substanz in die Nervenzellen zu transportieren. Danach werden die Vögel eingeschläfert. Das ist das Experiment.
Was mit dem Gewebe passiert, nachdem der Vogel tot ist, ist ja ethisch egal, aber klar, da gucken wir dann, wo diese Substanz hin transportiert wurde. Das machen wir aber erst nach dem Tod.”

Der gleiche Versuch wird von den Ärzten gegen Tierversuche folgendermaßen beschrieben:

Die Mönchsgrasmücken (Sylvia atricapilla) werden in der Umgebung der Universität Oldenburg mit sogenannten Japannetzen gefangen. Dabei handelt es sich um speziell für den wissenschaftlichen Vogel- und Fledermausfang konstruierte Netze, die aus sehr feinem Netzwerk bestehen, welches von den Vögeln kaum wahrgenommen wird. Japannetze werden fest aufgestellt so dass sich alle Vögel darin verfangen, die zufällig hineinfliegen. Die gefangenen Mönchsgrasmücken werden in Räumen ohne Fenster mit Kunstlicht zu zweit in Käfigen gehalten. Um den Tieren eine sogenannte Tracersubstanz zu injizieren, wird der Kopf der anästhesierten Vögel in einem speziell angefertigten Apparat fixiert. Nach der Öffnung der Kopfhaut wird der neuronale Tracer, eine Markierungssubstanz, die Nerven markiert, durch ein kleines Fenster im Schädel durch Injektionen in bestimmte Regionen des Gehirns verabreicht. Das Loch im Schädel wird mit chirurgischem Kleber verklebt und die Haut zugenäht. Nach der Operation dürfen sich die Tiere 3-6 Tage erholen.

Für die eigentlichen Versuche werden einzelne Vögel in einem runden Plexiglas-Käfig in einem speziellen Gebäude untergebracht, wo sie unterschiedlichen magnetischen Reizen ausgesetzt werden. Die Vögel werden mit Infrarotkameras überwacht. Zu bestimmten Zeitpunkten werden die Tiere getötet, indem unter Narkose Formalin ins Herz injiziert wird, bis alles Blut ausgetauscht ist. Das Gehirn wird in Scheiben geschnitten und untersucht.   

Deutlich drastischer klingt es in der Kurzbeschreibung auf der Website, auf der die verschiedenen Versuche, die für den “Herz aus Stein” nominiert waren, aufgelistet waren. Diese Kurzbeschreibungen sind angesichts vieler Nominierungen für viele wohl das einzige gewesen ist, was gelesen wurde. Dort heißt es:

Wildgefangene Singvögel (Mönchsgrasmücken) in fensterlosen Räumen bei Kunstlicht gehalten; Durch ein Bohrloch im Schädel wird eine Substanz zum Markieren von Nerven injiziert; die Vögel werden in einem runden Plexiglas-Käfig magnetischen Reizen ausgesetzt. Tötung, um Gehirn zu untersuchen.

Man merkt bei einem Vergleich dieser Beschreibungen, bei der Darstellung von Dr. Mouritsen auf der einen Seite, und bei der des Vereins, wohl sehr deutlich, dass es eine großen Unterschied in der Wirkung macht, wie man etwas ausdrückt.  

An dieser Stelle muss kurz eine Erklärung erfolgen, denn die Stellungnahme des Vereins haben wir von dessen Website, und nicht aus einem Interview. Aber warum stellen wir das hier derart vor,  warum kommt der Verein nicht selbst zu Wort? 

Nun, dazu ein paar Worte.

Wir haben uns wirklich redlich bemüht, ein Interview mit dem Verein zu führen. Nach einem längeren Mailverkehr trafen wir uns online bei BigBlueButton zu einem ausführlichen Vorgespräch, in dem ich die Pläne für den Beitrag skizzierte. Der Verein machte schon da einen sehr vorsichtigen Eindruck. Man wollte sehr genau wissen wie der Beitrag positioniert sein würde. Auf das Drängen des Vereins haben wir dann sogar noch eine Erklärung unterzeichnet, dass wir die Zitate aus dem angedachten Interview, die wir im Beitrag nutzen würden, noch einmal zur Überprüfung an sie schicken würden. Wir haben es unterschrieben, und wir machen das bei längeren Interviews ja auch meistens so, schließlich kann mal ein Fehler unterlaufen oder eine neue Entwicklung eintreten. Kurz vor dem also lange vorbereiteten Interview kam dann eine E-Mail. Der Vorstand des Vereins hatte das geplante Interview noch einmal besprochen. 

Man sagte uns kurzfristig ab. Gründe dafür? Wurden uns nicht genannt. Man kann nur spekulieren. Vielleicht vertrauen sie nicht darauf, dass ein Beitrag, der aus der gleichen Uni stammt wie der kritisierte Versuch einigermaßen ausgewogen berichten kann?  

Was auch immer die Gründe sind, wir sind in diesem Beitrag nun in der etwas unglücklichen Position die Kritik des Vereins als eigentlich Außenstehende wiedergeben zu müssen.

Wir wollten gleichwohl natürlich nicht einfach die Äußerungen der Forschungsgruppe der AG Neurosensorik als einzige Position stehen lassen, so als gäbe es keine Kritik daran. Wir haben dann als eine Vertreterin einer Tierrechtsposition, die Tierversuche allgemein kritisiert, Doktor Kirstin Zeyer gefunden. Dr. Zeyer hat gerade in de Zeitraum der Produktion des Podcasts ein Seminar zur Tierethik an der Uni Oldenburg gegeben. Sie ist also Philosophin. 

TIERETHIK

“Die Tierethik im meinen Fall, weil ich aus der Philosophie komme, hängt bei den Tierversuchsfragen schon auch sehr eng mit der Frage der Tierrechte zusammen und es gibt bestimmte Standpunkte, die sich in den Rechtsfragen, also den Tierschutzfragen, schon ausdrücken, die man philosophisch, also moralisch oder ethisch, schon sehr gut zuordnen kann.” 

Es war dabei historisch nämlich gar nicht so selbstverständlich, dass Tiere und Tierversuche ein Thema für eine ethische Betrachtung sind, wie man es vielleicht heute glauben könnte. 

“Descartes spricht wirklich an einer Stelle davon, dass das Schreien eines Tieres nichts weiter sei und vergleichbar mit dem Quietschen einer Maschine. Er ist davon ausgegangen, dass sie keine wirklichen Schmerzen leiden würden.”

Dr. Zeyer weist für die ethische Grundlage einer Kritik an Tierversuchen auf drei verschiedene Betrachtungswinkel hin:

“Man kann das in konzentrischen Kreisen darstellen, wie man gewillt ist, wie viel in seine moralische Berücksichtigung mit hineinzunehmen. Der engste Kreis wäre der Standpunkt des Menschen, der Anthropozentrismus, der nur Menschen berücksichtigt oder gewillt ist, nur Menschen zu berücksichtigen. Die zweite Stufe, und da sind wir eigentlich schon genau beim Tierschutzgesetz, das ist der Pathozentrismus, also da geht es um die Leidensfähigkeit von Tieren, die angesprochen ist – Schmerz- oder Leidensfähigkeit, die da den Ausschlag geben, auch diese Gruppe von Lebewesen zu berücksichtigen. Man könnte den Kreis weitermachen und alle Lebewesen berücksichtigen wollen, im Sinne von Albert Schweitzer, also auch Pflanzen. Man weiß auch, wenn man auf Tierversuche guckt, dass man bestimmte Tiere, wie zum Beispiel Insekten, die braucht man gar nicht anzumelden, die unterliegen auch gar nicht dem Tierschutzgesetz sozusagen. Das sind alles so bestimmte Blickwinkel, und dementsprechend sind auch bestimmte Theorien entwickelt worden. Und bei der Frage der TIerversuche liegen wir also in diesem zweiten Bereich, mit dem Pathozentrismus.”

Heute versteht sich die Pathozentrische Perspektive mehr oder weniger von selbst, also dass Tiere als leidensfähige Lebewesen ganz allgemein Subjekte einer ethischen Betrachtung sind. Das ist nicht strittig, oder vielmehr nicht mehr, denn so lange ist das noch gar nicht Common Sense. Keine und keiner im aktuellen Diskurs scheint das zu leugnen, auch nicht die Verfechter_innen der Versuche. Es ist die geteilte ethische Annahme. 

Bei der unterschiedlichen Beschreibung des Tierversuchs an den Vögeln hat man schon gemerkt, dass eine unterschiedliche Beschreibung bereits Ergebnis einer unterschiedlichen Bewertung ist. Das gilt nicht nur für den Ablauf des Experiments, sondern auch für die Ziele, die damit verbunden sind. Je nachdem wie man diese beschreibt wird man wahrscheinlich zu ganz anderen Schlussfolgerungen kommen, ob man den Versuch rechtfertigen kann oder nicht. 

ZIELE DER TIERFORSCHUNG

Das Ziel wird so von Dr. Mouritsen als eines beschrieben, in dem es gerade um Tierschutz geht:
“Es geht darum zu verstehen wie Zugvögel ihren Weg finden. Es gibt ganz viele Beispiele in der Vergangenheit, wo man aus guten Herzen einen Zugvogel genommen hat, sehr seltene Zugvögel, von denen es vielleicht noch 100 auf der Welt übrig gab. Dann kommen Katzen oder Ratten auf irgendeine Insel. Dann fängt man alle ein und setzt die auf eine Ratten- oder katzenfreie Insel rüber, 700 oder 800km davon vielleicht.

Was mann dann beobachtet ist, dass diese Vögel schneller zurück sind als die gutherzigen Naturschützer, weil diese Vögel ganz genau wissen wo sie wohnen, aufgrund deren Navigationssystem. Dann man muss verstehen: wie genau funktioniert das Navigationssystem von diesen Zugvögeln? Wenn man das vernünftig versteht, dann kann man sie vielleicht täuschen, während der Verfrachtung, so dass sie glauben, dass das ihre neue Heimat ist. Oder man weiß, wie es sich entwickelt, und man nimmt die Vögel im richtigen Alter, verhindert während dieser Zeit, dass sie die richtigen Informationen am Ursprungsort bekommen, versetzt sie dann und lässt sie dann frei, zum Beispiel vor dem ersten Zug; zum Beispiel zu der Zeit, an der es sich imprägniert, wo sie wohnen sollen”

Eine solche Rechtfertigung von Tierversuchen sieht Dr. Zeyer dagegen kritisch. Vor allem bei der Grundlagenforschung sieht sie den nur indirekten Bezug auf Ziele problematisch. 

“Und tatsächlich hat sich da in der Rechtsprechung für Tierversuche da etwas durchgesetzt. Also nach diesen drei 3 Punkten muss ich eine Schaden-Nutzen-Analyse sozusagen anstellen als Forscher und dass ist ja auch schon wieder schwierig, weil ich habe da zur Bewertung zwar verschiedene Schweregrade die ich abgeben kann, nach denen dann die Tiere schaden nehmen, verletzt werden, Schmerzen leiden, dass kann man sich auch als Bürger in diesen Bögen anschauen – aber schon alleine bei der Frage der Schaden-Nutzen-Bilanz ist die Frage nach dem Nutzen meistens recht hypothetisch und langfristig. Man erhofft sich davon in Zukunft dieses, das und jenes.”

Aus ihrer Sicht stellen sich die Ziele folgendermaßen dar: 

“Es geht um den magnetischen Sinn von Zugvögeln, aber ich habe dann gesucht und fand dort schon im Jahre 2021 eine Unterlage über einen Antrag, der über 5 Jahre läuft, also sechzig Monate, aber wenn man sich dann diese Schaden-Nutzen-Analyse ansieht, dann steht da auch nur, ich sag in Anführungszeichen “nur”, das mag ja auch ein gutes Ziel sein, aber da endet auch bei mir die situationsgebundene Beurteilungskompetenz, um es zu sagen. Es wurde begründet, die Umsiedlung von Zugvögeln kann manchmal sinnvoll sein, scheitert aber oft an irgendwelchen Umständen, um das aber doch zu ermöglichen, um also die Tiere da zwischenzeitlich zu beeinflussen. Das ist dann der Nutzen. Tierschutz ist auch ausdrücklich vorgesehen als Begründung von Tierversuchen überhaupt.”

Bei der Bewertung von Tierversuchen kollidieren, das kann man jetzt vielleicht schon erahnen, sehr verschiedene Vorstellungen. Es kollidieren verschiedene Tierschutzbegriffe, das wird gleich nochmal Thema sein.  Es kollidieren aber auch verschiedene Rechte, vor allem nämlich die Forschungsfreiheit mit dem Tierschutz.  Vor gar nicht so langer Zeit, also noch in den 1990er Jahren, gab es in der Rechtsprechung eine deutliche Priorität der Forschungsfreiheit. Eine wichtige Änderung dessen gab es 2002. Dr. Zeyer: 

“Die Forschungsfreiheit, die Sie angesprochen haben, wird seit 2002, seitdem der Tierschutz in die Staatsziele aufgenommen wurde und damit ein Verfassungsgut wurde, ist die Forschungsfreiheit da auch beim Tierversuch also einschränkbar, so dass man an der Stelle sagt: ok, also es geht an der Stelle nicht weiter. Und da braucht man dann eben bestimmte Kriterien.”

DIE 3-R-KRITERIEN

Die Kriterien fußen auf der Annahme, dass man auf unnötige Tierversuche verzichtet – und ein Tierversuch ist per definitionem einer, bei dem d-ie Tiere auf die ein oder andere Weise schaden leiden. Dafür gibt es einen zentralen 3-er-Katalog. 

“Ganz wichtig sind die 3-R-Regelungen – Rs aus dem Englischen – das man einen Tierschutz begründen muss, dass man sagen muss, man hat keine Alternative.”

3 R, das steht für 3 Überprüfungsregeln, die im Englischen alle mit R beginnen: Replacement, Reduction und Refinement. Replacement meint die Überprüfung, ob man den Tierversuch auch durch eine andere Forschung ersetzen könnte, Reduction, dass man so wenig Tiere wie möglich für die Versuche nimmt und Refinement, dass man die Experimente so verfeinert, dass die Tiere möglichst wenig leiden und gut untergebracht sind. 

Die 3-R-Regeln wurden das erste mal 1959 formuliert, im Buch “The Principles of Human Experimental Technique” von William Russel und Rex Burch. Dieses 3-R-Prinzip hat sich nach und nach so durchgesetzt, dass mittlerweile niemand mehr darum herum kommt. Seit 2001 gilt das 3-R-Prinzip als Maßstab der European Science Foundation, dem Zusammenschluss der wichtigsten europäischen WIssenschaftsorganisationen, d.h. in der EU gilt heute bei der Vergabe von Fördergeldern eine Orientierung an den 3R-Prinzipien.

Auch bei den Tierversuchen an der Uni Oldenburg ist das der Fall. Wir sind die 3 Rs am Beispiel der Zugvögelforschung einmal durchgegangen um zu verstehen, wie sie in der konkreten Forschung wirklich Beachtung finden. Dabei haben wir auch gemerkt, wie man bei diesen Fragen letztlich an die eigenen Grenzen stößt.

REPLACEMENT

Aber fangen wir mit dem ersten ‘R’ an, Replacement. Möglichkeiten, Tierversuche durch andere Untersuchungsformen zu ersetzen bieten etwa Computermodelle oder auch Forschung an künstlichem Gewebe. Wurde in der AG Neurosensorik gemäß den 3-R versucht, die Forschung durch andere Methoden zu ersetzen?
Dr. Mouritsen betont, dass das nicht immer möglich ist, verweist aber auf ein anderes Experiment um diesbezügliche Möglichkeiten darzustellen. 

“Das gibt es leider nicht für viele Fragestellungen.  Es gibt aber ganz viele Fragestellungen, wo man versuchen kann, so etwas über lange Zeit zu machen. Es ist ja so, dass wir vor einem Monat ein Paper auf dem Cover der Nature hatten und dieses Paper war das Ergebnis von 14-15 Jahren Forschung. Wir haben versucht, in einer Insektenzellkultur oder eine Bakterienzellkultur, ein Molekül aus der Netzhaut von Rotkehlchen eins zu eins nachzubauen. Bei diesem Molekül hatten wir den Verdacht, dass es das magnetsensitive Molekül im Auge von Rotkehlchen sein könnte. Jetzt hätten wir ganz viele Rotkehlchen oder Mönchsgrasmücken töten können. Das haben wir aber nicht gemacht, weil es nach meiner Meinung ethisch nicht vertretbar war, wenn ich geguckt habe, wie viel Protein ich aus einem Tier bekommen kann. Das ist zu wenig. Deswegen haben wir auf das Experiment verzichtet, weil es nach meiner Meinung nicht ethisch vertretbar wäre. Was wir stattdessen gemacht haben, wir haben die genetische Codierung, also das Genom, von dem Rotkehlchen sequenziert. Dafür braucht man auch eine Blutprobe von einem Vogel irgendwann, aber wenn es einmal gemacht ist, dann hat man es für immer. Dann haben wir diese genetische Sequenz von einem Rotkehlchen-Cryptogramm kopiert, es in die Bakterienzellkultur gebracht und dann haben wir die Bakterienzelle dazu gebracht, dieses magnetsensitive Protein der Rotkehlchen zu expremieren. Das war ein Replacement-Experiment, denn das war tatsächlich ein Experiment, wo wir vor 17 Jahren die Wahl hatten: versuchen wir jetzt dieses Protein von Zugvögeln zu isolieren, dann hätten wir sehr viele gebraucht, und da haben wir gesagt, nein, das halten wir nicht für ethisch vertretbar. Und dann haben wir eine Replacementmethode entwickelt. Also ja, manchmal geht’s. Aber manchmal geht es nicht. Bakterien haben die Nervenbahnen von Rotkehlchen oder Möchsgrasmücken nicht. 

Dr. Zeyer sieht die Situation etwas anders und weist dabei auch auf Aspekte hin, die vielleicht nicht so einfach in das 3-R-Schema passen. 

“Und ein zweiter Punkt der bei der ganzen Oldenburg-Diskussion, auch auf der Homepage der Uni Oldenburg nicht auftaucht, vielleicht auch gerade weil es ein neuer Antrag ist, das ist der ganze Punkt GPS-Systeme ersetzbar zu machen, eventuell irgendwann in der Zukunft, durch die Erforschung des Magnetsinns und entsprechende Methoden in der Robotik oder im Weltraumflug und so weiter. Da muss man sich im ethischen Bereich wieder fragen: ist das wirklich Grund genug – wirklich abwägen, ist das Grund genug – um sehenden Auges die Tötung von in diesem Fall 40 Vogelexemplaren – und die internen Zebrafinken werden ja sozusagen gar nicht mitgezählt, sondern nur die, die gefangen werden, aber die am Ende auch getötet werden – rechtfertigt es das, dieses Vorhaben? Da muss man ganz, ganz ernsthaft drüber nachdenken. Das ist ein Punkt an dem viele schon weitergehen und sagen “ach, ja, doch…”. Die Ärzte gegen Tierversuche haben da vielleicht nicht ganz unrecht, wenn sie das ein bißchen als “Neugierforschung” geißeln. Ich würde dem nicht recht geben, natürlich ist es auch wichtig zu solchen Erkenntnissen zu kommen, wissenschaftlich, aber, und jetzt fängt wieder die Ethik oder die moralische Überlegung an, müssen wir nicht danach streben, dass wir alles tun, um viel transparenter werden, noch viel transparenter – ich könnte ihnen da ganz viele Punkte zu diesem konkreten Fall schicken – um im Gespräch zu bleiben, um also auch negative Ergebnisse mal zu veröffentlichen, was nicht gemacht wird, also diese Modelle nicht nur wie hier – da wurde gesagt: aha, hier gibt es keine Modelle. Also: was tut ihr Forscher, damit es diese Modelle in Zukunft sehr wohl gibt? Welche Obergrenze habt ihr gesetzt? Ist es wirklich das Töten von Tieren? Denn wenn man einmal die nicht-technischen Projekte durchguckt, dann sind relativ viele Verhaltensforschungen dabei, da bekommen die einen Sender und so – aber da ist nicht von Töten die Rede, da werden sie werden wieder freigelassen am Ende. In diesem Projekt wird alles getötet, histologisch untersucht. Das ist vielleicht in diesem Projekt auch unabdingbar, ich kann es nicht wirklich beurteilen”. 

Der letzte Satz ist entscheidend. “Ich kann es nicht wirklich beurteilen”. Auf meine Frage nach Möglichkeiten von Replacement fragte mich Dr. Mouritsen zurück – etwas provokant, da er die Antwort natürlich schon kannte – ob ich ihm denn eine Ersatzmethode nennen könnte. Natürlich kann ich es das nicht, da fehlt auch mir, in den Worten von Dr. Zierer, die “situationsgebundene Beurteilungskompetenz”. Aber heißt das am Ende nicht, dass nur derjenige die Möglichkeit hat es beurteilen zu können, der die Fachexpertise dafür besitzt? Wenn das so ist, dann fragt sich doch aber: Wer besitzt die Fachexpertise? Doch wahrscheinlich jemand, der aus der gleichen oder einer ähnlichen Forschungsdisziplin kommen muss, und damit bereits aus einem Forschungskontext, in dem Tierversuche generell durchgeführt werden. Würde jemand, der strikt gegen Tierversuche ist, überhaupt einen wissenschaftlichen Werdegang haben, der es ihr oder ihm auf dem höchsten Stand der Forschung ermöglichen würde, zu beurteilen, ob es Replacement Experimente geben würde? Das ist ein vermutlich gar nicht aufzulösendes Dilemma in der Frage der Tierversuche, die hier, wenn es so ist, am Ende auf den Zufall angewiesen wäre, ob die Forscher_innen verantwortungsvoll sind oder nicht. 

Wenn man sich einmal die Geschichte der Tierversuche ansieht, insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren, dann wurden wichtige Änderungen, die heute Standard sind, aber von großen Protestbewegungen vorbereitet, die explizit auch gegen bestimmte Forschungskonventionen agierten und die so die gesellschaftliche Akzeptanz für bestimmte Tierversuche verändert haben. Bestimmte Verbote, wie die Forschung an menschenähnlichen Primaten oder der Einsatz von Tierversuchen für Kosmetika, wurden jahrelang erkämpft. Ich habe mit einigen Personen gesprochen, die damals an der Uni Oldenburg studierten. Mitte der 1990er gab es zum Beispiel auch an der Uni Oldenburg große Proteste. Damals ging es um Makakenexperimente an der benachbarten Universität Bremen. In Wechloy fand eine große Podiumsdiskussion statt, der Hörsaal war randvoll besetzt. Die Situation bei Tierversuchen ist heute freilich eine andere als damals. Doch sowohl die Forscher_innen wie auch die Tierrechtler_innen wurden in dieser Zeit wissenschaftlich sozialisiert, das sollte man vielleicht im Kopf behalten, sowohl wenn es darum geht, dass man heute viele Sachen teilt, als auch wenn es darum geht, dass ein Widerstand gegen bestimmte Praktiken Bedingung dafür war, dass es härtere Auflagen gibt. 

REDUCTION

Kommen wir damit zum zweiten der 3-R-Kriterien. Reduction. Dazu Dr. Mouritsen:

“Wir entnehmen ja genauso viele wie man braucht und nicht ein einziges Exemplar mehr. Man muss ja die Nervenbahn darstellen, und das geht nicht mit nur Einem, weil dann könnte man sagen, ja, vielleicht hat mein Mitarbeiter sie nicht richtig getroffen. Aber das Verfolgen von Nervenbahnen kann man tatsächlich mit einer recht kleinen Anzahl machen, weil wenn man das gleiche Muster in so 2-3 Tieren gesehen hat – es ist ein “Gibt es den oder gibt es den nicht”-Fall – dann kann man es mit sehr, sehr wenigen Tieren dokumentieren – wenn man so 2-4 gute Injektionen hat, dann kann man so etwas darstellen. Manchmal trifft man nicht genau den richtigen Bereich, dann hat man teilweise eine Kontrolle oder man lernt etwas davon. Aber wir versuchen wirklich die absolute Minimalzahl an Tieren zu nutzen. Mehr können wir da nicht tun. Die Zahlen die wir nutzen, ist, für die Größe unserer Arbeitsgruppe, extrem niedrig im Vergleich zu der Tierzahl die bei den meisten Biologigruppen genutzt werden. weil wir uns tatsächlich sehr hart überlegen, ob es jetzt notwendig ist, noch ein Tier zu nehmen. Und das geht teilweise dadurch, dass wir uns die Daten ganz genau angucken und nicht sagen, wir fangen sozusagen einfach mit 25 Tieren an und dann analysieren wir. Das tun wir nicht. Nein, wir machen 2, 3, 4 Tiere in einer Gruppe und dann gucken wir, wie die Ergebnisse sind und überlegen: müssen wir jetzt korrigieren? Müssen wir ein Detail ändern, um noch effektiver zu werden? Das ist der einzige Weg, wie wir die Anzahl der benötigten Tiere reduzieren können. Und das tun wir jeden Tag.” 

Auch hier argumentiert Dr. Zeyer anders, nämlich auf einer Ebene, die über das konkrete Experiment hinausgeht und die gesamte Forschungspraxis zu berücksichtigen fordert. 

“ich habe nicht herausfinden können, ob es eine Regelung gibt, die einen wiederholten oder doppelten Tierversuch untersagt. Ich bin sehr wohl darüber gestolpert, dass gerade bei Aus- und Fortbildungsmaßnahmen es an unterschiedlichen Universitäten immer noch alte, verkommene Unterlagen zu Tierversuchen gibt. Das ist in anderen Ländern schon längst abgelöst worden, das wurde abgefragt und geändert in eine neuen Tierschutzrichtlinie im Juni.

Dr. Mouritsen stellt die Zahl der Tiere, die in seinen Tierversuchen getötet werden, dagegen in eine Relation:

“Jeder Mensch, der ein Auto besitzt, tötet ungefähr 25 bis 50 Wildvögel im Jahr. Nur weil man auf der Straße fährt. Von den 25 bis 50 Vögeln lernt man wissenschaftlich wenig. Jeder Katzenbesitzer – es gibt dazu eine wissenschaftliche Untersuchung in der hochrangigen Zeitschrift “Nature Communication”; die untersucht hat, wie viele Vögel jede Hauskatze im Durchschnitt tötet. Sag mir nicht, dass Hauskatzen ein natürlicher Teil der Umwelt sind, das sind sie nicht!  Wildkatzen sind extrem selten und es hat nicht die Populationsdichte in Städten, die man an Hauskatzen hat. Jede Katze tötet im Durchschnitt 50 Wildvögel pro Jahr, im Durchschnitt. Meine Frage ist, wovon hat die Vogelwelt mehr, von den 20-40 Tieren die wir im Durchschnitt pro Jahr töten, und die uns wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse bringen, oder Ihr Katzenstreichelwunsch, der 50 Tiere im Jahr tötet. Was ist am ehtisch vertretbarsten? Ich stelle das als Frage.” 

Es klingt auf den ersten Blick nach einem gewissen Whataboutism, solche Zahlen zu vergleichen.

Aber sicher ist es nicht falsch, dass die Aufmerksamkeit auf Tierversuche traditionell besonders hoch sind. In den Neunziger Jahren wurde das einmal erhoben, damals machten Tiere, die in Tierversuchen getötet wurden,0,2% aller für menschliche Bedürfnisse getötete Tiere aus. Aber über 80% der Beiträge in den Medien, die im weiten Sinne Tierschutz zum Inhalt hatten, drehten sich um Tierversuche. Das Bild des ‘grausamen Tierforschers’ hat, wie die Meisten wissen, einen festen Platz in der Bilderwelt der Populärkultur. Von Planet der Affen über Felidae bis zur diesjährigen Netflix-Serie Sweettooth. 

Zu den zu nennenden Zahlen gehört aber auch die Statistik über die Zahl der Tierversuche. Nach den Protesten gegen Tierversuchen in den Neunzigern, die vorhin erwähnt wurden, und den folgenden, härteren rechtlichen Bestimmungen und Verboten kam es zu einer Halbierung der Zahl der Tierversuche im Vergleich der späten 80er und der frühen Zweitausender – von über 2 Millionen auf etwa 1,1 Millionen Tierversuche im Jahr. Aber: diese Zahl steigt seitdem wieder kontinuierlich und lag Mitte der 2010er wieder bei etwa 1,6 Millionen. Wenn man sich den Grund dafür ansieht, dann sieht man außerdem, dass es nicht an Tierversuchen für die klinisch-medizinische Forschung liegt, hier sinken die Zahlen sogar deutlich.
Es liegt vielmehr an einem Anstieg an Tierversuchen für die Grundlagenforschung. Prozentual waren 2000 etwas über 25 Prozent der Tierversuche in der Grundlagenforschung zugeordnet, das stieg auf 45% im Jahr 2012. Die Gründe für diesen Anstieg sind komplex, aber über einen Grund spekuliert Dr. Zierer vor dem Hintergrund eines zunehmenden Wettbewerbs der Universitäten untereinander.

“Es ist natürlich lukrativ, mit den Tierversuchen, es ist viel billiger als alles Andere, und es hängt mit dem Wissenschaftssystem dahinter zusammen und ja, dazu kommen die ganzen renommierten Magazine, davon ist ja auch sogar auf der Homepage die Rede, das man im renommierten Magazin Nature dieses und das zu den Vögeln veröffentlicht habe, und es besteht ja Publikationszwang – es sind bestimmte Tendenzen im Wissenschaftsgetriebe da, die das eher befördern als verhindern.” 

REFINEMENT

Kommen wir zum dritten Kriterium der 3-R, das ist “Refinement”. Das ist ein etwas weiterer Begriff als Replacement und Reduction. Es geht darum, die Bedingungen der Versuche so einzurichten, dass die Tiere möglichst wenig Schaden nehmen. Und auch um eine artgerechte Haltung. 

“Also Refinement ist für mich auch, dass man die Experimente so gut wie möglich macht. Das ist für mich auch Refinement, denn wenn man es gut macht, dann nutzt man auch weniger Tiere. Und deswegen haben wir eine festangestellte, wissenschaftliche Mitarbeiter, die für OPs an Vögeln zuständig ist.  Meiner Meinung nach kann man auch den Fang nicht besser machen als in diesen Japannetzen. Das ist die schonendste Methode, die es auf der Welt gibt.”

Eine zentrale Kritik des Ärzte gegen Tierversuche fällt aber gerade unter “Refinement”, nämlich die Käfighaltung der Vögel, die unter künstlichem Licht geschieht. Dr Mouritsen verteidigt diese: 

“Die Vögel werden genau in der Käfiggröße gehalten, die für diese Typen von Vögeln als artgerechte Haltung bei der EU definiert ist. Fensterlos – ich weiß nicht ob das Menschenromantik ist, das Fenster besser sind als ohne Fenster. Also ich denke, dass das den Tieren egal ist, so lange sie genug zu fressen bekommen und der Käfig groß genug ist, dass sie fliegen können. Das kriegen sie. Fensterlos ist es, weil wir dann die Tageslänge simulieren können”

Was Dr. Mouritsen “Menschenromantik” nennt könnte man philosophisch eine anthropologische Projektion nennen, also man geht von den eigenen, menschlichen Bedürfnissen aus und meint dann, alle Tiere hätten die gleichen oder ähnliche. Allerdings ist andersrum die Frage, wie man denn meint entscheiden zu können, einfach zu sagen, dass diese Bedingungen den “Tieren egal” ist. Verlangt nicht auch diese Aussage das Einnehmen einer Perspektive, die man schlechterdings nicht treffen kann? Dr. Zierer weist auf dieses philosophische Problem vor dem Hintergrund einer Ermittlung des Schweregrades von tierischem Leid hin.

“Der Gesetzgeber sieht verschiedene Schweregrade vor.  Bei den Vögeln war das “mittel bis schwer”, was auch immer das genau heißt, denn wie will man das überhaupt genau einschätzen, denn “wie ist es überhaupt, eine Fledermaus zu sein”; um einmal einen bekannten philosophischen Titel zu zitieren, also auch da: sich da reinzuversetzen ist unmöglich und wir können uns da immer nur annähern in der Beurteilung.”

Was man zur Perspektive sagen kann: Die Perspektive der Kritik der Ärzte gegen Tierversuche ist immer das individuelle, Leid empfindende Tier. Dr. Mouritsen verteidigt, dass er eine andere Haltung vertritt.

“Ich gucke von einer größeren Perspektive. Ich interessiere mich auch für all die Vögel, die sterben, wenn ich sie nicht sehe. Aber die sterben auch. Und wenn wir nicht vernünftig Schutz betreiben und wissenschaftlich basierte Conservation-Entscheidungen treffen, dann sterben sehr viele Vögel, die deutlich seltener sind als die Arten, die wir untersuchen. Die sehe ich nur nicht. Ok, ich kann die Augen davor verschließen, aber sie sterben auch, und sie sterben auch wegen menschlichem Einfluss.”

(….)

Und ich habe die ethische Überzeugung, das ist meine Bottom line, also mein Ergebnis am Ende: Durch das Wissen, dass wir durch unsere Versuche generieren, retten wir oder helfen wir Vögel zu retten in einer deutlich größeren Zahl als die Zahl, die wir töten. Und dann kann man ja argumentieren: ist das ethisch vertretbar oder nicht?”  

Hier stehen sich letztlich also zwei Perspektiven gegenüber, die miteinander unvereinbar erscheinen und vermutlich würde jede Seite der anderen einen gewissen Zynismus unterstellen.  Die Unvereinbarkeit lässt sich am Ende zurückführen auf die zentrale Frage: soll es überhaupt Tierversuche geben dürfen?

Für Dr. Zeyer ist die Antwort darauf klar:

“Es muss ja auch, wenn es im Staatsziel verankert ist, dann muss es, es muss, schon rechtlich, unser Ziel sein, auf Dauer Tierversuche durch Alternativen zu ersetzen, also abzuschaffen. Das muss Ziel sein. Das muss klar sein. Deswegen muss auch der Dialog stärker werden und die Transparenz muss größer werden.”

Dr. Mouritsen ist demgegenüber überzeugt, dass man nie ganz auf Tierversuche verzichten können wird

“Es wird eine Anzahl an Tierversuchen immer geben, auf die man nicht verzichten kann, weil zum Beispiel, wenn Sie Nervenbahnen verstehen wollen, dann können Sie nicht in Bakterien gucken, also das wird nicht der Fall sein. Es wird immer Fragestellungen geben, wo man auf Tierversuche nicht verzichten soll oder kann. Man soll aber sich ganz genau überlegen, wenn man einen Tierversuch macht, was die ethische Vertretbarkeit des einzelnen Versuchs ist. Ich finde es extrem wichtig, dass, wenn man Tierversuche macht, als Wissenschaftler, dann muss man mit sich selber die ethische Überlegung gehabt haben: warum mache ich das? Muss ich hier einen Tierversuch machen oder kann ich tatsächlich in Bakterienkulturen gehen, auch wenn es schwieriger ist?
“Was ich fundamentalistisch nenne, und was ich auch meine das fundamentalistisch ist, das egal was der Grund für den Tierversuch ist, ist jeder Tierversuch, immer falsch. Das halte ich für eine extreme Haltung. Was ich nicht für eine extreme Haltung halte, ist, dass man skeptisch gegenüber Tierversuchen ist. Ich bin auch skeptisch gegenüber manchen Tierversuchen, Ich bin auch sehr überlegt, ethisch überlegt, was das große und ganze Ergebnis eines Tierversuchs ist, im Vergleich dazu, was die Kosten sind.”

Dr. Zierer betont abschließend noch einmal, dass die unvereinbar erscheinenden Seiten dennoch in ein Gespräch miteinander treten müssten.

“Erstmal die Ärzte gegen Tierversuche haben mit ihrem Preis “Herz aus Stein”, den sie ja auch regelmäßig verleihen, einfach einmal einen Stein ins Laufen gebracht und die Diskussion beflügelt, so würde ich es nennen. es geht nicht darum, dass man verfeindete Parteien hat, die einander gegenüber treten, sondern im Gegenteil, man muss vielmehr den Dialog suchen.” 

Die Hochschulöffentlichkeit war in der Vergangenheit im Diskurs zu Tierversuchen eine Instanz, die durch Kritik auch eine gewisse Kontrollfunktion übernommen hat.  Wir wollen daher das Stichwort zum Dialog aufnehmen und zu diesem Themenkomplex im Gespräch bleiben.

von Ulrich Mathias Gerr

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